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Das Unheimlichste an „The Deliverance“ (der nichts mit Burt Reynolds fataler Kanufahrt aus den 70ern gemein hat) ist die Story über die Finanzierung und den Bieterkrieg rund um diesen Film, an dem angeblich sieben Studios beteiligt waren und den Netflix wohl gewann: für 65 Mio USD, Produktionskosten bereits inkludiert.

Kaum zu glauben, dass jemand soviel Vertrauen darin hatte, aber das Nettofilmbudget soll wohl 30 Mio gewesen sein und damit ist das ein Mid-Range-Picture und das passt eigentlich ganz gut.

Was nicht passt: was die Firmen in der Vorlage gesehen haben wollen – oder haben sich da diverse Firmen ohne wirkliche Sichtung hochgepusht. Immerhin: Lee Daniels ist ein durchaus anerkannter Dramenregisseur seit „Precious“ und „The Butler“, allein hat er nicht einen einzigen Credit, der mit dem Finger in Richtung Horror zeigt. Und hier ist dann auch die Sollbruchstelle dieses Films: Daniels ist hervorragend im menschlichen Drama und beweist das auch hier wieder, aber wenn es dann an den Genrefilmanteil geht, fehlt ihm das Visionäre sichtlich.

Die Story an sich ist guter Stoff: eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, schwarz, hart arbeitend, die krebskranke Mutter noch im Haus, geschieden, Alkoholikerin, Gefängnisvorleben, latent gewalttätig wenn voll. Allesamt wohnen in einem neuen, alten Haus und da geht es dann nach einer Weile um, weil im Keller ein Loch zur Hölle ist und ein Dämon sich ganz dolle über seine neuen Kinderopfer freut.

Was daraus wird, ist somit vorgezeichnet: erstmal ein paar herbe Charakterstudien, dann Fokus auf die Hautfarben, Diskriminierung, soziale Unterschiede. Die Frau vom Jugendamt scheint ne Bitch zu sein, aber Mom ist selbst ne Bitch, wenn sie zur Flasche greift und die Kinder sind zu diese Zeiten und Aussetzern auch nicht mehr ganz so sicher. Im Kern ist natürlich auch diese Frau gut und selbst die Dame vom Amt bekommt später auch mehr Charaktertiefe geliefert. Das Charismatischste des Films machen Andrea Day als Mutter Ebony und Glenn Close als ihre Mutter Alberta in ihren gemeinsamen Szenen aus, wobei man zunächst (wie auch im Film thematisiert wird) irritiert ist angesichts des Hauttons der beiden, dann aber bald durch Closes‘ hervorragend uneitle Darstellung einer sich schmückenden Krebskranken ohne Haupthaar abgelöst wird.

Allein, es soll ja noch ein Gruselfilm sein, der vermutlich (und das ist richtig vermutet), zur Familienzusammenführung dient, denn die Kids haben Mom auch schon allmählich satt, allerdings bringt das Skript nicht wesentlich mehr Tiefe in diese Figuren, die Kinder fühlen sich mehr wie Mittel zum Zweck an und sind ja dann auch irgendwann alle besessen und rollen mit den Klüsen. Selbiges entsteht wie schon erwähnt durch einen Höllendämon aus der Kellertiefe, der im Haus Gestank verbreitet, die Türen öffnet und ähnlichen Kokolores macht. Der jüngste Sohn trifft derweil Geisterkinder im Schrank, kriegt glasige Augen und wird zwischendurch mal fast von seinem Bruder ersäuft – was natürlich in den Augen der Behörden die Situation für Mom nur immer noch schlimmer macht.

Wir haben hier also einen klassischen Amityville-Nachzieher, der sich nach und nach in den „Exorzisten“ verwandelt, aber hart am Wind segelt, dies angeblich gerade nicht tun zu wollen. Daniels war offenbar kein Fachmann für Spannungserzeugung und er tut dies nur sehr mechanisch, nicht ungeschickt, aber auch nicht gerade mit Verve und Finesse. Eher spielt er alles aus, was Vorgänger ihm hinterlassen haben: schwarze Augen, fremde Zungen, böse Flüche, Schwebefähigkeiten, brennende Kruzifixe und irgendwann krabbeln die Kinder die Wände hoch und entwickeln Stigmata. Jo, alles schon gesehen.

Eine mysteriöse Frau, die das alles vom Auto aus beobachtet, erweist sich später als Pastorin, will aber keine Exorzistin sein, tut aber quasi dann doch genau das, nur eben mit weniger Katholik, dafür mehr „Hey, Jesus!“-Appeal. Wenn man so weit in den Gruselkanon vorgedrungen ist, wünscht man sich ehrlich schon das Sozialdrama des ersten Drittels zurück, denn das wirkte wenigstens frisch und ehrlich, der Rest scheint von der Stange.

Und natürlich ist auch die Auflösung nicht in der inneren Stärke einer Mutter zu finden, sondern in der Hingabe zur Religion (die für die Protagonistin vorher keine Rolle spielte, für ihre Mutter aber schon), denn für den „finalen Standoff“ mit sich selbst (der Dämon nimmt dann auch mal ihre Gestalt an) erweist sich die religiöse Liaison mit dem Heiligen Geist, der in die Gläubige fahren muss, um Exorzistensuperkräfte zu entwickeln, als ziemlich lachhaft.

Für den herben Realismus der ersten Hälfte wirkt diese „Lösung für alles“, man müsse einfach nur ganz dolle an Jesus glauben, dann würde man alles schaffen, die Kinder wieder zu bekommen, sich mit dem Exgatten versöhnen und dem Alk abschwören, billig und geradezu provokant simpel präsentiert.

In einem Land, in dem religiöser Fundamentalismus inzwischen horrible Auswirkungen auf das tägliche Leben, die Politik und die persönliche Entscheidungs- und Entwicklungsfreiheit hat, ist diese Wendung zu simpel, zu naiv, wenn es auch darstellerisch gut präsentiert wird. Wenn Andrea Day im Finale den heiligen Geist einlädt, dann hat das etwas so absurd Komisches an sich, dass die gute Absicht stark geschmälert wird.

Was nicht heißen soll, es wäre alles Käse – die Darsteller sind wirklich vom Feinsten, aber der Mischmasch aus Genres hätte wenigstens die eine oder andere frische Idee verdient gehabt, aber man spürt, dass der Horrorteil als ungeliebte Metapher viel zu stark von der Produktion in den Vordergrund geschoben wurde. Daniels liefert handwerklich Solides, aber nicht mit Herzblut, was die Nähe zu bekannten Genrevorbildern um so schmerzhafter macht.

Dazu braucht es dann nicht viel Gore, Days zerschlagenes Gesicht und Close als annähernd kahle Krebspatientin sind viel eindrucksvoller, als die Horrorbilder, die nun wirklich kaum noch jemanden, der schon mal einen Gruselfilm gesehen hat, unter dem Sofa hervor locken (oder dahin treiben).

Natürlich hat es schon früher Filme gegeben, die soziale Themen mit Horror mischten, aber die bekamen die Mixtur einfach besser hin, als die unversöhnlichen Hälften, die hier quasi mit Gottesglauben aneinander gepappt werden und dann halten sollten. Die Summe der Teile, nicht mehr. (5/10)













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