Ein mexikanischer Kartellboss möchte aussteigen und Gewalt und Kriminalität hinter sich lassen. Doch nicht nur das: Bei der Gelegenheit will er seinen großen Traum verwirklichen und endlich als geschlechtsangepasste Frau weiterleben. Eine Anwältin soll ihm helfen. Und tatsächlich: Der Plan gelingt, er täuscht seinen Tod vor und lebt fortan als Emilia Pérez weiter. Doch die Sehnsucht nach seinen Kindern und sein altes herrisches Gemüt lassen die Dämonen seiner Vergangenheit wieder auferstehen.
Diese vielschichtige und spannende Geschichte inszeniert Regisseur Jacques Audiard als Musical mit Thriller- und Drama-Elementen, das dank seiner temporeichen Umsetzung, starker Darstellenden und packender Musikeinlagen durchgehend unterhält. Die stilistische Mixtur erweist sich dabei als ähnlich originell wie die Grundstory – und als herausragendes inszenatorisches Mittel: Die mitreißenden Songs, die textlich auf diverse Probleme Mexikos eingehen (Kartellgewalt, korrupte Behörden, das Verschwindenlassen tausender Menschen), sind fesselnde Musicaleinlagen, die mit bombastischer Choreografie, tollen Licht- und Ausstattungsideen und einer furios dynamischen Kamera, die gerne auch mal an die Tanzenden heranzoomt, an Intensität erzeugen, was das Genre nur hergibt.
Überhaupt zeigt sich „Emilia Pérez“ technisch auf höchstem Niveau: Von den aufwendigen Setdesigns, die zwischen Hochglanzvillen und High-Society-Arztpraxen wie Slums und Wüstenverstecken pendeln, über die beeindruckend bewegliche Kamera, die permanent zwischen Nahaufnahmen und starken Masseneinstellungen wechselt, bis zur leicht surrealen, theatralischen Beleuchtung erzeugt der Film durchgehend den Eindruck, in einem High-Class-Produkt der obersten Hollywood-Liga zu sein. Da stören auch eine Handvoll eher mittelmäßiger Computereffekte vor allem im Schlussteil nur wenig.
Auch die Besetzung zeigt sich auf dem Höhepunkt ihres Könnens: Besonders Zoe Saldana als toughe Anwältin sticht nicht nur schauspielerisch, sondern auch tänzerisch und sängerisch heraus. Mit intensiver, ausdrucksstarker Mimik, furioser Tanzchoreografie und packender Körperlichkeit trägt sie einen Großteil des Films und stiehlt selbst der lange gehypten, dann umso umstritteneren Karla Sofía Gascón (immerhin die erste transgeschlechtliche Darstellerin, die für einen Oscar nominiert wurde) ein Stück weit die Show. Aber auch Gascón zeigt die ganze Bandbreite ihres Könnens, changiert zwischen Zärtlichkeit und tiefem Glück in ihrem neuen Körper und alter Brutalität famos hin und her. Neben diesen beiden fallen die zahlreichen Co-Stars, selbst Selena Gomez, ein wenig ab, ohne dass man ihre Leistungen kritisieren könnte. Das gesamte Ensemble zeigt hier wirklich hervorragende, intensive, mitreißende Leistungen.
Das alles kulminiert zu einer packenden, vielschichtigen Geschichte, die diverse gesellschaftspolitische Probleme des modernen Mexiko gekonnt zusammenführt – Femizide, Bandengewalt, Korruption, Machismo und Armut zeigen hier ein erschütterndes Bild einer gestörten Gesellschaft. Ein wenig einfach macht es sich der Film dann allerdings mit der Moral seiner zentralen Figuren – im ganzen Werk taucht kein einziger unbelehrbarer Gewalttäter auf, nein, sie alle bereuen ihre Taten und wollen Wiedergutmachung leisten. Natürlich ist es richtig, dass Gewalt ein Produkt gesellschaftlicher Umstände ist, und viele Gangmitglieder hatten niemals eine realistische Alternative; dennoch wirkt die Argumentation hier doch arg einseitig und ein wenig naiv. Auch die Art und Weise, wie die Gewalttaten Emilia Pérez' durch ihren unbedingten Willen zur Wiedergutmachung allzu einfach beiseite gewischt und verharmlost werden, dürfte Angehörigen echter Gewaltverbrechen etwas aufstoßen.
An solcherlei Details erkennt man dann eben doch, dass „Emilia Pérez“ in erster Linie ein groß budgetierter Unterhaltungsfilm und keine tiefgründige Filmanalyse sein will. Und die Unterhaltung gelingt ihm trotz eines etwas klischeehaften Finales und einzelner Detailschwächen beinahe durchgehend. Tolle, mitreißende Songs, die die Handlung nicht ganz so stark ausbremsen wie sonst oft bei Musicalfilmen, interessante Charaktere, ein hervorragender Cast und eine überwältigende Inszenierung machen ihn zu einem voll und ganz packenden Film, der seine zwei Oscars (wenn auch vielleicht nicht alle zwölf Nominierungen) absolut verdient hat.