Nach einigen denkwürdigen Filmen, die immer wieder von vernachlässigungswerten Auftragsarbeiten unterbrochen wurden, setzte Hitchcock ab 1934 zu einer ganzen Reihe äußerst erfolgreicher und gelungener Filme an, die ihn zum König des britischen Spannungskino machten und seine Markenzeichen verinnerlichten.
„Die 39 Stufen“ ist nach dem Original von „Der Mann, der zuviel wußte“ der zweite Film dieser Serie, der, wenn auch heute etwas angejahrt wirkend, die meisten Elemente von Hitchcocks Oeuvre unnachahmlich anordnete.
Wieder ist ein Unschuldiger auf der Flucht, der eines Verbrechens Beschuldigte, der nichts getan hat und der gegen die Unbillen seiner Umwelt ankämpfen muß, um seine Unschuld zu beweisen – speziell ist dabei natürlich eine Frau zu überzeugen, die ihm zur Seite stehen muß.
Hitchcock wählte den Roman nicht zuletzt, weil John Buchans Romane in England sehr bekannt waren, Richard Hannay war der Buchheld von vielen Lesesüchtigen dieser Tage.
Hannay, eigentlich Junggeselle und Lebemann, nimmt seine Situation meistens leicht, stets einen (der Zeit angemessenen ) lockeren Spruch auf der Lippe, macht er so lange weiter, bis er nicht mehr kann und er stellt sich dabei äußerst erfindungsreich an. Sicherlich ist er nicht der Geübteste, wenn es darum geht, sich unauffällig zu verhalten, denn er verrät die Existenz der Leiche recht ungeschickt und macht auch sonst Mitreisende und andere Landsleute recht schnell auf sich aufmerksam.
Das Geheimnis hinter allem bleibt wie so oft bei Hitchcock ein Chiffre, ein McGuffin. Weder wird die Spionageorganisation näher definiert, noch spielt die Identität des zu stehlenden Geheimnisses irgendwann eine Rolle (eine Formel für ein neues Triebwerk) – alles ist nur der Motor, der die Handlung vorantreibt.
Die allerdings zerfällt in diesen 85 Minuten in allerlei Einzelepisoden: Reise nach Schottland und Flucht aus dem Zug – Unterschlupf bei einem Farmer – Decouvrierung der Verräter – Flucht aus der Polizeiwache – Flucht in Ketten – eine Nacht in Ketten mit einem hübschen Mädchen – und das alles, ohne daß man der Lösung des Rätsels je sonderlich näher kommt.
Hitchcock ist mehr daran gelegen zu zeigen, wie man Leute davon überzeugt, daß man es wert ist, von ihnen geholfen zu werden, die blonde Pamela gibt sich dabei besonders widerborstig.
Das Finale im Palladium, mit dem sich der Kreis der Handlung schließt, ähnelt dabei ein wenig dem Vorfilm, wieder spielt das Finale an einem Ort der Künste und der Held zwingt den Bösewicht, sich selbst zu enttarnen.
So ist „The 39 Steps“ filmhistorisch gesehen wertvoll, wirkt aber sonst mehr wie eine Blaupause für Hitchs spätere Filme. Der ausgedehnte Hang zu visuellen Einfällen und sonstigen Spielereien ist schon sehr ausgeprägt, manche Momente wirken geradezu genial, wie der Polizeiring, der den Bösling auf der Bühne einkreist; der Schatten eines britischen Polizeihelms an einer Wand, die Silhouette des Flüchtenden gegen die Hügel der Highlands oder ein Finale, daß mit einem sich berührenden Händepaar mehr zeigt, als es tausend Filmküsse könnten.
Sehr auffällig hierbei auch die Neigung zur humorvollen Darstellung: Robert Donats „Hannay“ ist optisch immer noch vom Stummfilm beeinflußt und neigt zur steten Ironisierung; die Dialoge in der Übernachtungssequenz haben fast Screwballformat und eine Sequenz in der Hannay versehentlich für einen politischen Redner gehalten wird und geschickt das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißt, ist ein kleines Humorjuwel.
Auf der Minusseite wirken viele Studioaufnahme heute etwas arg altbacken, jedoch arbeitete Hitch damals mit kleinem Budget.
Für deutsche Zuschauer sei noch angemerkt, daß die deutsche Synchronisation heute nicht mehr gerade sonderlich zeitgemäß wirkt, sie ist oft steif und nicht immer so emotional gefärbt, wie die Szenen es verlangen, auch überdeckt sie den Hintergrundton manchmal völlig.
Ansonsten hat man aber, abgesehen von der Alterspatina einen von Hitchcocks urtypischsten Filmen vor sich, der zwar eigentlich nichts bedeutet, als zu unterhalten, die dafür nötigen Mechanismen aber perfekt beherrscht. (7/10)