Die Reeperbahn als Oberbegriff für die Amüsiermeile auf St.Pauli war längst schon nicht mehr Seemannseinkehr allein. Im Tagesgeschäft recht ruhig und friedlich ist das Milieu besonders des Nachts Touristenattraktion und Hort der bürgerlichen Ausartung frei der sonstigen gesellschaftlichen Zügel. Folglich erzählt Rolf Olsen mit Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn tatsächlich ein Stück hamburger Wahrheit, geprägt von einem Hang zur Scheinheiligkeit und Doppelmoral vor den Fassaden der Bummsbetriebe, die wiederum auf ihre Art eine Illusion an die zur Dämmerung einströmenden Kunden zu verkaufen wissen.
Olsen führt in Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn verschiedene Handlungsebenen zusammen. Die uns intimste davon der Ich-Erzähler und Journalist Danny Sonntag, welcher bereits eingangs die Woge des LSD-Rausches heraufbeschwört. Ebenso erwischt es eine junge Frau, vom Trip betäubt die Straße entlang taumelnd und von einem Mercedes angefahren, dessen Chauffeur, selbst angeheitert, das Weite sucht.
Der Reporter in einer Lagerhalle heimgesucht von maskierten Häschern, die ihm mit Harpunen an die Nieren wollen, weiß sich derweil mit Leuchtraketen zu erwehren. Während sein Verleger ebenso wenig erpicht auf seinen Skandaljournalismus ist, zeichnet sich für den Zuschauer der Hintergrund zunehmend deutlicher. Eine Clique von Söhnen aus feinstem Hause befreundet sich mit abenteuerlustigen Schülerinnen. Mit einem Hauch von Dekadenz der Moral überdrüssig, verschachern die Jungs deren Nacktbilder an lüsterne Bonzen, die zur Folge auf ein Tête-à-tête mit den Motiven gieren. Bei einem Umtrunk im Hotel sollen die jungen Damen ihre Dienste zur Verfügung stellen. Angeheizt durch einen Schuß Lysergsäurediethylamid sollen die Hüllen fallen.
Franz X. Lederle filmt das Treiben mit beweglicher Kamera. In Nahaufnahmen auf die schweißtriefenden Gesichter der geilen alten Böcke verdeutlicht sich der Ekel dieser Handlung und steht vollkommen im Kontrast zu der weichgezeichneten Scheinwelt der betäubten Lotti. Auf dieser liegend findet der aufgebracht herbeieilende Hobby-Drogenkoch Till, seit kurzem aus Liebe zu Lotti zum Ausstieg entschlossen, den Mann, den er sich wohl am wenigsten herbeigewünscht hätte: Seinen Vater!
Mit ein wenig Spekulation und einigen Sleazeszenen hat Rolf Olsen Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn bestimmt auf Skandal gebürstet. Mit infantilem Spieltrieb kocht er eine Mixtur aus Action- und Kriminalfilm, der in seinen Spannungsszenen durchaus auch eine nahezu proto-gialloesque Stellung einnehmen kann. In seiner Gänze durchweg fesselnd weist der Film doch eine gesellschaftliche Kritik weit über die Tatsache hinaus auf, daß die Drogen hier nicht auf eine Gammlerexistenz abgeschoben werden.
Es ist die nahezu verschwörerisch sich selbst schützende Oberschicht, die ihre Arme bis in Ämter und Medien ausstreckend mit einer dunklen Fratze versehen wird. So wird der Moralhüter zum ausgestoßenen Ritter des Rechts, unterstützt von alteingesessenen Kleinganoven, die sich wie Heinz Reinckes Figur Uwe Wagenknecht zwar nicht von der Verführung des Geldes freisprechen lassen können, jedoch einen Trieb zu einer Grundordnung verspüren, der sie schnell einlenken läßt.
Es ist schließlich aber weniger ein St. Pauli, daß sich seine alte Reeperbahn zurückholt, sondern eher die alte Gangsterfilm-Mär vom aufstrebenden Jüngling, dessen Kartenhaus von Karriere schließlich schadhaft über ihm einstürzt. Rolf Olsen läßt dies auf äußerst drastische Art geschehen, weshalb Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn durchaus auf seine Art heraussticht. In einer gewissen Form greift er gar dem Schulmädchen-Report vorweg, indem er zum einen hinter die Fassade der Pennälerinnen blickt, mit ihren Zureitern jedoch auch ein Klientel zeigt, welches sich an Hofbauers Filmen durchaus ergötzen könnte.
Seinerzeit wohl brandaktuell wie nie, funktioniert der Film auch heute noch, wenngleich die recht urtümlichen Attraktionen wie Frauen-Schlammcatchen ein wenig zum Schmunzeln anregen. Desweiteren sorgen Handlungsorte wie der Top Ten Club (hier traten im Frühjahr 1961 die Beatles auf) oder die berüchtigte Herbertstraße zwar für St. Pauli Flair, für einen Milieufilm sucht sich Olsen seine Motive dennoch oft außerhalb, sei es um der Handlung gerecht zu werden, oder Actionszenen auf einsame Industriegelände auszulagern.
Als stimmiges Kleinod von Kultfilmfreunden heißbegehrt ist Olsens Film nicht nur treffsichere Genre-Unterhaltung, sondern auch wesentlich wertvoller als eins der vielen Massen-Schundprodukte, die wohlmöglich schon in der dritten Hartboxauflage von Cover A-Z unter die Leute gebracht werden. Es sollte daher Mission sein, gerade diese heimischen Schätze zu bergen und zu konservieren.