Eine Odyssee im Staub
George Miller, mittlerweile stolze 79 Jahre alt und offenbar mit mehr Benzin im Blut als die halbe Filmindustrie zusammen, kehrt zurück in sein postapokalyptisches Spielzeugland aus Motoröl, Schweiß und Wahn. Nachdem er 2015 mit Mad Max: Fury Road das Actionkino in seine atomaren Bestandteile zerlegte und mit delirierender Wucht neu zusammensetzte, legt er nun die Vorgeschichte nach: Furiosa: A Mad Max Saga. Die Kriegerin, die in Fury Road von Charlize Theron so ikonisch verkörpert wurde, bekommt ihre eigene Origin-Story.
Doch wer hier den gleichen Orkan aus Adrenalin und Explosionen erwartet, wie beim letzten Wüstenritt, der sollte sich anschnallen – aber die Erwartungen lieber etwas runterregeln. Furiosa ist kein zweiter Fury Road. Er ist weniger ein Nachbrenner als ein Rückblick, weniger Rausch als Reflexion. Miller erzählt, woher jene Frau kam, die einst mit rasierter Kopfhaut und geballtem Widerstand die Leinwand dominierte. Und auch wenn Furiosa nicht den irrsinnigen Sog des Vorgängers erreicht, gelingt ihm ein Film, der in seiner Wucht, seinem Weltentwurf und seiner handwerklichen Präzision weit über dem Genre-Durchschnitt liegt. Ein postapokalyptisches Epos mit Charakter – und Charakter hat hier tatsächlich Vorrang vor Chaos.
Die Geschichte beginnt, wie alle guten Endzeitmärchen beginnen sollten: irgendwo zwischen Hoffnung und Staub. Furiosa (diesmal gespielt von der jungen Alyla Browne, später von Anya Taylor-Joy übernommen) wächst in einem kleinen, grünen Paradies auf – einem letzten Tropfen Leben in einer Welt, die längst verdorrt ist. Als sie entführt wird, gerät sie in die Hände von Dementus (Chris Hemsworth), einem selbsternannten Kriegsherrn, der irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Diktator changiert. Seine Armeen ziehen durch die Einöde, getrieben vom Hunger nach Macht und Benzin. Was folgt, ist weniger ein klassischer Actionfilm als eine düstere Heldenreise. Furiosa wird zur Überlebenskünstlerin, zur Kriegerin, zum Symbol. Der Film begleitet sie über Jahre hinweg – von der Gefangenen zur Rachegöttin, zur Furiosa die wir aus Fury Road kennen. George Miller erzählt das mit epischer Geduld, manchmal fast meditativ, manchmal wild wie ein durchdrehender V8-Motor.
Wo Fury Road ein pausenloser Raketenritt war, ist Furiosa weniger ein Roadmovie als eine Wüsten-Odyssee, in Kapitel gegliedert, getragen von Motiven wie Verlust, Überleben und der Suche nach einer verlorenen Welt. Das Tempo schwankt. Wo Fury Road nie innehielt, erlaubt Furiosa sich den Luxus der Reflexion. Das ist wohltuend, weil es die Figur vertieft - man spürt, dass Miller diesmal mehr über Herkunft und Identität erzählen will – aber nicht immer mitreißend, denn gelegentlich fehlt der Drive, dieser unerbittliche Vorwärtsdrang, der Fury Road so einzigartig machte. George Miller ist diesmal nicht der Berserker des Kinos, sondern der Chronist seiner eigenen Apokalypse.
Vom Mädchen zur Mythosmaschine
Gemeinsam mit Nico Lathouris hat Miller ein Drehbuch verfasst, das sich als Brücke zwischen Epos und Charakterstudie versteht. Furiosa ist nicht bloß ein weiteres Kapitel aus dem „Mad Max“-Universum, sondern eine Versuchsanordnung über Herkunft, Identität und das Überleben im moralischen Vakuum. Der Film nimmt sich Zeit, Furiosas Entwicklung zu zeigen. Die Titelfigur wird dabei weniger als Superheldin inszeniert, sondern als Überlebende, die im Angesicht der Hölle ihre Menschlichkeit bewahren will. Anya Taylor-Joy, die Furiosa im Erwachsenenalter verkörpert, ist wie zu erwarten, grandios. Sie spricht wenig, aber jede Bewegung, jeder Blick ist präzise, fokussiert, elektrisierend – sie spielt Furiosa mit fast stoischer Intensität. Ihre Performance lebt von Blicken, nicht von Worten. In ihren Augen spiegelt sich jene unstillbare Mischung aus Zorn und Hoffnung, die den Film trägt. Chris Hemsworth liefert als Dementus eine echte Überraschung: ein sadistischer, theatralischer, manchmal fast tragikomischer Warlord mit Clownsnase und Vaterkomplex. Es ist eine Performance zwischen Wahnsinn und Charme – fast so, als hätte Thor in der Wüste den Verstand verloren und beschlossen, eine Sekte zu gründen. Hemsworth kostet die groteske Überzeichnung aus, die Miller ihm gönnt, und spielt Dementus mit sichtlicher Lust am Exzess
In ästhetischer Hinsicht bleibt Furiosa unverkennbar ein Werk George Millers - ein postapokalyptisches Opernstück in Stahl und Flammen. Alles ist größer, dreckiger, lauter – und doch merkwürdig poetisch. Furiosa wirkt stellenweise kontrollierter, weniger manisch als Fury Road. Wo der Vorgänger ein visuelles Dauerfeuer war, gönnt sich Miller hier mehr Ruhe, mehr Atempausen. Das ist filmisch reizvoll, aber emotional nicht immer so zwingend. Der Wahnsinn, der Fury Road so befreit wirkte, ist hier etwas gezähmt. Manchmal hat man das Gefühl, Miller sei zum Philosophen seiner eigenen Apokalypse geworden – und das ist faszinierend, wenn auch nicht immer fesselnd.
Natürlich, es wäre kein Mad-Max-Film ohne furiose (Wortspiel beabsichtigt) Action. Und Furiosa liefert. Motorräder rasen durch Sandstürme, Flammenwerfer zeichnen Infernos in den Himmel, Fahrzeuge explodieren in ästhetischer Perfektion. Die Actionsequenzen sind, wie von Miller zu erwarten, präzise komponiert, wuchtig inszeniert und handwerklich brillant. Doch, und das muss man sagen: die Action erreicht nie ganz den Punch von Fury Road. Sie besitzen nicht mehr jenen rohen, fast anarchischen Impuls, der Fury Road so elektrisierend machte. Vielleicht, weil wir das alles schon einmal gesehen haben – nur noch wilder, noch atemloser. Vielleicht, weil die emotionalen Stakes diesmal komplexer sind. Die Action ist fantastisch choreografiert, keine Frage, aber sie hat weniger dieses anarchische „Oh mein Gott, das passiert wirklich?!“-Gefühl. Statt Orkan gibt’s hier kontrollierten Sturm – beeindruckend, aber eben auch berechenbarer. Das ändert jedoch nichts daran, dass es kaum einen Regisseur gibt, der kinetische Energie so präzise zu orchestrieren versteht.
Visuell ist Furiosa eine Wucht. Kamermann Simon Duggan fängt die Wüstenlandschaften mit einem Auge für Mythos und Melancholie ein. Es ist weniger grell als in Fury Road, etwas erdiger, realistischer, aber immer noch von beeindruckender Wucht. Der Score von Tom Holkenborg alias Junkie XL dröhnt wieder mit apokalyptischem Pathos, aber diesmal mit subtileren Zwischentönen. Wo früher Trommeln und Gitarren den Wahnsinn antrieben, fließen hier melancholische Streicher ein.
Fazit
Furiosa: A Mad Max Saga ist kein zweiter Fury Road, und das will er auch gar nicht sein. Statt einer Dauerexplosion serviert George Miller diesmal eine Charakterstudie im Wüstenstaub, eine Mischung aus Tragödie, Mythos und Motoröl. Es ist weniger exzessiv, dafür introspektiver. Miller zeigt, dass auch im postapokalyptischen Inferno Platz für Entwicklung und Nuancen ist. Dass Gewalt und Empathie, Chaos und Ordnung, Stahl und Seele einander nicht ausschließen müssen. Natürlich vermisst man den Wahnsinn, den Drive, das Gefühl, dass jede Sekunde alles in Flammen aufgehen könnte. Aber man bekommt etwas anderes: Tiefe, Kontext, Emotion. Am Ende bleibt ein Film, der beeindruckt, aber nicht überwältigt. Ein Film, der die Welt von Mad Max nicht einfach erweitert, sondern veredelt – ohne dabei den Nitro-Kick des Vorgängers ganz zu erreichen.