Review

Was beim Erscheinen des rein auf Netflix veröffentlichten und dort als Original gelisteten Badland Hunters (2024) die Wenigsten wussten und wahrscheinlich auch die Wenigsten interessierte: Der Film ist eine Art Sequel, zu Concrete Utopia (2023) nämlich, beide nutzen die gleiche Quelle (Kim Sung-nyungs Webtoon "Cheerful Outcast"), dieser hier ist eher produziert, eher erschienen, er spielt vorher in der Zeitlinie und er ist auch im Kino gelaufen, nicht 'bloß' auf dem Streamingdienst. Narrativ und damit auch tonal sind die Filme komplett gegensätzlich, das Herkunftsland schon das Einzige, was beide Produktionen verbindet, selbst die angesprochene Klientel dürfte unterschiedlich sein, der Anspruch differenzierend:

Seoul ist über Nacht nach einem Erdbeben nahezu komplett zerstört, jegliche Verbindung zur Außenwelt auch abgebrochen. Wie durch ein Wunder steht noch ein Apartmentkomplex inmitten der Trümmer, welches zunehmend neben den regulären Bewohnern auch von den Überlebenden von außen aufgesucht wird, da es zumindest etwas Schutz vor Kälte und auch dem Überlebenskampf bietet. Aufgrund knapper Vorräte beschließt ein von Kim Geum-ae [ Kim Sun-young ], der Präsidentin des Frauenvereins, eingesetztes Komitee der Imperial Palace Apartments die Vertreibung der 'Kakerlaken', also der nicht wohnberechtigten, ausgewählt als Anführer der Gruppierung wird Kim Yeong-tak [ Lee Byung-hun ]. Währenddessen sind sich das Pärchen Kim Min-sung [ Park Seo-joon ], ein ehemals öffentlich Angestellter, und Myeong-hwa [ Park Bo-young ], eine Krankenschwester, unsicher und uneins, wie sie mit der steigenden Härte ihrer Mitmenschen umgehen sollen.

Anders als der 'fröhliche' Post-apokalyptische Reißer für den schnellen Konsum dort, wird hier ein Katastrophendrama entwickelt, aus der Historie heraus, ein Wohnkomplex in Augenschein genommen, ein Viertel voller dicht und dicht gedrängter Hochhäuser, die erstmal anonym gehalten sind und dennoch Massen von Menschen behausen, ihnen ein Dach über den Kopf und vier Wände schenken, als Wald aus Zement, als Koloss aus zusammengesetzten Bauelementen. Mit geschichtlichen Bildern unterschiedlicher Ursprungs wird begonnen, mit dem ersten Spatenstich quasi, mit der Verteilung der Bevölkerung, manche nur auf gut Glück ein Apartment ergattert, durch eine Lotterie, tatsächlich; und auch die Veränderung der Meinung über diese Moloch, eingangs positiv empfunden, als Chance auf eine Wohnung für eine stetig wachsende Zivilisation, später als Untergang dessen. Technischer Fortschritt, architektonischer Wahnsinn, Verschandelung der Umwelt, Begrenzung der Menschlichkeit oder doch ein Zusammenrücken der Gesellschaft: Bald reißt ein grollendes, brüllendes, mit Flammen tobendes Erdbeben alles auf, Seoul in Schutt und Asche, genau ein Gebäude mittig bleibt stehen und bleibt über, erstmal Glück im Unglück, dann Concrete Utopia. Der Strom ist weg, die Obrigkeit nicht zu erreichen, die Vorräte sind begrenzt, das Wasser wird bereits gesammelt und rationiert, eine humanitäre Katastrophe hat stattgefunden und wird auch noch zünftig stattfinden, es werden jetzt schon die überschaubaren Vorräte rationiert und reserviert, so viele sind es nicht.

Fragen werden gestellt und Vorschläge und Vorwürfe gemacht, "Wie konnte es passieren?", "Was wäre wenn?", "Was wäre, wenn wir vorher …", "Wie viel ist noch vorhanden und wie lange kommen wir damit hin?", Theorie und Praxis, ein Spielen auf Zeit und mit Hoffnung und Unwägbarkeiten, zudem kommen neben eigenen Problemen schnell die der anderen hinzu. Es ist kalt draußen, es ist alles knapp, es wird an der Tür geklopft und um Hilfe gebeten; der Film mit als menschliches Drama, die Abwägung des eigenen Willens zum Überleben und generell der Egoismus, gegenüber dem Drang zur Empathie und zum Helfen, dem ethischen und dem moralischen Anspruch. Bald wird gefeilscht, es wird auf den Treppen gewohnt, es wird das letzte Hab und Gut gegen Essen und anderes zum Leben und Überleben nötige eingetauscht, die Bedürfnispyramide betrachtet, allesamt in blau-/grau metallischen Ton.

Aufgrund der speziellen Situation entwickelt sich auch eine Satire, es ist kein Melodram, es ist eine Zustandsbeschreibung, ein extremes Szenario, eine Verlängerung von Sinkhole; in den unteren Etagen löst sich ein Schuss und explodiert eine Wohnung, die Überforderung ist stets da, die Anspannung groß. "You can die rationally, I'm going to live dramatically!"; Humor wird gesucht und gefunden, auch wenn es nur pechschwarzer oder gleich Sarkasmus und Zynismus ist. Das Ende der Welt, wie sie die Leute hier kennen, als Gedankenspiel, als eine Art erzählerisches Experiment, als Beobachtung der Umstände und der Personen in ihnen, manche hervorstehend, viele nur mit mitlaufender Masse, manche auch Außenseiter, es geht auch immer noch um Klassenkämpfe, um Standesunterschiede, um Mieter und Eigentümer, um Geschlechter und die Fähigkeiten, die man vor der Katastrophe hatte und die man jetzt mitbringt, eine Kosten-Nutzen-Analyse; ein Hervorbringen des Guten im Menschen, und des Schlechten.

Die Naturkatastrophe selber wird nur eingangs kurz in imposanter Weise, dann meist in Rückblenden im Auszug gezeigt, tricktechnisch aufwändig, aber nicht in dem Ausmaß, dass der Film zum Spektakel wird, nicht der Fokussierung darauf, es geht rein um die Gruppendynamik danach, die Beratschlagen, das Formieren einer Leitung, die ersten Problematiken. Ein Reset hat stattgefunden, es wird noch versucht, sich auf alte Gegebenheiten und Zustände zu konzentrieren, muss man sich aber davon lösen; Gewohnheiten haben sich geändert, täglich stehen neue Herausforderungen an, der Alltag ist vorbei, das Leben jetzt als Überleben. "Frauen und Kinder zuerst" geltet hier übrigens auch nicht mehr, der Film ist weniger Science Fiction, trotz der Prämisse, er könnte auch hier und heute und mit diversen anderen Anlässen und Ursachen so ablaufen und spielen. Bald bricht Gewalt aus, Mann gegen Mann, eine Verbreitung im großen Stil, ein Aufstand, ein Massenprotest, die Errichtung einer Sperrzone, die Inszenierung als stiller Beobachter des Ganzen, als Begleiter von außen, mit unterschiedlichen Perspektiven, mit diversen Identifikationen, mit Verständnis und mit Missverständnissen. 

Erst scheint nach dem Vertreiben der Nicht-Bewohner und dem Aufstellen von neuen Anordnungen und Anforderungen auch alles in Ordnung, es wird viel gelächelt und gegrinst, es werden mit den Händen kleine Herzen geformt. Eine Nachbarschaftshilfe für den Moment, ein Vortäuschen auch der Tatsachen auch, ein Verdrängen der Zukunft, wird im Hier und Heute und dies in einer zufällig verbundenen, aber umso engeren Gemeinschaft, in einer Art Teamarbeit gelebt. Die Toten da draußen stören derzeit keinen, sie werden bei 'Besichtigungen' der umliegenden Areale, bei 'Feldzügen' zur Verbesserung der Nahrungskette sicherlich gesehen, aber nicht wirklich registriert, sie werden ausgeblendet, es wird sich von den Menschen hier und auch dem Regisseur auf andere Dinge, auf die Sozialkritik, die fortschreitende Dystopie, die Diktatur, die Degradierung, die Misanthropie, den aufkeimenden Faschismus konzentriert. Bald kommen böse Wahrheiten zum Vorschein, werden die Identitäten aufgelöst, die Vorgeschichte spielt auch eine Rolle, das frühere Befinden, es geht um Verfehlungen, um Trauma, um Mord und Totschlag, es geht um einen Lynchmob, Selbstjustiz und einen Krieg gegen Ausgestoßene, um das ganz reale, hier unter dem Mikroskop befindliche Leben.






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