„Man kann nicht in die Falten der Seele schauen.“
Nach dem Tod seiner Kollegin Julia Grosz ermittelt BKA-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) unverhofft in seinem 20. Fall, den Regisseur Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) nach einem Drehbuch Stefan Dähnerts inszenierte und damit seine bereits neunte Regiearbeit für die öffentlich-rechtliche Krimireihe ablieferte. Der sich mit pädophilen Umtrieben in der katholischen Kirche auseinandersetzende „Tatort“ wurde im September und Oktober 2023 in der Abtei Mariawald nahe Heimbach gedreht und feierte seine Premiere am 29. August 2024 auf dem Festival des deutschen Films. Die TV-Erstausstrahlung erfolgte am 1. Dezember 2024.
„Ich schaff‘ das nicht allein.“
Kommissar Falke versucht, im Kloster St. Joseph zur Ruhe zu kommen und den Tod seiner Kollegin zu verarbeiten. Als jedoch Pfarrer Otto Wiegald (Hannes Hellmann, „Fraktus – Das letzte Kapitel der Musikgeschichte“) in seinem Wohnwagen verbrennt, kann Falke nicht anders, als die örtliche Ermittlerin Eve Pötter (Lena Lauzemis, „Wer wenn nicht wir“) bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Dabei stößt er auf ein großes Archiv kinderpornografischer Aufnahmen im Nachlass des Toten. Der Verdacht fällt bald auf Daniel Weinert (Florian Lukas, „Good Bye, Lenin!“), der während des Klosteraufenthalts zu Falkes Freund geworden war und mit dem er sich in der Tatnacht betrunken hatte…
„Wir ham‘ gesoffen!“
Bereits der Auftakt ist furchtbar: Im Prolog beobachtet ein Junge, wie sein Vater verbrennt. Um wen es sich dabei handelt, wird sich erst später herausstellen. In der Gegenwart trinkt Falke mit Daniel und wird anschließend von Alpträumen vom Tod Julia Grosz‘ geplagt, aus denen er jäh durch den neuen Fall gerissen wird – ein neuer, nicht minder realer Alptraum. Die Vor-Ort-Ermittlungen leitet Eve Pötter, die mit einem der Feuerwehrleute (Sebastian Klein, „Männer wie wir“) verheiratet ist und mit ihm einen Sohn (Jakob Kraume, „Das schweigende Klassenzimmer“) hat, der in Pfarrer Ottos Fußballmannschaft spielte. Atmosphärisch arbeitet Kraume mit dem Horrorfilm entlehnten Stilmitteln, beispielsweise als Falke eine Treppe hinter einer abgeschlossenen Tür entdeckt, die zur Kinderporno-Sammlung des Pfarrers führt. Als Falke das Material sichtet, gelangt er an seine Grenzen und fordert Hilfe an, die er in Person der Kollegin Schwerdtfeger (Julia Jendroßek, „Last Exit Schinkenstraße“) vom LKA Hannover erhält. Zusammen mit Pötter verhindert sie, dass der Fall zu einer unrealistischen Ein-Ermittler-Show verkommt.
„Du sprichst jetzt von der Mafia!“ – „Nein – ich spreche von der katholischen Kirche.“
Als Falke Daniel auf den Fotos entdeckt und ihn damit konfrontiert, scheint der Fall klar, doch Falke wehrt sich gegen vorschnelle Verdächtigungen und stößt auf manche Ungereimtheit, droht aber an einer Mauer des Schweigens seitens der Kirche zu scheitern, was auch zu einem Konflikt zwischen ihm und Pötter führt. Als sie von Einzelfällen redet, befürchtet er, sie wolle am liebsten alles unter den Tisch kehren. Mit Personalreferent und Generalvikar Billing (Sebastian Blomberg, „Guten Morgen, Herr Grothe“), der Streit mit Pfarrer Otto hatte, wird das Ensemble um eine relevante Figur erweitert. Während Daniel sich immer verdächtiger macht, scheint eine weitere Person in die Missbrauchsfälle involviert zu sein, die sich – ähnlich wie z.B. jüngst im Bistum Trier, woraus Autor Dähnert seine Inspiration bezog – als Teil eines regelrechten Pädophilenrings entpuppen.
„Ich will mein Leben zurück!“
Zeitlupenrückblenden zeigen nach und nach, was in Pfarrer Ottos Wohnwagen vor sich ging, sodass die Frage, wie schuldig Daniel sich gemacht hat und ob nicht doch ein anderer Täter infrage kommt, sehr lange aufrechterhalten wird. Hinzu kommt die Frage nach denjenigen, mit denen Otto zusammengearbeitet hatte. Dies sorgt für eine stets präsente Grundspannung, die auch dann erhalten bleibt, wenn die Dramaturgie sich zurücknimmt, um recht erfolgreich ein Gespür für den kleinen Ort, sein Kloster und die Be- und Anwohner zu erzeugen. Dabei geht es wenig idyllisch oder spirituell zu, die Stimmung ist angespannt, die Luft zum Schneiden und der Gesamteindruck trist. Die Sonne scheint hier nicht oft zu scheinen und wenn doch, dringt sie ebenso wenig durchs Klostergemäuer wie Falke mit seinen Versuchen, die Wahrheit herauszufinden – selbst, nachdem er die Einsatzleitung übertragen bekommen hat.
„Der Mensch muss doch an was glauben!“
Dieser „Tatort“ sensibilisiert dafür, wie Opfer ein Leben lang leiden und wie schwer es ihnen fällt, über das Geschehene zu reden. Dankenswerterweise versuchen Buch und Regie auch gar nicht erst, dagegen anzuquatschen oder zu diskutieren, wo es nichts zu diskutieren gibt. Im Vordergrund stehen Wut und Verzweiflung, Emotionen der Opfer, denen dieser „Tatort“ eine Bühne gibt. Dähnert und Kraumer leisten mit „Schweigen“ überfällige Pionierarbeit, handelt es sich doch um den ersten „Tatort“, der sich der Tatsache stellt, dass die katholische Kirche von Päderasten durchsetzt ist. Damit ist dieser Film hoffentlich ein weiterer Mosaikstein in der Entmachtung der Kirche in Deutschland, die, vom Staat subventioniert, vielleicht an Gott, Jesus und den heiligen Geist glaubt, vor allem aber daran, mit Schweigegelübde, Vertuschungen und Lügen über dem Gesetz zu stehen.