Stadt in Panik (1976)
Wer den italienischen Polizeifilm kennt, kennt auch Maurizio Merli, denn Merli ist untrennbar mit dem Genre verbunden. Er ist die Verkörperung von brachialer, stockkonservativer Polizeigewalt, weniger eine Person als ein Archetyp. So mutet Merli in seinen überzeichneten Rollen an wie ein Superheld, eine Naturgewalt, vor der sich selbst seine Vorgesetzten fürchten.
„Stadt in Panik“ von Giuseppe Rosati ist einer der ersten Filme, in denen Merli den harten Bullen gibt. Er ist Kommissar Murri, ein echter Kerl, der in seiner Freizeit angelt, und der beauftragt wird, eine Bande Verbrecher zu fassen, die aus dem Gefängnis entflohen ist. Der Polizeipräsident (James Mason) wendet sich nur ungern an Murri, dessen Methoden berühmt und berüchtigt sind, und lässt den Staatsanwalt Lo Cascio (Franco Ressel) Murris Arbeit verfolgen oder besser überwachen. Schließlich trommelt Murri noch die Jungs zusammen (eigentlich nur zwei), die er noch aus alten Tagen kennt, und die eine ähnliche Auffassung von Recht und Gesetz haben wie er. Und dann geht’s schon los. Es wird endlos auf Räuber und Rabauken eingeprügelt, selbst wenn diese sich nicht mehr wehren können, und es wird auch geschossen, wenn sich die Gangster längst ergeben haben.
Für staatliche Institutionen wie Justiz und Kirche hat Murri nur Verachtung übrig, denn seiner Meinung nach behindern sie nur seine Arbeit mit ihrem Weichei-Kurs. Das wird deutlich durch die Figur des Staatsanwalts, eines pedantischen Bürohengstes, und durch einen Priester, der von Murri vor Gangstern geschützt wird, ihn aber trotzdem für seine harten Methoden rügt („War das wirklich nötig?“, fragt er, nachdem Murri alle erschossen hat).
Eigentlich hat Murri nur Verständnis dafür, Verbrecher abzuknallen. Er will nur seine Arbeit machen, und dabei gefälligst nicht gestört werden:
„Wir haben in diesem Land gemeingefährliche Verbrecher, die sich als Revolutionäre ausgeben, Anarchisten, die für die Freiheit kämpfen und töten. Nicht zu vergessen, die Kommunisten! Und die Staatsanwälte.“
Dieser Monolog verrät mehr über das Genre des Polizeifilms als über Murri selbst. Und doch ist Murri nicht nur der hart durchgreifende Polizist. Der Polizeipräsident nennt ihn einen „unzurechnungsfähigen, undisziplinierten Wahnsinnigen“ (dabei gibt er gleichzeitig zu, dass Murri dennoch unerlässlich ist, indem er ihn weitermachen lässt). Er ist ein Soziopath, der sich hinter seinem Titel versteckt.
Nichtsdestotrotz liefert der Film eine Rechtfertigung für seine rabiate Art. Denn Murris Frau und Kind kamen bei einem Bombenanschlag ums Leben. Seitdem ist er nicht mehr derselbe:
„Manchmal werden wir psychologischen Tests unterzogen. Über mich sagt man, dass ich die Gewalt liebe.“
„Und was heißt das?“, fragt seine Freundin Laura (Silvia Dionisio).
„Todessehnsucht.“
Und da wären wir bei einem gar nicht so entfernten Verwandten Murris: Paul Kersey aus den „Death Wish“-Filmen. Auch dieser hat seine Familie verloren, und auch er räumt eigenhändig in der Stadt auf, mit dem Unterschied dass Kersey Architekt, und Murri nun mal Polizist ist, es also darf.
Aber wollen wir nicht übertreiben, denn trotz Murris Trauma scheint ihm sein Job einfach Spaß zu machen.
Merli ist ganz klar der Star des Films, er beherrscht die Leinwand mit seiner Unerbittlichkeit und seinem Schnauzer. Dagegen haben die Nebenrollen eher dekorativen Charakter. Silvia Dionisio ist hübsch anzuschauen, und James Mason (der ein Jahr zuvor in Rosatis „Die linke Hand des Gesetzes“ zu sehen war) darf sich lediglich über Murri ärgern.
Die Inszenierung ist meist rasant und kurzweilig, wie es sich für einen ordentlichen „Poliziottesco“ gehört.
Der Film ist selbstverständlich ideologisch fragwürdig, aber auch nicht hundertprozentig ernst zu nehmen. Also genießt man einfach die Rauheit, die politische Unkorrektheit, die an Selbstparodie grenzende Überzeichnung, die Action, die Klischees, die Dialoge (und nicht zu vergessen die großartige deutsche Synchronisation) dieses herrlichen Zeitgeistkrachers.