Wenn Filmgeschichte geschrieben wird, dann geschieht dies in den wenigsten Fällen geplant. Als Roger Corman im Jahre 1971 seinen Regisseur Jack Hill auf die Philippinen schickte, um einen billigen Women in Prison-Film runterzukurbeln, hatte der berühmte Regisseur und Produzent unzähliger B-Movies nur eines im Sinn: Geld verdienen. The Big Doll House sollte viele Zuschauer in die diversen amerikanischen Drive-Ins und Grindhouses locken und dem Produzenten einen hübschen Gewinn bescheren. Das tat der Film dann auch, und noch so einiges mehr. Filmgeschichte schreiben, zum Beispiel. Da der Streifen beim Publikum blendend ankam, war der am 28. Januar 1933 geborene Regisseur Jack Hill plötzlich gut im Geschäft, und nach dem ähnlich gelagerten Cash-In The Big Bird Cage schuf er mit Coffy und Foxy Brown zwei gefeierte Meisterwerke des Blaxploitationkinos. Das ist Filmgeschichte. Eine unbekannte, gut gebaute, dunkelhäutige und charismatische Schönheit namens Pam Grier zog in einer der Hauptrollen (übrigens ihre erste Hauptrolle und gleichzeitig auch ihre erste Sprechrolle) mühelos die Blicke der Zuseher auf sich und etablierte sich binnen weniger Jahre als die Ikone des Blaxploitationfilms. Das ist Filmgeschichte. Und The Big Doll House, der kleine, billige Film, von dem hier die Rede ist, erwies sich als derart einfluß- und erfolgreich, daß er nicht nur eine kleine Lawine von Frauengefängnisfilmen lostrat, sondern auch gleich als Blaupause für den Großteil der folgenden Streifen herhalten mußte (natürlich gab es schon vor 1971 WIP-Filme, aber der Auslöser der großen Welle war eindeutig The Big Doll House). Und auch das ist Filmgeschichte. Zwar "nur" Exploitationfilmgeschichte, aber immerhin! So weit, so gut.
Die Frage, ob es sich bei The Big Doll House auch um einen guten Film handelt, ist damit aber noch lange nicht beantwortet, schließlich hatten schon einige grottenschlechte Machwerke das Privileg, Filmgeschichte schreiben zu dürfen (man denke nur an Blood Feast und Deep Throat). Glücklicherweise verhält es sich bei The Big Doll House (bei dem Pam Grier mit dem Soul-Song Long Time Woman zu hören ist, bevor man sie überhaupt sieht) anders, denn dieser Film ist ein kleiner Kracher und fährt so ziemlich alle Geschütze auf, um den geneigten Exploitationfilmfan zu unterhalten und zufrieden zu stellen. Dabei ist die Geschichte sehr simpel angelegt: die rothaarige Collier (Judith M. Brown) wird wegen Mordes verurteilt und landet in einem Frauengefängnis, wo sie sich mit Grear (Pam Grier), Alcott (Roberta Collins), Harrad (Brooke Mills) und Bodine (Pat Woodell) eine Zelle teilen muß. Als undurchsichtige Gefängnisleiterin Miss Dietrich glänzt Christiane Schmidtmer, während Kathryn Loder als sadistische und folterfreudige Aufseherin Lucian köstliches Overacting betreibt. Ins Geschehen involviert werden noch die beiden Lieferanten Harry (Kultschauspieler Sid Haig) und Fred (Jerry Franks) sowie der luschige Gefängnisarzt Dr. Phillips (Jack Davis). Als den Insassinnen die tagtägliche Dosis Folter und Erniedrigung zuviel wird, planen sie einen Ausbruch, nicht ohne zuvor noch die obligatorische Duschszene und eine atemberaubende Schlammcatch-Einlage (Pam Grier vs. Roberta Collins) zu absolvieren.
The Big Doll House ist zuallererst einmal exzellente und dynamische Unterhaltung der etwas sleazigen Art, gut gespielt von allen Beteiligten und temporeich bis zur letzten Sekunde. Darüber hinaus bekommt man hier lebendige Figuren geboten, die es dem Zuseher möglich machen, emotional ins Geschehen einzutauchen (eine Spezialität von Jack Hill, die auch seinen vorletzten Film The Jezebels (aka Switchblade Sisters) so grandios macht). Deshalb ist es einem nicht egal, wenn den diversen Charakteren etwas Schlimmes zustößt, und nach dem spektakulären, hochdramatischen Finale haben sich die Reihen der Hauptfiguren auch stark gelichtet. In The Big Doll House herrscht Frauenpower pur! Hier haben nur die Mädels etwas zu sagen und die Männer (die sehr rar gesät sind) mal so überhaupt nichts zu melden. Das sogenannte starke Geschlecht wird entweder für die Erreichung eines Zieles benutzt (z. B. für den geplanten Ausbruch) oder aber als (Sex-)Spielzeug mißbraucht ("Get it up, or I'll cut it off!"). Starke und selbstbewußte Frauen, wohin man nur schaut. Auch das ist nichts Ungewöhnliches in den Filmen von Jack Hill, der seinen Heldinnen oft noch so coole wie smarte Worte in den Mund legt. Gäbe es eine Rangliste der unterschätztesten Regisseure, dann hätte Jack Hill einen Stammplatz in den Top Ten abonniert. Das einzig Ärgerliche an The Big Doll House ist das Ende, denn aus mir unbekannten Gründen wurde der letzte gesprochene Satz nachsynchronisiert (alles andere als subtil noch dazu) und das ursprüngliche Ende somit ins Gegenteil verkehrt. Ein kleiner Satz mit großer Wirkung, der die Euphorie leider etwas dämpft. Aber dies ist auch das einzige Haar, das ich in dieser ansonsten vorzüglich mundenden Filmsuppe finden kann. Daß The Big Doll House bis dato im deutschsprachigen Raum noch nicht veröffentlicht wurde, ist erstens höchst unverdient und zweitens ein mittelschweres Vergehen, das unter Strafe gestellt gehört! Immerhin handelt es sich hier um Filmgeschichte, die mal eben so verpennt wird.