Wenn der Schrecken auf hoher See segelt
Basierend auf dem legendären „Captain’s Log“-Kapitel aus Bram Stokers Dracula, erzählt André Øvredal keine epische Vampirgeschichte, sondern ein Kammerspiel auf hoher See. Ein düsteres Märchen aus Holz, Nebel und Blut. Das Ergebnis ist ein angenehm oldschooliger Gruselfilm, der nicht auf plötzliche Schockmomente setzt, sondern auf Atmosphäre, Suspense und handwerklich präzise Inszenierung. Kein Effektgewitter, keine überladene Mythologie, kein übermodernes Meta-Gewitzel – stattdessen: echtes Unbehagen, langsam wachsend, feucht und kalt wie die Planken des Schiffes selbst.
Das Drehbuch – adaptiert von Bragi F. Schut und Zak Olkewicz – nimmt sich die Freiheit, aus wenigen Seiten Vorlage einen zweistündigen Albtraum zu spinnen. Die Prämisse bleibt bestechend einfach: Eine Schiffsmannschaft transportiert eine mysteriöse Fracht – Kisten voller Erde – von Transsilvanien nach England. Nach und nach verschwinden Besatzungsmitglieder, und die Ahnung wächst: Etwas Unheilvolles ist mit an Bord. Eine Mannschaft, eine Überfahrt, ein schleichendes Grauen. Kein Ballast, keine Subplots, keine romantische Folklore – nur der Tod, der mitsegelt. Dieser narrative Minimalismus funktioniert hervorragend. „Die letzte Fahrt der Demeter“ beginnt gemächlich, fast altmodisch: Es wird verladen, verhandelt, gesegelt – und unter der Oberfläche wächst etwas, das noch keinen Namen trägt. Das Drehbuch spielt geschickt mit dem Wissen des Publikums – wir wissen natürlich, wer in diesen Kisten liegt. Doch das Spannende ist, wann und wie die Crew das erfährt. Der Film hat den Mut zur Langsamkeit, zur geduldigen Eskalation. Øvredal, der schon mit „Trollhunter“ und „The Autopsy of Jane Doe“ bewiesen hat, dass er mit Spannung und morbider Schönheit umgehen kann, zieht hier alle Register seines Könnens.
Von der ersten Minute an legt sich eine bleierne Schwere über das Bild: dichte Nebelschwaden, flackerndes Laternenlicht, das Knarzen von Holz, das unter der Gischt ächzt. Øvredal verzichtet fast gänzlich auf plumpe Erschrecker. Stattdessen lässt er die Bedrohung wachsen, Szene für Szene, Atemzug für Atemzug. Kameramann Tom Stern (ein alter Weggefährte Clint Eastwoods) liefert hier eine beeindruckende Arbeit ab. Seine Bilder sind dunkel, aber nie unklar. Das Licht ist minimalistisch, oft nur Fackeln, Mondschein, Reflexionen auf nassem Holz. Besonders bemerkenswert ist, wie Stern die räumliche Enge des Schiffes nutzt: niedrige Decken, enge Gänge, klaustrophobische Winkel.
Und dann ist da natürlich er. Dracula. Keine samtbefrackte Aristokratenversion mit charmantem Akzent, kein sexy Vampir à la Hollywood. Hier ist er eine monströse, diabolische Kreatur, geboren aus Dunkelheit, ein uralter Albtraum, der mit jedem Tropfen Blut ein Stück seiner Menschlichkeit verliert. Javier Botet, der Meister des körperlichen Horrors (bekannt aus „Mama“, „REC“ und „Slender Man“), verkörpert den Grafen als Mischung aus Raubtier und Dämon. Sein Dracula ist nicht verführerisch, sondern animalisch. Er wächst mit der Handlung – zunächst nur ein Schatten, dann eine Silhouette, dann ein flüchtiger Blick in die Dunkelheit. Erst gegen Ende tritt er in voller, furchterregender Pracht hervor: knochig, bleich, mit leeren Augen, die mehr Hunger als Verstand zeigen. Eine Darstellung, die an Nosferatu erinnert, aber mit moderner physischer Intensität.
Vielleicht liegt der größte Reiz von „Die letzte Fahrt der Demeter“ darin, dass er sich auf echtes Handwerk verlässt. Das Schiff wurde gebaut, nicht simuliert. Die Sets sind physisch, greifbar, dreckig. Man spürt, dass hier Schweiß floss – im wahrsten Sinne. Das Produktionsdesign von Edward Thomas ist von beeindruckender Authentizität: jede Kajüte, jeder Balken erzählt von der Mühsal des 19. Jahrhunderts. Diese handgemachte Qualität gibt dem Film ein Gewicht, das man in vielen modernen Produktionen vermisst. In einer Zeit, in der selbst Nebel oft digital ist, wirkt dieser Film fast rebellisch real.
Fazit
„Die letzte Fahrt der Demeter“ ist ein wohltuender Gegenentwurf zu dem, was der Mainstream-Horror heute oft bietet. Hier wird nicht geschrien, sondern geschwiegen. Nicht geblendet, sondern gefesselt. André Øvredal liefert eine atmosphärisch dichte, elegant inszenierte Gothic-Horrorgeschichte, die man eher spürt als konsumiert. Ja, das Tempo ist gemächlich, manchmal vielleicht zu sehr. Doch im Kern ist dies ein Werk, das versteht, dass wahre Furcht aus der Dunkelheit kommt – und nicht aus der Lautstärke. Øvredal hat einen Horrorfilm geschaffen, der wirkt, als hätte man ihn 1979 drehen können – und das ist als Kompliment gemeint. Mit seiner Mischung aus klassischem Monsterfilm, maritimer Tragödie und kammerspielartiger Spannung ist „Die letzte Fahrt der Demeter“ ein stimmungsvoller, handwerklich exzellenter Beitrag zum modernen Horrorkanon. Eine blutgetränkte, neblige Ode an den klassischen Schrecken – elegant, düster, altmodisch im besten Sinne.