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Jacques Audiards kühnes Opernwunder zwischen Kartell, Katharsis und Kitsch

Mit Emilia Pérez legt Jacques Audiard einen Film vor, der mindestens so kühn ist wie seine bisherigen Werke – und dabei ganz neue Territorien betritt. Der französische Ausnahmeregisseur und notorischer Grenzgänger des Erzählkinos, wagt hier einen stilistischen Salto, der selbst hartgesottene Cineasten erst einmal ungläubig zurücklässt. Hier trifft Mexiko-Kartell-Melodrama auf Opernhaftes, Musical auf Krimi, Thriller auf Selbstfindungsgeschichte. Dabei kombiniert er die exaltierteste Opulenz eines Musicals mit der Nervosität eines Thrillers und der emotionalen Schärfe eines dokumentarisch angehauchten Dramas – und genau in diesem Grenzbereich entsteht etwas Frisches, Kühnes, fast schon Unverschämtes. Audiard destilliert daraus einen Film, der so eigensinnig wie eingängig ist, so laut wie zart, so politisch wie verspielt. Und der – bei allem Mut zur Überzeichnung – erstaunlich oft ins Schwarze trifft. Man spürt: Audiard wollte mehr als nur eine Geschichte erzählen – er wollte ein audiovisuelles Spektakel schaffen, ein riskantes Gebilde, das zum Nachdenken anregt, emotional trifft, polarisiert.

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Dieser Film ist ziemlich einzigartig. Audiard hat sich bereits in früheren Werken nicht gescheut, Härte, Gewalt und Emotionalität in ungewohnte Formen zu gießen, doch Emilia Pérez ist etwas anderes: ein musikalisches Thriller-Drama, ein hybrides Biest, das mit einem ironischen Augenaufschlag in Richtung Musical schielt und dabei dennoch tief verankert bleibt in einer düsteren, vom Kartell durchbohrten Gesellschaft. Im Kern ist Emilia Pérez die fesselnde Geschichte von Manitas, einem mächtigen Kartellboss, der nicht nur seine kriminelle Vergangenheit hinter sich lassen will, sondern auch seine Identität neu erfinden – durch eine Geschlechtsumwandlung. Unterstützt wird er dabei von der Anwältin Rita (Zoe Saldaña), die mehr als nur juristische Arbeit leistet; sie wird zur Brücke zwischen Manitas und dem neuen Leben als Emilia Pérez. Rundherum spinnt Audiard ein Geflecht aus Loyalität, Verrat, romantischer Zerrissenheit und existenzieller Sehnsucht. Die Entscheidung zur Transition wird hier nicht als Plot-Trick verkauft, sondern als Ausgangspunkt einer Geschichte, die sich mit Transformation in all ihren Nuancen beschäftigt: gesellschaftlich, psychologisch und körperlich. Das Drehbuch stammt von Audiard selbst, in Zusammenarbeit mit Thomas Bidegain, Léa Mysius und Nicolas Livecchi.

Was das Skript so besonders macht, ist dass es meisterhaft zwischen Genres balanciert: Es gibt Szenen knallharter Thriller-Atmosphäre, Dialoge, die die Existenzfrage berühren, und dann wieder musikalische Ausbrüche, die gerade deshalb so wirkungsvoll sind, weil sie in dieses raue Milieu hineingesetzt werden. Diese Mischung macht den Film ziemlich einzigartig – eine originelle Hybridform, die nicht nur unterhält, sondern auch provoziert. Audiard inszeniert Emilia Pérez mit dem Selbstbewusstsein eines Regisseurs, der weiß, dass er sein Publikum überraschen will. Die Entscheidung, den gesamten Film in einem Studio nahe Paris zu drehen, statt in Mexiko, war ein bewusster stilistischer Schachzug, der das Ganze fast wie ein Bühnenstück oder ein Theater-Musical wirken lässt. Man spürt förmlich die Künstlichkeit, die bei aller Emotionalität nicht verschleiert wird – und genau das verleiht dem Film einen fast traumhaften, surreal-melodramatischen Ton, der zwischen Oper und Pop schwankt. Die Inszenierung ist temporeich, ohne gehetzt zu wirken, und jede Szene scheint sorgfältig choreografiert – nicht nur die Tanz- und Musiknummern, sondern auch die stilleren Momente. Audiard nutzt dieses Spannungsfeld sehr bewusst, um die Transformation seiner Hauptfigur nicht nur narrativ, sondern auch visuell greifbar zu machen.

Zwischen Melodram und Maximalkunst

Die opulenten, wohlkomponierten Musicaleinlagen sind der große Triumph des Films. Die Musik stammt von Clément Ducol und Camille, was schon allein ein Garant für hohe Qualität ist. Die Lieder tragen nicht einfach nur zur Unterhaltung bei, sie erzählen mit – mal sehnsuchtsvoll, mal politisch aufgeladen, mal fast rabenschwarz in ihrer Ironie. Die Ausstattung dieser Nummern ist prächtig: Kostüme, Bühnenbild, Licht – alles wirkt wie aus einem üppigen Musical-Opernhaus entlehnt. Die Choreografien stammen von Damien Jalet und sind in ihrer Dynamik und Eleganz stimmig mit der intensiven Emotionalität der Songs verknüpft. Das Set- und Produktionsdesign ist ein Fest für die Sinne: Die Kulissen wirken reich, fast überladen, sorgfältig ausgearbeitet, mit Liebe zum Detail. Vom prunkvollen Versteck des Kartellbosses bis hin zu den intimeren Räumen von Rita oder Emilia spürt man eine sorgfältige Weltgestaltung, die sowohl Realismus als auch Theatralik verbindet.

Die Besetzung von Emilia Pérez ist durch die Bank exzellent. Zoe Saldaña, die völlig verdient mit einem Oscar geehrt wurde, trägt den Film in vielen Szenen – nicht weil sie dominiert, sondern weil sie verbindet. Sie ist die Brücke zwischen altem und neuem Leben, zwischen Gewalt und Hoffnung, zwischen Schuld und Vergebung. Sie trifft dabei jene seltene Mischung, die Schauspielerinnen auf die großen Preislisten hebt: unaufgeregte Brillanz, unbestechliche Präsenz und ein emotionales Timing, das jede Szene erdet. Karla Sofía Gascón als Emilia/Manitas ist phänomenal: Sie trägt die Doppelbelastung, einerseits als ehemalige Figur des Kartells, andererseits als neu entdeckte Frau, mit solcher Intensität und Authentizität, dass man ihr jede Nuance abnimmt. Ihr Auftritt ist genauso verletzlich wie machtvoll. Selena Gomez wiederum überrascht mit einem Spiel, das subtiler, feiner, kontrollierter ausfällt als das, was man ihr vielleicht zugetraut hätte. Ihr Auftritt fügt dem Film eine emotionale Erdung hinzu, und ihre musikalischen Beiträge sind bedeutungsvoll, nicht bloß schmückend.

Jacques Audiard zögert nicht, in Emilia Pérez gesellschaftliche Debatten anzustoßen: Geschlechtsidentität, Macht, Gewalt, Reue, Kartellstrukturen – es ist kein reines Entertainment-Musical, sondern ein Film mit Rippen. Die Songtexte sind gelegentlich explizit, kritisch, politisch, und sie stützen die Story, ohne plump zu wirken. Gleichzeitig ist der Film nicht frei von Kontroversen: Es gab insbesondere Kritik an der Darstellung Mexikos, am kulturellen Realismus und an der ethnischen Zusammensetzung des Casts. Audiard selbst hat erklärt, er sehe Emilia Pérez eher als „Oper“ denn als realistischen Kommentar. Diese meta-Ebene – Film als Theater, Oper, Fiktion – ist Teil seines Konzepts und trägt durchaus zur Wirkung bei.

Fazit

Emilia Pérez ist ein opulentes, wildes, leidenschaftliches Stück Filmkunst – ein Hybrid aus Musical, Thriller und Drama, der sich jeder klaren Schublade verweigert. Audiard inszeniert auf höchstem Niveau, das Ensemble brilliert, die Musik trägt, die Bilder verzaubern. Es ist ein Film, der polarisiert, aber nicht kaltlässt. Ein Film, der tanzt, singt, kämpft. Ein Film, der lebt. Audiard schafft ein cineastisches Spektakel, das nicht nur durch seine Ästhetik, sondern auch durch sein Thema berührt. Man kann Emilia Pérez vieles vorwerfen – zu viel, zu groß, zu laut –, aber niemals Mutlosigkeit. Niemand sonst hätte sich getraut, in einem Kartellfilm plötzlich einen Chor antreten zu lassen, der gesellschaftspolitische Zeilen singt wie aus einem Protestmärchen. Und niemand sonst hätte diese Momente so organisch in die Geschichte geflochten. Was bleibt ist das Gefühl, einen Film gesehen zu haben, der etwas riskiert. Der sich nicht an Formeln hält. Der sich traut, zu viel zu sein. Und das Kino braucht manchmal genau das.


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