Review

Gesamtbesprechung

---{«In liebevollen Andenken an die Frederike, 2014-2023»}---

Die Karriere des noch jungen Filmemachers Jazz Boon a.k.a. Man Wai-hung als Regisseur hat sich seit der ersten Aufnahme der Tätigkeit mit der Fernsehserie Invincible Vanguard (1995) stetig weiter entwickelt und mit der Serienumsetzung Line Walker (2014) sowie vor allem den beiden davon losgelösten, nicht gänzlich unabhängigen, aber eher thematisch verbundenen Kinoerfolgen Line Walker (2016) und Line Walker 2: Invisible Spy (2019) ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Dazwischen lagen zwei weitere und auch zwei weitere dem Actionbereich zugeordnete Serien, das auch als Period Piece und Martial Arts Drama zuordenbare A Fist Within Four Walls (2016) und das zeitgenössische The Unholy Alliance (2017); beide mit Hauptdarsteller Ruco Chan, der spätestens damit zum Genrefavoriten und TVBs Mann fürs Genre empor stieg:

Der in Taiwan in aller Friedlichkeit lebende Ko Chi-Kit [ Ruco Chan ] wird eines Tages von einer Schar Attentäter angegriffen, seine ihn aufziehende Tante Tse Che-Mei [ Nina Paw ] dabei getötet, und Ko auch verletzt; er entkommt nur mithilfe der bis dato sich auch als harmlos gebenden Yuen Tsing-Yan [ Nancy Wu ]. Yuen arbeitet dabei im Auftrag von Ling Hung [ auch Nina Paw ], die in HK Vorstand einer heimlichen Allianz aus mehr oder minder integren Geschäftsleuten ist, und ebenfalls gerade mitsamt ihrem Adoptivsohn Kent Ling Tsin-Yau [ Joel Chan ] und ihrer rechten Hand Yik Siu-Fung [ Jimmy Au ] angegriffen wurde, dahinter steckt die vom Allianz-Mitglied Dai Tsad [ Stephen Ho ] engagierte Viet Tiger Gang, die wiederum nur Vorwand von Wai Lui [ Samuel Kwok ], der neben Councellor Lau Chak-Shing [ Timothy Cheng ] ärgsten Konkurrenz von Ling Hung ist. Während sich Ko nach HK begibt, um mitsamt seines dortigen Freundes Dai Fa-Chun [ Oscar Leung ] mehr über die Hintergründe zu erfahren, ist vor allem die restliche Ling-Familie, bestehend aus u.a. Ricky Ling Chi-Sin [ Pierre Ngo ], Jason Ling Lit [ Cheung Kwok-Keung ], Anthony Ling Ka-Ming [ Alex Lam ] sehr besorgt um die zunehmende Gefahr; was auch für Kate Wai Yi-Yau [ Elaine Yiu ], der Verlobten von Kent Ling, aber gleichzeitig der Tochter von Wai Lui gilt.

Mächtig in die Vollen geht dabei der Vorspann, es wird explodiert und geschossen, als gäbe es kein Morgen, ein Actionintermezzo jagt das andere, dazu eine Anpeilung an das Volk wie ein Genrebastard aus Bond und Mission Impossible, wobei letzteres auch öfters mal als Quelle und Referenz seitens der Filmemacher auftaucht und damit gilt. Das Ganze allerdings nicht in der ernsten, sondern der kunterbunten Verpackung, als abenteuerliche Komödie, mit auch lautmalerischen und humoristisch offensiven Szenen, dem gefürchteten Kanton-Humor, der landestypisch und nicht jedermanns Sache so ist. So bietet die Eröffnung in Taiwan, die auch verbal eingeleitet wird mit dem Hinweis, dass das Geschehen parallel dazu (und mit genauer Zeitangabe) auch in HK vor sich geht und stattfindet, schon seine ersten Ausflüge in die Tourismus- und Urlaubsbilder, hat aber ebenso Anwandlungen in den frivolen Slapstick und andere pointierte Irrtümer. Gezündet wird ein Unterhaltungsbömbli mit viel Abwechslung und schnellen Schnitten, mit einem lieblichen holzgetäfelten B&B als familiären Rückzug und kleineren physischen Szenen.

A while later in Hong Kong“ ist eine andere Situation geschaffen und viel größer, geht es um ein Businesskonglomerat, das deutlich Dreck am Stecken hat, also wie es sich für so eine Geschichte mit 28 Episoden auch gehört, und dem Ärger mit dem Geschäft, darunter der unleidlichen Konkurrenz, aber auch der zu neugierigen Presse, die auch schon auf der Fährte ist, aber erstmal abgewatscht wird. Hier bei dem Szenewechsel hin zu einem sich selbst lobenden Bankett wird auch die stets 'gleichbleibende' Verwendung der lokalen Darsteller bzw. der Vertragsschauspieler von TVB wieder auffällig und gar positiv deutlich, eine Gemengelage von gleich mehreren bekannten Gesichtern, die dem Neuling das personenbezogene Verständnis aufgrund der Masse an Rollen bestimmt schwierig machen würden, für den Stammzuschauer aber mit hilfreicher Orientierung schon ist. Eine blutige Auseinandersetzung während eines Drogentransports eröffnet den Reigen der Actionszenen, ist aber orchestriert und gleichzeitig über- und schwach inszeniert, während eine kurze anschließende Autohatz mit dem späten Eingreifen der Polizei als weitere Gruppierung immerhin solide, aber auch mehr glänzend als nassforsch ist. Zwei Massenschießereien zum Ende der Einleitung fordern unzählige Schergen als Bauernopfer, zudem gibt es aus dem Appetizer das durch die Lüfte wirbelnde Auto, welches nach einem Treffer in den Tank und spätestens nach dem Aufprall auf den Boden endgültig den Geist aufgibt.

Überhaupt sieht die Produktion teuer und edel aus, die “Amazing Summer“ - Einladung zur Primetime für die Daheimgebliebenen und die Couch Potatoes, für die ganze Familie auch und auch im Bildkader mit Großsippen und einem Dutzend Menschen am Abendbrottisch allein schon gefüllt. Beruflich wird ebenso mehr geklotzt als gekleckert und die wichtigsten Entscheidungen in der 33. Etage thronend über der Stadt getroffen und erfüllt, privat sind die Behausungen auch mehrdimensional, aber wie aus dem Museumsfundus geliefert, speziell die knatschgelbe Mansion der Ling, welche frühe Achtziger bestimmt mal gefragt war, Mitte der Zehnerjahre aber eher Antiquität, Vintage oder einfach nur abgelaufener Plunder ist.

Episode 2 stellt die entscheidenden Fragen, die sich vor allem aus dem Actionfinale der Pilotfolge ergeben, das Warum, das Wer, das Was, das Wie; beantwortet wird das hier natürlich noch nicht, das Ratespiel, die allgemeine Verwirrung vor allem bei der Hauptperson, und auch die Parallelität der Ereignisse wird erstmal weiter getrieben. Niemand soll man vertrauen, eine Paranoia macht sich breit, die Welt ist auf den Kopf gestellt. Das Geschehen ist zuerst ländlich, ein Erkunden und ein Wunden lecken aufgrund der vorherigen Angriffe, ein strategischer Rückzug und eine Neuplanung, das Aufsuchen von bekannten Orten und Ersuchen von Informationen, vieles Neu, viel in Bewegung, Geheimnisse allerorten, selbst bei engsten Familienmitgliedern; und derer gibt es wirklich viele. Nach außen hin die heile und vor allem edle Fassade, nach innen schon das Misstrauen, die Widerworte, die gespaltenen Meinungen, das Ausnutzen von Schwachstellen, ein Machtkampf in der Society. Zudem wird die Handlung nun zentral nach HK verlagert, bildet dort den erzählerischen Schwerpunkt, zuweilen auch auf den Straßen der Stadt, den eher schäbigen Behausungen, dem Kleinkriminellentum, nicht nur die obersten Zehntausend. Vorangetrieben wird weiteres in teilweise strammer Montage, Schnitt an Schnitt, eine Autojagd ist sichtlich upgespeedet, was eine weitere Wirkung vermissen lässt. Das Aufspüren erster Anhaltspunkte und eine Observation von Verdächtigen führt zu der Erstürmung eines Schlupfwinkels sowie anderweitig der Beseitigung von Zeugen, es wird geprügelt und geschossen, ein flotter Messerkampf rundet die Episode ab.

In Folge 3 kreuzen sich (während einer Pressekonferenz) die verschiedenen Wege nach einigen Erkundigungen (und dem schlichten Verfolgen der lokalen Nachrichten) das erste Mal, zudem wird ein durchaus kreativer, teilweise sexuell offensiver Wohnzimmerkampf zwischen Mann und Frau geboten, der durchaus seine Aufmerksamkeiten auf sich zieht, nicht bloß aufgrund des Umfeldes, welches eher ein privater Puff bzw. ein dafür aufgestyltes Ambiente ist. Zudem werden weitere Allianzen geschmiedet, für den Ernstfall, und auch einmal die Polizei eingeschaltet, die bis dato gänzlich außen vor war und hier beim ersten Eindruck auch nicht wirklich überzeugend ist. Das allgemeine Gefühl der Serie ist bis einschließlich hier und vor allem hier das einer Grandezza-Seifenoper, abgesehen von den kleineren Actionszenen wie auch einem Zusammenstoß zweier Autos auf der Straße nämlich. In Episode 4 wird ein Bombenanschlag bei einer privaten Musicaldarbietung versucht, außerdem bei der Gegenseite die Infiltration in deren Hauptquartier, kleinere Spannungsmomente, die die Serie aber immer noch etwas unterfordernd wirken lassen, die darstellerischen Leistungen und recht albern wirkende humoristische Einsprengsel inklusive. Eine Schießerei während der Flucht aus dem Hauptquartier ist ebenso spielerisch gehandelt, immerhin bewegt man sich langsam in Richtung Hintermann all der bisherigen Intrigen. In Folge 5 wird (nach einer Schlägerei in einer Umkleidekabine als Strafe für einige Fouls beim Fußballspiel) in einer Rückblende die Hintergründe der 'Romeo-und-Julia' - artigen Beziehung eines der Pärchen in der Handlung geklärt, die Geschichte weit umspannt, in der Zeit zurückgegangen und das dramatische Fundament erhöht. Insgesamt steigt die Aggression in der Episode, der innere Frust auch, wird oftmals hinter dem Rücken agiert oder mit gespaltener Zunge gesprochen oder gar mit der Frau eines Familienmitgliedes im Bett 'interagiert'.

Folge 6 stellt eine Art ratifizierten Prolog dar, die Vorgeschichte der Unholy Alliance, das Kommen und Werden, die Umstände des Ganzen, ein Period Piece Triadenfilm als Kurzfilm, wie ein Prequel, nur als Teaser. Sowohl in der Vergangenheit als auch der Jetztzeit hat die Episode zu Beginn reichlich Radau, schwächeln tun eigentlich noch und dies erstaunlicherweise der Hauptdarsteller Chan; er wird nicht richtig 'von der Leine gelassen' und schauspielerisch wirkt man zuweilen auch unbedarft, besser ist es in festen Interaktionen mit Nancy Wu oder mittlerweile auch Oscar Leung. Zudem gibt es aufgrund eines Subplots (Landgewinnung gegen Widerstände der Bevölkerung sowie Ärger mit Kredithaien) eine Bewegung in die New Territories West, noch weiter weg vom steifen Luxus, als zuvor schon während des Aufenthaltes in Kowloon gegeben war, raus aus dem Pomp und Plüsch, rein in Kingdom of Mob, welcher eine ähnliche dürre, geradezu ärmliche Landschaft mit auch trocken wirkender Natur zeichnete und mit der gleichen Geschichte (Heimat und Erinnerungen gegen Geld, der Dorfälteste als Wortführer gegen den Fortschritt von außen etc.) hausieren ging. In Sachen Logik selber macht die Serie gerade in dieser Episode auch einige große Sprünge, die Geschichte und ihre Abwechslung, die abendliche Unterhaltung ist alles, was zählt, qualitativ hat man die Messlatte auf ein eher niedriges Niveau eingestellt, dafür ist das Tempo mittlerweile recht hoch und die Serie in allen Belangen eingespielt. In Episode 7 gibt es eine geglückte Entführung, eine versuchte und gescheiterte, und eine mittendrin unterbrochene, sowie entsprechende Konfrontationen und Verfolgungsjagden, zweirädrig und vierrädrig. In Episode 8 eine Geiselbefreiung von innen und von außen heraus, in Episode 9 u.a. die Verhinderung eines Anschlages, man erzählt die Geschichte auch vor allem über Taten und nicht nur dem Gerede.

Ab Folge 10, also zu Beginn des zweiten Drittels fährt die Handlung auch einspurig, der Außenseiter aus Taiwan ist nunmehr in die Familie Ling mit aufgenommen, bzw. als Bodyguard zumindest, also noch mit Geheimnistuerei, aber wenigstens in die Nähe der Familie engagiert; Mutter und Sohn haben sich so weit ausgesprochen, dieses erzählerische Problem und damit auch die Eingliederung von Ruco Chan in die Struktur ist erstmal gelöst. Chan hatte bis dato durch sein eher störrisches bis störendes Verhalten auch eher die aufdringlichen und die unsympathischen Szenen, schien immer wie als Extra am Set und im Setting und war anders als viele weitere Rollen und ihre Darsteller auch eher unnatürlich, mit ein anfängliches Hauptproblem der Serie, was nur durch allgemein hohes Tempo und viel Schusswechsel wettgemacht wurde. Dafür ist jetzt die allgemeine Missstimmung innerhalb der Familie und auch innerhalb der Allianz selber deutlicher zum Vorschein gekommen, die Behandlung ist fast wie bei einer altgedienten Seifenoper, also in Richtung Dallas oder Der Denver-Clan (und dessen "Moldavian Wedding Massacre"), nur eben keine Ölmagnaten, sondern Hak Sek Wui Mitglieder. Konferenzen werden einberufen, ein In-House War gestartet, persönliche Animositäten deutlicher gezeigt und auch nicht mehr so Versteck gespielt. Mancherlei Angelegenheiten werden wie in einer Soap dann auch gleich mehrfach und auch mehrfach mit gleichen Worten und zwischen den gleichen Betreffenden diskutiert und auseinander klamüsert. Zudem kommt es spätestens in Episode 12 auch zu Überschneidungen der Bedürfnisse einzelner Personen, das Drama ist schnell hausgemacht, Interessenkonflikte deutlich.

In Folge 13 gibt es drei Bombenanschläge in einer Nacht in schneller Folge, Hinterleute und Gründe dafür unklar, eine Warnung, die noch nicht von allen verstanden wird, von anderen aber umso mehr und laut und deutlich. Eine 'Thai Black Devil Guerilla Force' hat es auf die Lings, einige davon zumindest und das im großen und im groben Stil abgesehen, es gibt Kugelhagel von beiden Seiten und Vfx-Explosionen; sowie ein Aufwecken traumatischer Ereignisse, es wird (für einen Moment) überdreht und dreckig. In Folge 14 steht eine innerfamiliäre Aufklärung an, sowie ein anhaltendes Backstabbing anderer Verwandter, es wird geschnüffelt und fleißig hinter dem Rücken agiert und intrigiert, die 'Katze aus dem Sack gelassen', die Bedrohung und Paranoia verbal forciert, die Fassade ist längst gebrochen, das Gefühlstheater der Hypokriten weiter gespielt, gestichelt und mit deutlichen Andeutungen agiert, sowie eine Entführung trotz Gegenwehr probiert. Die Auflösung des Ganzen in Folge 15 ist recht schlecht geschrieben, und auch so gedreht, wie als wenn allen Beteiligten in der Hälfte der Laufzeit die Lust, die Kreativität und allgemein der Arbeitswillen verloren geht; das täuscht, da in Folge 16 und 17 ein dramatischer Höhepunkt nach dem anderen gesetzt wird. Außerdem wird ab der Zeit in der Serie und von ihr auch vermehrt politisch engagiert, geht es um eine erbitterte Wahlkampagne zum Stadtrat, in der mehrere Parteien mit unterschiedlichem Ansinnen und Methoden, also auch Rufmordaktionen, Verschrecken von Spendengelderaktionen, Erpressungen, Attentaten, Behinderungen von Pressekonferenzen, Wahlbetrug etc. involviert sind.

Das letzte Drittel legt noch ein wenig den Finger in die narrative Wunde, es gibt u.a. einen aktionsreichen Ausflug zurück nach Taiwan, speziell Taipeh und Jingtong, in das dortige Gangstergefilde, es wird etwas in Mandarin parliert, sich auf einem öffentlichen Markt mitten in der Gesellschaft duelliert, Beziehungen verschärft und gebrochen, der Kitsch angezogen, auf der Klaviatur von Liebe/Romantik gespielt, die Gefahren vermehrt, die Dramatik hoch gezerrt, neue Antagonisten und ebensolche Kriegsgebiete installiert. Viele Schusswechsel gegen im schwarzen Anzug gekleidete Handlanger und das allgemeine Heroic Bloodshed Milieu hier plus der Szenerie erinnern gerade in Episode 20/21 vermehrt an A Better Tomorrow und Co., nun geht es auch etwas blutiger zur Sache und werden ab und an jetzt eindeutig die Verhältnisse, wenn auch mit zahlreichen Verlusten und späten Einsichten geklärt.












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