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Aus der Produktionshölle ins Barbieland

“I'm not pretty anymore!“

Spielzeugverfilmungen stehen seit geraumer Zeit hoch im Kurs, ob Lego, Transformers oder Super Mario Bros. US-Spielzeughersteller Mattel wollte da mitmischen und sein Barbie-Franchise um einen Realfilm erweitern – wohl auch, um das ramponierte Image seines Produkts, dieses magersüchtigen Püppchens in unmenschlichen Proportionen, aufzuwerten. Aus dem bereits seit 2009 geplanten Projekt wurde jedoch lange Jahre nichts, sämtliche Ansätze verliefen im Sande. Ab 2019 aber wurde es interessant: Margot Robbie („Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn“) sollte die Hauptrolle spielen, die feministische Indie-Regisseurin Greta Gerwig („Lady Bird“) zusammen mit Ihrem Lebensgefährten Noah Baumbach („Frances Ha“) das Drehbuch verfassen und schließlich sogar die Regie des Films übernehmen, der letztlich von Robbies Produktionsfirma LuckyChap Entertainment produziert wurde – in Koproduktion mit Mattel und HeyDay Films. Gerwig und Barbie – wie sollte das zusammenpassen? Gerwig und Robbie – klingt das nicht nach einem Dreamteam für ein feministischem Kino offen gegenüberstehenden Publikum? Diese Entwicklung machte neugierig und mündete in eine komödiantische Satire, die im Sommer 2023 mit viel Marketing-Tamtam in die Kinos kam und zu einem Kassenknüller wurde.

Barbie: “I do not have a vagina and he does not have a penis. We have no genitals.” / Ken: ”I have all the genitals!”

Im Barbieland heißen alle Girls Barbie: Die stereotype Barbie (Margot Robbie) ebenso wie all die anderen Barbies (u.a. Issa Rae, Hari Nef, Alexandra Shipp) in ihren hochdotierten Berufen, und jeder Tag hält den identischen Ablauf für seine Bewohnerinnen bereit. Alles ist kunterbunt bei dominierenden rosafarbenen Pastelltönen, aus der Dusche braucht ebenso wenig Wasser zu kommen – schließlich gibt es hier keinen Schmutz – wie Kaffee aus der Tasse – hier braucht niemand Koffein. Es herrscht die totale Harmonie, Konflikte sind ein Fremdwort und jeder Tag endet mit einer Feier in Barbies Traumhaus. Zu diesem haben weder Beach-Ken (Ryan Gosling, „Blade Runner 2049“) noch die anderen Kens (u.a. Kingsley Ben-Adir, Simu Liu, John Cena) zutritt, sie sind lediglich schmückendes Beiwerk für die Barbies, die sich selbst genug sind. Sexualität und Liebe? Fehlanzeige. Eines seltsamen Tages ändert sich jedoch alles für die stereotype Barbie: Sie wird von Todesgedanken geplagt und, viel schlimmer noch: ihre Fersen berühren den Boden, sobald sie ihre Stöckelschuhe auszieht! Etwas derart Abnormes kennt man hier nicht. Um in Erfahrung zu bringen, was mit ihr nicht stimmt, sucht sie die „komische Barbie“ (Kate McKinnon, „Bombshell – Das Ende des Schweigens“) auf. Diese erklärt ihr, dass die psychische Verfassung einer ihrer Besitzerinnen in der Menschenwelt einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum verursacht habe, durch das sie zu eben jener reisen müsse, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Dumm nur, dass Ken dies zum Anlass nimmt, seinen Strand zu verlassen und sich in Barbies Cabrio zu verstecken, um bei ihr sein zu können – und dass die Realität kein harmoniefaschistisches Matriarchat wie Barbieland ist, sondern vielmehr vom Patriarchat bestimmt wird, dessen Konzept bei Ken auf fruchtbaren Boden fällt, während Barbie den Mattel-Chef (Will Ferrell, „Buddy – Der Weihnachtself“) aufsucht…

Ken: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Ken!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Ken: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Ken!“ / Ken: „Hi, Ken.“

Der Prolog bemüht Kubricks legendäre Eröffnungssequenz aus „2001: A Space Odyssee“, nur eben mit, nun ja, Puppen, und vermittelt, Barbie sei die erste Nichtbabypuppe gewesen – anscheinend war sie zumindest die erste in den USA massenproduzierte, damals, 1959, interessanterweise nach einem deutschen Vorbild. Im herrlich überkitschten, realen Playsets und Spielzeugfiguren nachempfundenen Barbieland wird die absurde Naivität der Barbie-Welt lebendig und sehr anschaulich vorgeführt, mit all ihren einfältigen Barbies und Sonnyboy-Karikaturen namens Ken sowie dem kommerziellen Stumpfsinn, etliche Figuren gleichen Namens in einer unübersichtlichen Zahl an Variationen herauszubringen. Bei einem jüngeren, noch auf die heile Barbie-Welt-Fantasie hereinzufallen oder sie zu idealisieren drohenden Publikum dürfte damit bereits der Groschen fallen, dass es sich bei dieser oberflächlichen, gekünstelten Plastikwelt um etwas keinesfalls Erstrebenswertes handelt. Eine entlarvende, urkomische Dekonstruktion.

“I'm just Ken and I'm enough, and I'm great at doing stuff!”

Doch vermittelt man auch, dass es diejenigen, die mit den Puppen spielen, in der Hand haben, was aus ihnen – den Puppen – wird. Daraus resultiert die „komische Barbie“, deren Normalzustand der Spagat ist und die eine punkige Frisur sowie Gesichtsbemalung trägt, seit ein Kind eine Barbie-Puppe in der realen Welt so hergerichtet hat. Ausgerechnet diese aus der Art schlagende Außenseiterin ist die weiseste in Barbieland. Die Botschaft: Es ist deine ganz persönliche, eigene Fantasie, die du auf die Puppen projizierst – und diese muss keinesfalls sexistischen Klischees entsprechen. Du kannst ganze Welten erschaffen und die Macht liegt bei dir, nicht beim Hersteller.

“Humans have only one ending. Ideas live forever.”

In der realen Welt bedient der Film eine Mischung aus Culture-Clash- und Fish-out-of-Water-Humor, wenn Barbie nicht nur mit der Realität konfrontiert wird, sondern sich von der Heranwachsenden Sasha (Ariana Greenblatt, „Mittendrin und kein Entkommen“) auch noch als Faschistin beschimpfen lassen muss. Dabei glaubt sie, gerade diese Schülerin aufsuchen zu müssen, um den Riss im Raum-Zeit-Kontinuum zu kitten. Als sie Sashas Mutter Gloria (America Ferrera, „Echte Frauen haben Kurven“), eine Mattel-Angestellte, kennenlernt, dämmert es ihr, dass sie es ist, die dafür die Verantwortung trägt. Daraus entwickelt sich ein für Greta Gerwig typischer, sich durch den Film ziehender Handlungsstrang um einen Mutter-Tochter-Konflikt, u.a. aufgeheitert durch Werbespots für Glorias Puppenentwürfe wie die „Depressionsbarbie“. Zu dritt rauft man sich irgendwie zusammen und tritt fortan als Team auf.

Ken: “I thought I might stay over tonight.” / Barbie: “Why?” / Ken: “Because we're girlfriend and boyfriend.” / Barbie: “To do what?” / Ken: “I'm actually not sure…”

Der phallusartig in die Wolken reichende Mattel-Unternehmenssitz ist in seiner Monotonie und faschistoiden Strenge die Antithese zu Barbieland, die Chefetage ausschließlich maskulin besetzt. Der Aufenthalt in der realen Welt wird genutzt, um den Sexismus hinter weiblichen Stereotypen wie jenem durch die Barbies verkörperten und sich gegen Geschlechterungerechtigkeit wendenden Feminismus zu diskutieren, indem man sie direkt aufeinanderprallen lässt. Zu einer Karikatur auf Männlichkeitsklischees gerät Kens Etablierung des Patriarchats in Barbieland, das Barbie zusammen mit menschlicher Unterstützung sowie derjenigen des Macho-immunen Allan (Michael Cera, „Juno“) – als einziger nur einmal in Barbieland vertreten – nun zu bekämpfen versucht. In diesem Zuge wird sie sich irgendwann fragen, ob ein alle Kens ausgrenzendes Barbiearchat tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist.

Der Humor wird bei alldem stets beibehalten, um hitverdächtige Musical-Einlagen angereichert und die Plakativität der Barbie- und Ken-Puppenvorbilder genutzt, um eigentlich heillos überzogene Persiflagen und satirische Spitzen innerhalb dieses Sujets funktionieren zu lassen. Möglicherweise Lizenz- und Geldgeber Mattel ist es geschuldet, dass Barbie-Erfinderin Ruth Handler (Rhea Perlman, „Cheers“) sich erklären darf. Anscheinend wollte diese nämlich nicht die Emanzipation der Frau torpedieren, sondern eine Projektionsfläche für ihre Fantasien schaffen – verdeutlich allein schon durch den eklatanten Unterschied zwischen ihrer und Barbies körperlicher Statur. Weshalb eine utopische Fantasie ein unmöglich zu erreichendes und dadurch falsches körperliches Ideal umfasst, wird jedoch nicht mehr diskutiert. Indem Barbie zu einem Fantasieprodukt erklärt wird, glaubt man vermutlich, dies nicht mehr tun zu müssen.

Möglicherweise braucht man dies auch tatsächlich nicht, wenn es gelingt, eine gleichberechtigte, aufgeklärte Gesellschaft zu gestalten, in der Mädchen wie Jungen und alle außerhalb und dazwischen frei und frohgemut aufwachsen können und sich nicht vom äußeren Erscheinungsbild lebloser Plastikpuppen verunsichern lassen. Auch dies scheint der Film vermitteln zu wollen, der die Selbstironie um eine besondere Art von Fan-Service ergänzt, nämlich wenn man exemplarisch drei kurz nach ihrer Produktion wieder eingestellte, besonders absurde Puppen-Varianten auflaufen lässt (nach denen vermutlich durch diesen Film verstärkt in den Auktionshäusern des World Wide Web gesucht werden wird). Der Abspann implementiert sodann auch zahlreiche Bilder der echten Spielzeugpuppen. Damit dürfte tatsächlich das Kunststück gelungen sein, einen Film für Barbie-Fans und -Hasser zu erschaffen – Respekt vor diesem Spagat.

Sicher, die Mattel-Chefetage wird in ihrem Slapstick etwas zu albern dargestellt, die Mutter-Kind-Szenen zwischen Sasha und Gloria sind mitunter etwas arg gefällig ausgefallen und vor allem das Ende ist reichlich dick aufgetragen, das hätte es in seiner (hier nicht verratenen) Form nicht unbedingt gebraucht. Wie bewusst sich Gerwig und Co. eigener Widersprüche und Klischees waren, bringt eine Szene zum Ausdruck, in der eine Off-Sprecherin einen Kommentar zu Robbies zu großer Attraktivität für eine bestimmte Szene fallenlässt. Als Hauptaussage des Films dürfte aber Glorias Monolog zur Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Frauen hängenbleiben. Und als Haupteindruck vermutlich die innerhalb kariesverursachender Kulissen feildrehenden Margot Robbie und Ryan Gosling.

Diese „Barbie“-Verfilmung konterkariert das weltfremde und kindliche Image der Puppen mit einem ganz der Realität verpflichteten inhaltlichen Füllhorn aus Gesellschaftsanalyse, Feminismus-, Sexismus und Patriarchatsdiskussion, zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Umgang miteinander, Erwachsenwerden und -sein, Individualität, schönem Schein und Fantasiewelten versus ernüchternder Wirklichkeit innerhalb einer einen quietschvergnügten Wohlfühlfilm antäuschenden, verdammt witzigen Produktion, die trotz allem der Barbiepuppe auch ein Stück weit ihre Unschuld zurückgibt, sie gewissermaßen als Aufhänger nimmt, um den Fokus der anhand ihrer entbrannten Diskussionen auf eigentlich wesentlich relevantere Phänomene zu lenken. Möglich, dass das Mattels Ansinnen und Bedingung war. Aber, ganz ehrlich: Wenn Pink-, Regenbogen- oder Diversity-Washing (oder wie auch immer man dieses Phänomen bezeichnen will), dann gern so!

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