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“It’s all very interesting what is happening”, fasst Willem Dafoes Mad Scientist Dr. Godwin „God“ Baxter die Geschehnisse des Films gegen Ende zusammen. Und in der Tat: Auch Yorgos Lanthimos’ achter Langfilm ist in jeder seiner 140 Minuten mindestens interessant, zumeist auch amüsant bis zum Schreien komisch, attraktiv und abstoßend, inspirierend und faszinierend. 

Allein die Tatsache, einen solch experimentellen Film mit lediglich rudimentärer Geschichte, surrealen Visuals und immer wieder herausfordernden Perspektiven im Mainstreamkino zu sehen, ist erstaunlich. 

Der Plot wurde von einem IMDb-Rezensenten wunderbar mit „Pygmalionstein“ auf den Punkt gebracht: Bella ist die Schöpfung des Chirurgen Baxter, selbst erkennbar Opfer seines experimentierfreudigen Vaters. Ausgestattet mit dem Körper einer Frau und dem Bewusstsein eines Kleinkindes, lernt sie die Welt um sich (und bald auch Europa) kennen und entwickelt zuerst ihre körperlichen, dann ihre geistigen Bedürfnisse in rekordverdächtiger Geschwindigkeit und Intensität. 

Die expliziten Sexszenen mit Emma Stone wirken in Anbetracht ihres Status in der heutigen Zeit extrem gewagt, sind jedoch absolut charaktertreu und natürlich, in keinem Moment unangemessen oder gar exploitativ. Im Gegenteil: Bella Baxter ist bei all ihrer oberflächlichen Naivität zu jedem Zeitpunkt im Vollbesitz ihres Körpers und Geistes (ihrer „Produktionsmittel“, wie der Film in Bellas „sozialistischer Phase“ einmal scherzhaft anmerkt). 

Überhaupt gibt Emma Stone hier wirklich alles, ganz gleich, ob sie als Kleinkind Fremden zur Begrüßung ins Gesicht boxt, sich bei der Entdeckung ihrer Lust rund um die Uhr selbst befriedigt, sich von der Armut der Welt das Herz brechen lässt oder sich vollständig emanzipiert der Philosophie hingibt. Willem Dafoe als geknechtete Vaterfigur und Ramy Youssef geben dem Film insbesondere zu Beginn eine seltsame Stabilität, die von Mark Ruffalo als geckenhafter Anwalt, der sich mit der vermeintlich leichtgläubigen Bella in jeder Hinsicht übernimmt, bald schon aufgebrochen wird. 

Visuell schießt Lanthimos, unterstützt von Kamera, Kostüm und Ausstattung, aus allen Rohren: graues Schwarzweiß geht in grellste Farboptik über, extremste Fischaugenlinsen verzerren den Blick, die Figuren tragen ebenso lachhafte wie stylische Kleidungsstücke und bewegen sich in künstlichen Szenenbildern, die oft wie eine Pervertierung von Wes Andersons Dioramen anmuten. 

Die höchst ungewöhnliche Coming of Age-Geschichte mit Frankensteinmotiven ist selbst ein kunstvoll zusammengebasteltes, liebenswertes Monster – vermutlich das vollgestopfteste und verrückteste Kinoerlebnis seit langem und für lange Zeit, nicht immer einfach, aber unbedingt lohnenswert. Cheese to meet you!

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