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Wenn Träume fliegen lernen ist ein Film von ebenso überbordender Phantasie, wie sie wohl auch jenem Mann innewohnte, dessen Geschichte er erzählt. Der schottische Schriftsteller und Dramatiker Sir James Matthew Barrie, gespielt von Johnny Depp, veröffentlichte seine Werke zwischen 1888 und 1936, der Film handelt von der Entstehung seiner berühmtesten Figur, Peter Pan.
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Finding Neverland, so der Originaltitel, beginnt im Jahr 1902 und zeigt einen Barrie, der mit seinen Stücken beim Theaterpublikum nicht sonderlich gut ankommt und höchstens geheucheltes Lob erntet. Seine Ehe mit der Schauspielerin Mary Ansell scheint beiden nicht mehr viel zu geben, so teilen sie nicht einmal mehr das Schlafzimmer. Als er die Witwe Sylvia Davies und ihre vier Söhne kennenlernt, entspringt aus der Freundschaft zu den Kindern und ihrer Mutter der märchenhaft angehauchte Inspirationsquell, dem letztlich das Theaterstück Peter Pan zugrunde liegt.
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Regisseur Marc Forster findet besonders für das Zusammenwirken des kindgebliebenen Barrie und dem Erwachsenwerden entgegen gehenden Kindern eine wunderschöne Bildsprache. Schnitttechnisch beeindruckend wechseln die Szenarien der Spielphantasien zwischen der imaginierten und der wirklichen Welt. Der Einfallsreichtum, der die Welt, die Barrie für Peter, George, Jack und Michael Davies erschafft, zum Leben erweckt, wird toll als der kreative Prozess des Autors visualisiert. Seine Funktionalität als gestalterisches Märchen verbindet Forster nahtlos mit der thematischen Erzählung. In deren Mittelpunkt stehen Barrie und der junge Peter, dem der Tod seines Vaters einen Großteil seiner Kindheit und Vorstellungskraft geraubt hat und der sich zunächst nicht von Barrie mitreißen lässt, während er auf den Rest der Familie eine soghafte Wirkung hat. Der Film spart Unangenehmes nicht aus, verkommt nie zu einer verkitschten Parabel über Verlust und Bewältigung und setzt gerade durch die Figur des Peter einige Reibungspunkte ob der Rolle, die Barrie im Leben der Familie Davies einnimmt. Diese verstärken sich durch die Missbilligung, mit der Sylvias Mutter und die Gesellschaft auf den intensiven Umgang des Erwachsenen mit den Kindern reagieren. In einer Szene fragt Barrie, warum Menschen dahinter etwas Schlechtes vermuten könnten. Eine Frage, die sich ein Jahrhundert später leider zur Genüge beantwortet hat...
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Obwohl gewisse Voreingenommenheiten im Verlauf der Handlung eigentlich keine größere Rolle spielen tut Forster gut daran, sie nicht unerwähnt zu lassen, da sie Barries rein gütige Motivation unterstreichen, ihn aber auch gleichzeitig auf einer anderen Wahrnehmungsebene reflektieren und den Subplot um seine Ehefrau Mary stärken. Die Beziehung der beiden, die im ganzen Film keinen einzigen Moment glücklicher Zweisamkeit teilen, ist der große Kontrapunkt zu Barries Kreativität, es ist die Realität, in der jedes Lächeln von seinen Lippen und die Freude aus seinen Augen weicht. Eine gewisse weltliche Entfremdung zum Nutzen seiner eskapistischen Leidenschaft ergänzt Barrie um eine interessante Facette und wird von Johnny Depp in seinem ohnehin hervorragenden Spiel im fliegenden Wechsel mit eingebracht. Dass dabei einige Ereignisse dramatisiert werden und kompakter im Handlungsrahmen untergebracht werden (zum Beispiel trennte sich das Ehepaar Barrie erst einige Jahre später, als im Film gezeigt), ist absolut nachzusehen, da so einfach ein reichhaltigeres Bild des Autors gezeichnet wird.
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Finding Neverland, erst Forsters zweiter großer und vierter Film insgesamt, unterstreicht dessen hervorstechendes Inszenierungsgeschick, wobei besonders seine gemeinsame Arbeit mit Stamm-Editor Matt Chessé zu erwähnen ist. Dieser schneidet bereits seit Everything Put Together aus dem Jahr 2001 die Filme des deutschstämmigen Regisseurs und in Sachen Szenenkomposition bilden sie ein geniales Duo, welches seinen (bisherigen) Höhepunkt vermutlich mit Stay (2005) ablieferte. Doch auch Finding Neverland bietet einige absolut bemerkenswerte Übergänge und ein großartiges Ineinanderfließen seiner bildlichen Bausteine.
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Der hochkarätige Cast um Depp, Kate Winslet, Dustin Hoffman und Julie Christie wird durch die sehenswerten Leistungen der Jungschauspieler ergänzt, die zwar besonders zu Anfang reichlich blasiert wirken, man dies im Zusammenhang mit der Epoche jedoch verschmerzen kann, ohne sie als nervtötend oder ähnliches zu empfinden. Der zur Drehzeit 11jährige Freddie Highmore, der im Laufe der Story immer weiter ins Zentrum rückt, beweist vor allem in den gemeinsamen Momenten mit Depp sein Talent. Winslet ist wunderbar wie eigentlich immer, Christie spielt genüsslich herablassend, Hoffman glänzt in seinen wenigen Szenen ebenfalls. Radha Mitchell, die als Barries Frau insgesamt nicht sonderlich ausdifferenziert wird, stellt die Verkümmerung ihrer Ehe glaubhaft dar.
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Finding Neverland ist ein optisch außergewöhnlicher, gleichsam wunderschöner wie tieftrauriger, bewegender Film, der seine Geschichte auf eine warme, sich niemals durch Platitüden oder oberflächliche Lehren aufdrängende Weise erzählt. Bestens geeignet, um darin einzutauchen und sich anderthalb Stunden verzaubern zu lassen.

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