HELDIN im Hollywood-Format
Es gibt Held:innen, die von der breiten Öffentlichkeit erst während der Pandemie als solche erkannt wurden – und denen nicht zuletzt der aktuelle schweizerische Oscar-Beitrag HELDIN gewidmet wurde, um ihre harte, systemrelevante Arbeit zu würdigen. Und es gibt Held:innen, die wohl mindestens genauso harte, emotional aber noch deutlich anspruchsvollere Arbeit leisten, denen in diesem Film recht früh schon in einem Diner offen mitgeteilt wird, dass sie nicht wichtig, nicht heldenhaft genug sind: Gratiskaffee gibt‘s hier nur für Feuerwehrleute und Polizeikräfte, nicht für Rettungssanitäter. Als systemrelevant würden die Hauptfiguren von CODE 3 sich aber vermutlich auch nicht bezeichnen. Schließlich wissen sie: „Das System ist kaputt.“
Ehrlich gesagt, hatte ich nach Sichtung des Filmplakats hier ursprünglich eher eine krawallige Klamaukkomödie erwartet. Nach einigen Forumsbeiträgen und den vielen überaus guten Bewertungen bei f3a.net änderte sich meine Erwartungshaltung etwas. Aber dass CODE 3 einen derart sarkastischen, oft sogar zutiefst verbitterten Tonfall anschlägt, hat mich dann trotzdem überrascht. Ja, es gibt hier viel Humor (meist der schwärzeren Sorte) zu erleben und manchmal auch klassisches Slapstick-/Komödienfutter. Aber darüber lässt sich nie übersehen, dass den Filmemachern ein ernsthafter, ernsthaft kritischer Kommentar zum Zustand des Gesundheitswesens in den USA am Herzen lag. Sowie die Würdigung eines Berufsstandes, der allzu oft unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung fliegt oder sogar von Autofahrern, Gaffern, Polizisten in seiner Arbeit behindert wird.
Dass diese Würdigung actionreicher und teilweise spektakulärer daherkommt als die von Pflegekräften in HELDIN, liegt einerseits natürlich an den jeweiligen Begleitumständen des Berufs, andererseits aber auch an der unterschiedlichen Philosophie des Filmemachens im europäischen Arthouse-Kino und in Hollywood: Zwar ist CODE 3 nicht nur thematisch, sondern auch in seiner gesamten Machart sowie vor allem im Tonfall viel mehr raues Indie-Kino als Mainstream-Blockbuster. Aber über alle – eindeutige – Message hinweg vergisst er nie, zu unterhalten. Was HELDIN, bei allem Respekt vor diesem Werk, nie ernstlich in Erwägung zieht. Dieses bevorzugt, zu „erziehen“. Ich will mir nicht anmaßen, zu beurteilen, welche die richtigere Herangehensweise ist. Für mich persönlich jedoch ist CODE 3 der deutlich effektivere Film. Und derjenige der beiden, den ich mir jederzeit gerne noch ein zweites Mal ansehen würde.
Aber natürlich macht er es dem Publikum auch leicht, denn neben viel Tempo und treffenden Sprüchen bietet er zuallererst hervorragende Schauspieler:innen – unter denen insbesondere Hauptdarsteller Rainn Wilson (SUPER, und, klar, vor allem THE OFFICE) als ausgebrannter Sanitäter Randy glänzt, der nach 18 Jahren im Job endgültig genug hat. Frustriert, abgestumpft, katastrophal unterbezahlt und einem Herzinfarkt nahe, beginnt er eine weitere, ganz normale 24-Stunden-Schicht, die ihn, seinen Kollegen Mike (Lil Rel Howery, GET OUT) und die junge Auszubildende Jessica (Aimee Carrero, THE MENU) in die tiefsten menschlichen Tiefen von LA führen wird. Während wir das Team bei Einsätzen bei Junkies, psychisch Gestörten und Unfallopfern begleiten, bekommen wir die Probleme und Ungerechtigkeiten vermittelt, mit denen unsere Protagonisten täglich zu kämpfen haben. Mal eher subtil – zum Beispiel, wenn wir erleben, wie schwer sie zu arbeiten haben, um adrenalingeladene Polizisten davon abzuhalten, einen psychisch auffälligen schwarzen Patienten einfach abzuknallen; mal ziemlich offensichtlich – zum Beispiel, wenn die Durchschnittsgehälter der verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen als Text im Bild eingeblendet werden: nicht nur, dass der Notfallarzt achtmal mehr als die Rettungssanitäter verdient, sogar das Gehalt des Senior-Hausmeisters übersteigt ihres.
Es ist insofern eindeutig, dass der Film beim Publikum Mitgefühl, Respekt und Sympathie für seine Hauptfiguren erzielen will, die stellvertretend für die Berufsgruppe stehen. Dankenswerterweise versucht er das aber eben nicht auf kitschige oder übertrieben plumpe Weise. Sondern smart, meist mittels bösen Humors. Selbst, wenn das Ende dann insgesamt etwas inkonsequent und unglaubwürdig wirkt: Der letzte Satz, den wir zu hören bekommen, fängt die Stimmung des Films mit seinem bitterbösen Sarkasmus noch einmal perfekt ein.
Durchgängig unterhaltsam, temporeich, stellenweise emotional berührend, dann wieder lauthals auflachen lassend: CODE 3 ist viel besser, fesselnder und vor allem zielgerichtet treffender, als man hätte erwarten können. 8 Punkte.