Wenn Action zum Fremdschämen wird
Manchmal geht man ins Kino oder drückt auf Play, voller Vorfreude, mit einem kalten Getränk in der Hand und dem festen Glauben, dass gleich die nächste Action-Offenbarung über einen hereinbricht. So erging es mir bei Kill, dem indischen Actionfilm von Nikhil Nagesh Bhat, der im Vorfeld als „The next big thing“ und als die Wiedergeburt des kompromisslosen Actionkinos gefeiert wurde. Ein Film, der im gleichen Atemzug genannt werden könne wie The Raid 2 oder The Night Comes for Us. Nun, nach 105 endlos zerdehnten Minuten, frage ich mich ernsthaft: Habe ich denselben Film gesehen wie diese euphorischen Stimmen? Oder war das Ganze ein soziales Experiment, um herauszufinden, wie viel Dilettantismus ein Mensch aushalten kann, bevor er schreiend aus dem Saal rennt?
Kurz gesagt: Kill ist nicht die indische Antwort auf The Raid – er ist ein cineastischer Verkehrsunfall. Denn wenn The Raid 2 und The Night Comes for Us atemberaubende Hochhäuser sind, gebaut aus Adrenalin, Schmerz und filmischer Präzision, dann ist Kill nichts weiter als ein schiefgezogener Gartenzaun aus Sperrholz, der beim ersten Windstoß in sich zusammenbricht. Statt Action-Granate ein nasser Silvesterkracher. Statt Hochspannung ein Stromausfall. Statt Adrenalin ein Kamillentee. Statt Kunst des Actionkinos: Dilettantismus im Vollwaschgang. Ich war schlicht sprachlos – und zwar nicht im Sinne von überwältigt, sondern von blankem Entsetzen und stellenweise sogar echter Verärgerung.
Plastikwelt statt Pulsschlag
Das Setting klingt nach Genre-Gold: Ein Zug, Terroristen, ein Held – fertig ist der Fahrplan für Spannung pur. Nur dass Kill daraus eine Schienenblockade macht. Die Story tuckert so lahm durch die Landschaft, dass selbst Ikea-Anleitungen mehr Dramatik versprühen. Dramaturgie? Fehlanzeige. Figuren? Kartonaufsteller. Dialoge? So hölzern, dass selbst Pinocchio sagt: „Kollege, entspann dich mal.“
Das Drehbuch wirkt als hätte jemand The Raid, Stirb Langsam und Alarmstufe Rot 2 in den Mixer geworfen, aber vergessen, den Deckel draufzumachen. Herausgekommen ist ein klebriger Klischee-Smoothie, der nach nichts schmeckt, aber irgendwie überall klebt. Jeder Beat ist vorhersehbar, jede Wendung einfallslos, jede Figur austauschbar. Hinzu kommt, dass Kill billig aussieht. Und zwar nicht „charmant-indie-billig“, sondern „RTL-II-Nachmittagsfilm-billig“. Er sieht aus, als wäre er direkt für den Streaming-Müllcontainer produziert worden. Von Atmosphäre keine Spur – es ist ein lebloser, steriler Look, der einem sofort das Gefühl gibt, man schaue eine B-Produktion. Dieses Plastik-Feeling zieht sich durch jede Szene. Man merkt dem Film an, dass er gerne düster und beklemmend wirken möchte – wie seine großen Vorbilder aus Indonesien. Doch wo The Raid mit Schweiß, Blut und Staub förmlich greifbar wird, wirkt Kill wie die weichgespülte Version, in der selbst das Kunstblut aus der Resteverwertung stammt.
Regie im Stolpermodus
Jetzt zum Kernstück: der Action. Hier sollte der Film eigentlich punkten – schließlich wird er ja als „die große indische Martial-Arts-Sensation“ verkauft. Doch was passiert? Die Choreografien wirken einfallslos, repetitiv und oft so, als hätten die Schauspieler in den Pausen zwischen zwei Takes noch schnell geübt, wie man einen Schlag halbwegs überzeugend andeutet. Die Kameraarbeit ist fahrig, der Schnitt sprunghaft, unbeholfen, stellenweise schmerzhaft dilettantisch. Dynamik? Fehlanzeige. Härte? Nicht mal ansatzweise. Wo The Raid und The Night Comes for Us mit brachialer Wucht, präziser Choreografie und schmerzhafter Körperlichkeit glänzen, plätschert Kill wie ein lauwarmes Fußbad vor sich hin. Kein einziger Schlag, kein einziger Tritt hat den Punch, den man von einem Actionfilm dieser Art erwartet. Man sieht Bewegungen, aber man fühlt sie nicht. Und was den Score betrifft: generisch, austauschbar, völlig belanglos. Rasierklingenspots haben mehr Wumms.
Die Regie stolpert unbeholfen durch die Szenen, als hätte Nikhil Nagesh Bhat selbst nicht gewusst, wohin die Reise gehen soll. Jeder Versuch, Spannung zu erzeugen, verpufft in der Luft. Jeder Versuch, Intensität aufzubauen, wirkt verkrampft und amateurhaft. Am schlimmsten aber sind die kitschigen Emotionalmomente. Denn wenn die Schauspieler dann auch noch anfangen, in diesen unerträglichen Kitschmomenten über Gefühle zu schwadronieren, kippt der Film endgültig ins Lächerliche und wird zur Farce. Tränen, Geständnisse, Herzschmerz – alles auf dem Niveau einer schlechten Daily Soap. Es ist furchtbar, wie hemmungslos hier mit Pathos und Schmalz um sich geworfen wird. Statt Gänsehaut: Fremdscham. Das Ganze ist so schlimm, dass selbst Telenovela-Autoren vermutlich betroffen abwinken würden. Wenn die Figuren in Zeitlupe anfangen zu weinen oder bedeutungsschwere Sätze ins Off hauchen, fühlt man sich eher an Comedy erinnert. Nur dass das Ganze leider nicht witzig ist, sondern einfach furchtbar. Es ist diese Art von unfreiwilliger Komik, bei der man fast Mitleid bekommt, wenn ein vermeintlich „herzzerreißender“ Satz in den Raum gestellt wird und man statt Tränen nur Lachanfälle bekommt.
Es hilft auch nicht, dass der Hauptdarsteller ungefähr so viel Charisma hat wie ein nasses Handtuch. Selbst wenn er sich durch Gegnerreihen prügelt, wirkt er dabei so uninteressant, dass man fast einschläft. Helden müssen charismatisch sein, müssen etwas ausstrahlen. Dieser hier ist austauschbar, blass und komplett ohne Wiedererkennungswert. Die Nebenrollen stehen ihm in nichts nach: Figuren, die so leblos und steif agieren, dass man ernsthaft überlegt, ob man nicht lieber einer Topfpflanze beim Wachsen zuschauen sollte. Die Dialoge, die sie dabei von sich geben, sind so unfreiwillig komisch, dass man fast geneigt ist, den Film als Parodie zu interpretieren. Aber nein – das ist bitterer Ernst.
Fazit
Kill wollte der große Action-Abräumer werden, ist jedoch ein filmischer Rohrkrepierer. Ein Werk, das im Fahrwasser von Meisterwerken wie The Raid 2 oder The Night Comes for Us mitschwimmen möchte, aber schon nach den ersten Metern jämmerlich untergeht. Statt knallharter Action bekommt man dilettantisches Gestümper, statt Spannung lähmende Langeweile. Die billige Optik, die hölzerne Dramaturgie, die generische Musik, die kitschigen Daily-Soap-Momente – all das macht Kill nicht nur enttäuschend, sondern fast schon beleidigend. Er will hart, cool und kompromisslos sein, doch er ist nichts weiter als eine müde, aufgeblasene Seifenblase, die im Moment ihres größten Pathos mit einem leisen „Puff“ zerplatzt. Am Ende bleibt nur die Erkenntnis, dass man für echte Action bitte, bitte wieder zu den Profis nach Indonesien oder Südkorea greift – und nicht zu diesem müden Bollywood-Abklatsch.