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Das funkelnde Comeback eines Mythos

Es gibt jene seltenen Ausnahmeerscheinungen, bei denen man bereits nach wenigen Minuten spürt, dass man gerade Zeuge von etwas wirklich Besonderem ist – Filmen, die mit einer solchen emotionalen Wucht, stilistischen Klarheit und erzählerischen Eleganz daherkommen, dass man staunend im Sessel versinkt und am liebsten laut rufen möchte: „Ja verdammt, genau so macht man das!“ Simon Verhoevens Girl You Know It’s True gehört exakt in diese Kategorie. Es ist nicht einfach nur ein weiterer Blick auf Rise and Fall eines ikonischen Pop-Phänomens; es ist großes Kino, ganz großes Kino – eines der besten Biopics der letzten Jahre.

Mit virtuoser Sicherheit umschifft Verhoeven die Klippen, an denen so viele Vertreter des Genres scheitern: zu viel Mythos, zu wenig Mensch; zu viel Musik, zu wenig Herz; zu viel Staub, zu wenig Drama. Stattdessen gelingt ihm der nahezu unmögliche Spagat: Die Geschichte der Künstler tiefgründig auszuleuchten und gleichzeitig eine dramaturgisch dichte, emotional mitreißende Erzählung zu gestalten, die niemals an Tempo verliert. Kurzum: An diesem Film passt einfach absolut alles.

Milli Vanilli. Kaum ein Name der Popgeschichte trägt so untrügliche, fast schon mythisch aufgeladene Konnotationen: Glitzernde Erfolge, Superstar-Status, der große Skandal, der Fall. Die unausgesprochene Mahnung an die Verführungen und Versuchungen einer Branche, die ihre Protagonisten formt, frisst, ausspuckt. Und gleichzeitig zwei junge Männer, die — trotz allem — etwas wollten, das am Ende jeder will: gesehen werden, gehört werden, geliebt werden.

Verhoeven erzählt diese Geschichte weder reißerisch noch beschönigend, sondern so wie sie erzählt werden muss: nahbar, schmerzhaft, pulsierend, voller Zwischentöne. Mit einer erstaunlichen Ruhe, einem sicheren Gespür für Rhythmus und Nähe, und vor allem mit einem dramaturgischen Selbstbewusstsein, das man im deutschen Kino nur selten in dieser Dimension erlebt. Der Kniff, die vierte Wand zu durchbrechen — etwa wenn Robert Pilatus oder Fabrice Morvan uns direkt in die Augen blicken, anklagend oder verzweifelt oder schlicht verzweifelt ironisch — ist nicht nur effektvoll, sondern dramaturgisch brillant. Er reißt den Zuschauer hinein in die emotionale Maschinerie dieses Auf- und Abstiegs, als sei man selbst ein stummer Zeuge jener Pop-Oper, die sich damals auf der Weltbühne abspielte. Von der ersten Sekunde an ist die emotionale Involviertheit präsent. Verhoeven gönnt dem Publikum keinerlei Aufwärmphase. Man wird hineingeworfen in den Sog der späten 80er, in den ungefilterten Rausch einer Musikindustrie, die ebenso verführerisch wie vernichtend ist. 

Zwischen Glanz und Abgrund

Es wäre leicht gewesen, die Geschichte von Milli Vanilli als Skandalchronik zu erzählen, als investigatives Zerlegen eines Pop-Phänomens. Doch Verhoeven geht es um etwas anderes. Es geht ihm um die beiden Männer im Zentrum des Sturms: Robert Pilatus, gespielt von Tijan Njie, und Fabrice Morvan, verkörpert von Elan Ben Ali. Wer die beiden sieht, erkennt sofort: Hier wurde nicht eine Besetzung gesucht, hier wurde eine Symbiose geschaffen. Die physische Ähnlichkeit ist frappierend, aber das ist nur die Oberfläche. Entscheidend ist etwas Größeres: Sie spielen nicht Milli Vanilli — sie sind es. Mit jeder Geste, jedem Blick, jeder Unsicherheit, jedem Ausbruch. Das Drehbuch schafft es, tief in ihre Entstehungsgeschichte einzutauchen, ohne je den Fokus zu verlieren. Wir erleben Aufstieg und Fall, Erfolg und Selbstzweifel, die gnadenlose Maschinerie der Musikbranche und das fragile Seelenleben zweier junger Männer, die auf einer Welle reiten, die sie nie kontrollieren konnten.

Tijan Njie und Fabrice Morvan sind das Herzstück des Films: Was diese beiden leisten, ist nichts weniger als überragend. Njie bringt eine berührende Komplexität in die Rolle des Robert Pilatus: ein Mann, zerrissen zwischen Ehrgeiz, Schmerz, Sehnsucht und Selbstzweifel. Seine emotionalen Momente – von der ekstatischen Euphorie bis zum zerstörerischen Absturz – gehören zu den intensivsten Szenen des Films. Ben Ali wiederum verleiht Morvan eine Wärme und eine tiefe Melancholie, die nachhaltig berührt. Zusammen besitzen sie eine chemische Ladung, die Funken sprühen lässt. Zwischen den beiden bewegt sich Matthias Schweighöfer als Frank Farian — und es ist eine seiner besten Leistungen. Er balanciert das Charakterprofil zwischen charmantem Visionär und eiskaltem Strippenzieher mit beeindruckender Präzision. Ein Produzent, der weiß, dass er der Puppenspieler ist, und sich dennoch wundert, dass die Puppen irgendwann selbst tanzen wollen.

Auch musikalisch zeigt der Film eine Meisterschaft, die nicht nur aus Nostalgie lebt. Die Performances sind kein schmückendes Beiwerk; sie sind dramaturgischer Treibstoff. Diese Sequenzen sind dynamisch, mitreißend und schlichtweg perfekt inszeniert. Verhoeven zeigt, wie man Musikfilm-Momente choreografiert, ohne dass sie wie Videoschnipsel wirken. Authentizität ist hier nicht nur ein Schlagwort, sondern Programm. Die späten 80er und frühen 90er werden nicht verklärt, nicht ironisiert, nicht überzeichnet — sie werden rekonstruiert. Von den ikonischen Bühnenoutfits über Studioequipment bis hin zu den Clubsettings – das Produktionsdesign ist ein Triumph. Es ist diese Liebe zum Detail, die den Film so lebendig macht. Nichts wirkt nostalgisch verklärt oder museal – alles pulsiert, lebt und atmet.

Fazit

Simon Verhoevens Girl You Know It's True ist — und das ist ohne Übertreibung zu verstehen — eines der besten Biopics der vergangenen Jahre. Es ist ein Triumph der Inszenierung, des Castings, der musikalischen Choreografie, der Ausstattung, der Dramaturgie. Ein Film, der die Fallhöhe seiner Protagonisten versteht, der die Faszination ihrer Musik feiert und gleichzeitig die tragischen Schatten beleuchtet, die auf ihrem Weg lagen. Das Ergebnis ist bewegend, unterhaltsam, visuell berauschend und dramaturgisch nahezu makellos. Einer der besten Filme seines Genres – ein Biopic, das alles richtig macht.

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