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Zehn Jahre nach dem Überraschungserfolg seines direkt zum Kultfilm avancierten „Pulp Fiction“ legte Regisseur und Filmnerd Quentin Tarantino mit dem knapp viereinhalbstündigen Kampfkunst-Epos „Kill Bill“ – durch Druck der Produktionsfirma erzwungenermaßen auf zwei Filme aufgeteilt – seine ultimative Hommage an die alten Kampfkunststreifen aus Japan und Hongkong vor – und auch den absoluten Höhepunkt seines bisherigen filmischen Schaffens.

„Kill Bill Vol. 1“ ist eine phänomenale Melange aus Stilen und Inszenierungsweisen, die sich gleichermaßen aus Hollywood-Action- und Rachestreifen und fernöstlichen Kampfkunstwerken speist und der an sich eher zu vernachlässigenden Story – eine ehemalige Killerin wurde von ihrem ehemaligen Boss auf ihrer Hochzeit hochschwanger niedergemacht und sinnt vier Jahre später, aus dem Koma erwacht und schnell wieder bei neuen Kräften, auf blutige Rache an der gesamten Killertruppe – eine epische Tiefe verleiht, die ihresgleichen sucht. Der unverkennbare Hang zum Pathos wird dabei durch Tarantinos typischen bösen Humor konterkariert: ironische Brüche, skurrile Dialoge, unerwartete Auflösungen von Standard-Genreszenen – ob der einleitende Kampf auf Leben und Tod zwischen Uma Thurman und Vivica A. Fox, der durch die Ankunft ihrer kleinen Tochter unterbrochen wird, die zeremonielle Übergabe eines extra geschmiedeten Samurai-Schwerts für Thurmans weiteren Rachefeldzug oder die in blutrünstigster Anime-Tradition dargestellte Backgroundstory für Lucy Lius pechschwarze Figur (übrigens wurde Liu niemals zuvor und niemals wieder so unglaublich cool in Szene gesetzt). Durch sein hohes Erzähltempo, grandios choreografierte Kämpfe und unglaubliche Blutbäder behält dieser Film durchgehend einen unfassbar hohen Unterhaltungsgrad bei, der nicht eine einzige Sekunde durchhängt oder gar Langeweile aufkommen lässt.

Auch in anderer Hinsicht ist „Kill Bill“ Tarantinos Jupiter: Er war ja schon von seinem ersten Film an ein Meister der anspielungs- und zitatreichen Verneigung vor filmischen Vorbildern quer durch die Kinohistorie. Doch das Feuerwerk, das hier gezündet wird, stellt alles andere in seinem früheren Schaffen in den Schatten. Buchstäblich alles hier ist Anspielung, Zitat, Andeutung, Gag: Kamerazooms und -einstellungen, Ausstattung, Kostüme, Besetzung, Rollennamen, Handlungsorte – und, wie könnte es bei Tarantino anders sein, die Musik. Jeder einzelne Song hier hat in irgendeiner Weise eine Verbindung zur Filmgeschichte, und doch wirkt jeder Song so, als wäre er nur für diesen Film konzipiert – so brillant untermalt, nein, intensiviert und steigert hier der Einsatz des Soundtracks sämtliche Szenen. Ob das der Einmarsch von Lucy Liu samt Gefolge in das Lokal ist, in dem es schließlich zum finalen Blutbad kommt, die melancholische Nancy-Sinatra-Klage zur Rückblende auf den versuchten Mord der Hochschwangeren oder das Gänsehaut erzeugende Finale im verschneiten japanischen Garten – so unfassbar genial gingen Soundtrack und Inszenierung selten in der gesamten Filmgeschichte Hand in Hand einher. Selbst im Vergleich zum Kultfilm „Pulp Fiction“ ist dieser Score noch einmal eine gewaltige Steigerung, atemberaubend, ja man kann es sagen: perfekt!

Und trotz dieses auf allen filmischen Ebenen selbst für Tarantino-Verhältnisse bombastischen Anspielungsgewitters ist „Kill Bill“ zugleich ein ureigenster Tarantino-Film: Er nimmt diese unendlichen Zitate und vermischt sie nicht nur, sondern kreiert etwas völlig Neues daraus. Die Geschichte der Braut wird in all ihrer Tragik und unglaublichen Brutalität ausgebreitet; ihre emotionalen Tiefen werden ebenso gezeigt wie ihr unbarmherziger Wunsch nach Rache. Die Story mag banal sein und immer wieder durch haarsträubend unsinnige Detailschwächen und Logikfehler auffallen, doch das stört nicht nur nicht, es passt eigentlich sehr gut in eine Hommage an Filme, die selbst jahrzehntelang auf Glaubwürdigkeit und Realismus gepfiffen haben. Dazu kommt Tarantinos sardonischer Humor, sein Faible für Blutbäder, die diesmal in Anlehnung an Genre-Klassiker wie die „Lone Wolf and Cub“-Reihe völlig neue Dimensionen des irrsinnigen Gemetzels annehmen – ganz nebenbei dürfte der finale Kampf gegen die „Tödlichen 88“ zu den genialst choreografierten Kampfsequenzen der Filmgeschichte gehören – und seine Fähigkeit, seine Charaktere ironisch zu brechen und sie trotzdem weiter ernst zu nehmen. Die Braut ist von einer so tiefen Tragik, dass man ihr jeden getöteten Gegner gönnt, und die kurze Szene, in der Michael Madsen meint, sie habe ihre Rache und der Rest der Gruppe den Tod verdient, lässt bereits einen Hauch der brutalen Melancholie erahnen, die dann im zweiten Teil viel mehr Raum bekommt. Dazu kommt, dass Tarantino seinem Stil treu bleibt, einzelne Szenen enorm auszudehnen, geradezu zu zelebrieren, und ihnen dadurch eine epische Tiefe zu verleihen, die ihnen von der reinen flachen Handlungsoberfläche gar nicht zukommt.

Ganz abgesehen davon ist „Kill Bill Vol. 1“ auch ein Musterbeispiel dafür, wie man den Male Gaze elegant umgehen kann: Uma Thurman als ultrabrutale Kämpferin wird von einem Mann inszeniert, ohne jemals sexualisiert zu werden. Ganz im Gegenteil darf sie mehrmals und ohne jede Rücksicht auf Verluste männliche Gewalt, Ausbeutung und Vergewaltigung bestrafen – man bedenke nur, auf welch krasse Weise sie an den „Pussy Wagon“ gelangt. Selbst Sigourney Weaver, einige Dekaden lang die Actionheldin Nr. 1, hatte in „Alien“ noch mehr Haut zeigen sollen. Für diese grandiose Darstellung einer weiblichen Kämpferin in einer männlich-grausamen Welt kann man diesem Film gar nicht genug Lob zollen – auch das übrigens ein Höhepunkt in Tarantinos Schaffen, der sich bis hierher mit jedem Film näher an durchsetzungsstarke, selbstbewusste Frauenrollen herangeschrieben hatte.

„Kill Bill Vol. 1“ ist vieles zugleich: eine tiefe Verbeugung vor den Kampfkunstfilmen vergangener Jahrzehnte, zugleich selbst ein atemberaubend inszeniertes Meisterwerk dieses Genres, das sich vor offensichtlichen Vorbildern wie „Lady Snowblood“ oder den „Sasori“-Filmen nicht zu verstecken braucht; ein meisterhaftes Rache-Epos, das mit brachialsten, comichaft überzogenen Gewalträuschen eines der blutigsten Mainstreamwerke der 2000er darstellt, gleichzeitig aber auch immer wieder emotionale Tiefe und pathetische Intensität erreicht; und nicht zuletzt einfach ein unfassbar unterhaltsamer Actionstreifen, der dann auch noch mit einem irrwitzigen Cliffhanger endet und geradezu dazu zwingt, direkt zum zweiten Teil weiterzuspringen. Ein Meisterwerk für die Ewigkeit und definitiv der handwerklich vollendete Höhepunkt in Tarantinos Gangsterfilm-Phase.

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