Review

Zwischen Jazz-Improvisation und Blutsaugerballade

Von außen betrachtet ist Blood & Sinners ein weiterer Beitrag zum endlosen Strom des überstilisierten Genrekinos, das irgendwo zwischen Pop, Mythos und Metapher pendelt. Doch sobald die ersten Takte erklingen, merkt man: Ryan Coogler will hier mehr als nur unterhalten. Er will hypnotisieren. Schon Wochen vor dem Kinostart waberte ein Hype durch die sozialen Medien, der beinahe religiöse Züge annahm. Von einem „Meilenstein des modernen Kinos“ war die Rede, von „Cooglers Meisterstück“, gar von „dem Moonlight des Genres“. Nun, das klingt natürlich schön — und ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Denn so stark Blood & Sinners zweifellos ist, so wenig kann ich mich diesen hymnischen Lobeshymnen bedingungslos anschließen. Aber Moment — bevor hier jemand das Weihwasser holt: Der Film hat zweifellos Kraft. Und Stil. Und Herzblut. Nur, wie das mit Blut so ist — manchmal gerinnt es auch ein bisschen. Denn Blood & Sinners ist kein Manifest, sondern ein Rausch. Ein vibrierendes, fieberndes Stück Kino, das sich weniger in Storybeats als in Atmosphären, Rhythmen und Blicken entfaltet.

Michael B. Jordan spielt — und das gleich doppelt — die Zwillingsbrüder Elias und Elijah, genannt „Smoke“ und „Stack“. Zwei Gangster, beide vom Krieg gezeichnet, beide geformt von Chicagos Unterwelt. Sie kehren zurück in ihre Heimat Mississippi um dort eine Juke-Bar zu eröffnen, ein Ort, an dem Jazz, Blues und die Magie der afroamerikanischen Musikkultur aufleben. Doch sie ahnen nicht, was diese Nacht für sie und die Clubgäste noch bereithält… und hier beginnt der Sog.

Blood & Sinners ist weniger eine Horrorstory als vielmehr ein poetischer Blick auf kulturelle Identität, Schuld und die Versuchung des Erfolgs. Blut wird hier zur Metapher — für das, was uns nährt, antreibt und zugleich zerstört. Jazz trifft auf Trap, Blut auf Bass, Mythos auf Moderne. Das Drehbuch ist, wie der Jazz, dem es huldigt: frei, verspielt, manchmal genial, manchmal auch einfach ein bisschen zu verliebt in die eigene Klangfarbe. Coogler und seine Co-Autorin Lena Waithe bauen Dialoge, die knistern und funkeln, in einem Moment poetisch, im nächsten lakonisch. Aber es gibt Passagen, in denen der Text die Figuren einholt – oder besser gesagt: überholt. Wenn große Themen wie kulturelle Ausbeutung, familiäre Schuld und der Hunger nach Anerkennung ineinandergreifen, dann schwingt da ein großartiger Anspruch mit, aber nicht immer gelingt die Balance zwischen Message und Mythos. Trotzdem ist es erfrischend, wie Coogler hier Vampirismus nicht als reine Horrorsymbolik benutzt, sondern als kulturelles Sinnbild – als eine Art spirituelle Metapher für das „Ausbluten“ von Kunst und Kultur.

Blut, Beats und Identität

Thematisch ist der Film ein dicht gewebter Teppich aus Motiven: Musik als Lebenselixier, Identität als Fluch, das Erbe der afroamerikanischen Geschichte als ewiger Kreislauf aus Schöpfung und Zerstörung. Coogler schlägt hier einen weiten Bogen von den Blues-Wurzeln über die Jazz-Rebellion bis zur modernen Trap-Ästhetik – und schafft es tatsächlich, all das organisch miteinander zu verweben. Es ist faszinierend, wie Blood & Sinners die afroamerikanische Musikkultur nicht bloß als Klangkulisse, sondern als Herzschlag seiner Welt begreift. Der Beat ist Blut, die Bühne ein Altar, und jeder Song ein Gebet zwischen Himmel und Hölle. Da kann man gar nicht anders, als sich für eine Weile dem Sog hinzugeben – selbst wenn die Story gelegentlich ins Stolpern gerät. Besonders in den tranceartigen Sequenzen, in denen Musik, Licht und Bewegung zu einem audiovisuellen Strudel verschmelzen, erreicht der Film fast hypnotische Qualität. Die Kamera tanzt im Rhythmus der Trompeten, die Schatten flirren wie Rauch über dem Mississippi, und man hat das Gefühl, in einen sinnlichen Rausch aus Klang, Farbe und Schmerz gezogen zu werden. Es sind diese Momente, die Blood & Sinners besonders machen – die Momente, in denen Coogler seine ganze filmische Magie entfesselt.

Die Action ist wohldosiert. Coogler inszeniert keine Blutorgien, sondern kinetische Choreografien – elegant, fließend, fast tänzerisch. Die Kämpfe sind rhythmisch getaktet wie Percussion-Soli, mit schnellen Schnitten, aber ohne visuelles Chaos. Was fehlt, ist vielleicht ein echter Adrenalinschub. Der Film bevorzugt den Rausch der Bewegung gegenüber dem Schock des Blutes, was ästhetisch reizvoll, emotional aber etwas distanziert wirkt. Der letzte Funke – jener Moment, in dem man komplett mitgerissen wird – bleibt aus. Es brennt, aber es lodert nicht ganz. Ohne Musik kein Blood & Sinners. Der Score (eine Kollaboration zwischen Ludwig Göransson und dem aufstrebenden Produzenten Metro Boomin) ist schlicht grandios. Eine Mischung aus orchestralen Spannungsflächen, düsteren Trap-Beats und jazzigen Improvisationen, die dem Film eine ganz eigene Note verleihen. Besonders die Szenen, in denen Musik und Bild zu einem tranceartigen Gleichklang finden, sind elektrisierend.

Fazit

Blood & Sinners ist ein faszinierendes, visuell berauschendes Werk – ein Film, der sich traut, anders zu sein. Ryan Coogler serviert uns einen ganz eigenen Mix: Gangsterfilm, Vampirdrama, Musikfilm, Kulturstück – alles gekocht in einem Kessel aus Blut und Sehnsucht. Trotz all seiner Qualitäten, trotz hypnotischer Atmosphäre, starker Darsteller und eindrucksvoller Inszenierung bleibt am Ende ein kleiner Rest von Distanz. Der Film will verzaubern – und schafft es oft. Aber nicht immer. Vielleicht, weil er zu sehr in seinem eigenen Glanz badet, vielleicht, weil die dramaturgische Spannung zwischendurch ein wenig versandet. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Denn Blood & Sinners hat Seele. Es ist ein Film, der etwas wagt, der pulsiert, der nachhallt. Kein makelloses Meisterwerk, aber ein kraftvolles Statement.

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