Review

Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn<!--sizec--><!--/sizec-->
D 1967

Manche Filme muss man einfach gesehen haben, um zu glauben, dass sie wirklich existieren. In diese Kategorie fällt auch „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“, der allererste St. Pauli-Film der, abseits von Seefahreratmosphäre und Hans-Albers- oder Freddy-Quinn-Romantik, die härtere Gangart der cineastischen Unterhaltung propagierte. Im Oktober 1967 war EA für diesen neuen Geniestreich von Regisseur Rolf Olsen. Bereits mit „In Frankfurt sind die Nächte heiß“ (1966) und „Das Rasthaus der grausamen Puppen“ (1967) hatte er kleine Kunststücke vollbracht – nämlich rigoros, ohne Punkt und Komma und mit fast kindlicher Unbedarftheit zwei Kriminalfilme, voll gepackt mit sleaziger Action und höchst spekulativen Ideen zu inszenieren, die schon damals ihresgleichen suchten. Nun also mit „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“ der Doppelschlag in 67. Nach einem wie immer selbst verfassten Buch wurde in Hamburg - St. Pauli ein neuer Zelluloidhammer verfertigt.

Die hanseatische Oberschicht wird, wenn es ihr nach jungem Fleisch gelüstet und die Ehefrau dem Abbau der überschüssigen Hormone wenig zuträglich ist, von einer Bande Wohlstandsbubis mit Mädchen versorgt, welche vorher durch LSD gefügig gemacht werden. Als sich jedoch im Umkreis dieser Bande die Leichen derer die zuviel wissen zu stapeln beginnen, schaltet sich nicht nur die Kripo (vertreten durch den „Pralinen-Maigret“ Kommissar Zinner) sondern auch der grundehrliche Journalist Danny Sonntag ein, mit dem die Bande gleich zu Anfang einen flott macht, da er den ganzen LSD-Sumpf öffentlich anprangert. Richtig interessant wird’s aber erst, als sich der junge Till Voss, der die Drogen liefert, von der ganzen Mischpoche lossagen will, was „Feuerhotte“ – der Bandenchef – und seine Spießgesellen natürlich mit einigen geschickt platzierten Abscheulichkeiten auf’s Schärfste missbilligt. Als die ganze Sache in einem Privatfeldzug von Sonntag, Till und Zinner kulminiert und beim finalen Showdown Olsen mit den Erwartungen und Gefühlen des Zuschauers ordentlich Schlitten fährt, weiss man – Ja, dass ist ein echtes Meisterwerk.

Was Olsen hier abliefert, läßt einem die Kinnlade minutenweise herunterfahren – Scheibchenweise muss man seine Ansichten übers Nachkriegskino (zumindest in diesem Genre) revidieren. Haufenweise werden hier Handlungen und Interaktionen abgespult, dass es nur so raucht. Gleich zu Anfang wird eine durch LSD völlig verwirrte Schülerin vom ebenfalls nicht ganz nüchternen Rudolf Schündler per Mercedes auf’s Korn genommen. Als Danny Sonntag dann in einem alten Lagerhaus von Feuerhotte’s Schlägerclub harpuniert werden soll, lässt einen die unfreiwillig komische Prügelei spontan laut lachen. Selbiges bleibt einem bei der Ermordung der Fotografin Pinky sprichwörtlich im Halse stecken. Überhaupt Gewalt: Olsen inszeniert solche Szenen, mit Hilfe des schon damals genialen Franz X. Lederle, mit Schmiss und ohne viel Federlesens – da wird gemordet, gefoltert, per Rasiermesser zum Tragen von Tüllgardinen animiert, erpresst, gefügig gemacht, Suizid begangen und dergleichen mehr. Stichwort Kamera: Das Handgehaltene während der Partysequenzen vermitteln echtes Rauschgefühl und die mit viel Weichzeichner fotografierte Traumsequenz von Marianne Hoffmann, bei der sie mit ihrem geliebten Fritz Wepper am Strand herumtollt, gehört (im Verein mit Schnitt und Musik) zu den romantischsten und melancholischsten Liebesszenen der 60er Jahre. 1 drauf mit Mappe.

Doch was wäre auch dieser Film ohne seine Darsteller. Erik Schumann spielt mit viel Engagement den aufrechten „Pressescheißer“ (O-Ton Feuerhotte), dem die ganze Verlogenheit der oberen Schicht so was von auf den Geist geht und den Film im Semi-Documentary-Style aus dem Off moderiert. Unterstützung erfährt er vom in absoluter Spiellaune befindlichen Heinz Reincke, der seinem Kleinganoven Uwe Wagenknecht wahrhaft komische Elemente mit auf den Weg gibt. Fritz Wepper ist wie geschaffen für seine Rolle als zerrissener Chemiestudent, der mit dem ganzen Unterweltklüngel nichts mehr zu schaffen haben will. Als seine große Liebe Lotti (schön wie nie: Marianne Hoffmann) unter Drogen Selbstmord begeht (schockierende Szene), ist ihm alles egal – er hat den Kanten voll, er rechnet gnadenlos mit Feuerhotte ab. Konrad Georg spielt mit hintergründigem Witz seine Rolle des gutmütigen und doch herzhaft durchgreifenden Kommissars und Karl Lieffen muss als schwuler und von Gewissensbissen geplagter Barbesitzer Sugarcharlie am Ende selbst ins Gras beißen. Feuerhotte wird gegeben vom verlässlichen Jürgen Draeger, der sich mit SM-Fetisch und viel ungezügeltem Jungschauspiel bis in die Ekstase agiert. Die Gangstertruppe setzt sich aus den damals immer mal auftauchenden Frank Nossak, Joachim Richert und Alexander Pari zusammen, die alle einen guten Job machen – und das Berliner Urgestein Willi Rose ist als Danny’s Vertrauter Mumps die vielleicht auf Anhieb „normalste“ Figur in diesem ganzen Kasperkram.

Ein erneutes Glanzstück vollbrachte auch wieder der von mir sehr hoch geschätzte Erwin Halletz, der sich für dieses Lichtspiel musikalisch ebenfalls nicht Lumpen ließ. Allein die Titelmusik ist als echter Klassiker einzustufen, das wundervoll-kräftige Groovemonster „A new day“ ist auch wieder mit dabei und das hier verwendete Arrangement von „Blue Dreams“ (aus dem Puppenrasthaus) ist um Klassen besser als die CD-Version von der „Deutsche Filmkomponisten vol. 8“. Dafür ist der „Party-Cha-Cha“ von gleicher CD der beste Grund diese Scheibe zu kaufen – genial.

Die alte Royal-VHS ist zwar übersät mit Rollenrissen, bietet aber ein ansonsten gutes Bild und präsentiert dieses echte Partymovie aller Ansicht nach ungeschnitten.

Alles in allem, ein Streifen voller Genialitäten, ein Film der sich nur schwer in Worte fassen lässt – Ein Meisterwerk – Ein Film den man gesehen haben muss. „Vatern hat heute Geburtstag“ (Zitat von Mumps).

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