Als im Jahre 2003 "Invasion der Barbaren" entstand, war es auch schon wieder 17 Jahre her, als Denys Arcand mit seinem "Der Untergang des amerikanischen Imperiums" einen äußert wichtigen Beitrag zum Thema Mensch, Moral und Liebe lieferte. Gute, bekannte oder erfolgreiche Filme schreien oft nach einer Fortsetzung, was hier aber, wie ich glaube, nicht der Anhaltspunkt war.
"Invasion der Barbaren" stellt eine Art Sequel zu eben jenem "Der Untergang des amerikanischen Imperiums" dar, wobei ganz grob eigentlich nur die Charaktere und deren Vergangenheiten übernommen wurden. Hauptsächlich geht es um den ehemaligen Dozenten Remy, ein Frauenverschleißer, wie er im Buche steht, der von seiner schwerwiegenden, vernichtenden Krankheit erfährt. Sein Sohn Sebastien, der im ersten Teil noch keine Rolle spielte, wird von seiner Mutter verständigt und eilt nach Montreal. Remy liegt in einem überfüllten Krankenhaus, in dem sogar die Gänge voll von Patienten sind. Sebastien und Remy haben sich nie großartig verstanden. Warum auch. Remy verbrachte seine Zeit meistens mit irgendwelchen Mätressen und vernachlässigte und betrog seine eigene Frau. Sebastien verübelt ihm das heute noch und seine Schwester verbringt ihre Zeit mit irgendwelchen Kreuzfahrten nahe Australien. Es ist also nicht die intakte Familie, wie sie sein sollte.
Dennoch fasst sich Sebastien ein Herz und setzt alles daran, dem todgeweihten Vater ein noch schönes, restliches Leben zu gestalten. Er ruft dessen Freunde von damals an, die man auch schon in "Der Untergang des amerikanischen Imperiums" bestaunen und beobachten durfte. Zudem mietet er eine ganze Etage des Krankenhauses an, die aufgrund von Bettenminimierungen freisteht. Remys Freunde trudeln nach und nach ein, sinnieren über ihr Leben und ihre gemeinsame Vergangenheit. Sie tauschen sich aus, reden über gemeinsam Erlebtes und mit jeder Sekunde verfällt der Gedanke daran, dass es sich eigentlich um ein äußerst trauriges Thema handelt.
Man mag es aktive Sterbehilfe nennen, was uns Denys Arcand in seinem Sequel beeindruckend offenbart. Oder die Minimierung der Angst vor dem Tod. Remy gibt immer den lebensfrohen, immer glücklichen Menschen, dem nichts und niemand etwas anhaben könnte. Ein gefühlskalter Klotz, der sein Leben stets genießen wollte und dabei egoistisch und rücksichtslos war. Auch als sein ihm fremder Sohn Sebastien ihn besucht, den er selbst als Kapitalist bezeichnet, nur weil er es aufgrund seiner Arbeit zum Millionär geschafft hat, zeigt er keine Gefühle, im Gegenteil. Er lässt sich keine Sekunde lang anmerken, dass er stolz darauf ist, überhaupt dessen Vater zu sein. Unbeeindruckt davon, setzt Sebastien auf Wunsch seiner Mutter, alles daran, Remy die wahren Freuden des Lebens noch einmal aufzuzeigen. Remys Freunde treffen ein, sie unterhalten sich, machen selbstironische Witze und amüsieren sich, wo es nur geht. Bei all der Freude, die ihm beschert wird, erkennt Remy doch auch bald den Ernst der Lage und zeigt so etwas wie Gefühle. Aussichtslos liegt er im Krankenhaus, dem sicheren Tode ins Auge sehend. Da fließen selbst bei ihm die Tränen.
Auf seinen Wunsch hin geht es noch einmal in das altbekannte Landhaus vom Erstling. Alle Freunde und Bekannte im Gepäck. Und dann. Plötzlich. Ein bitteres Ende. Doch "Die Invasion der Barbaren" wäre nicht "Die Invasion der Barbaren", wenn selbst dieser Moment nicht irgendwie positiv und motivierend wär. Es geht ein Film zu Ende, dessen Thema trauriger nicht sein könnte, doch dessen Idee und Inszenierung von Liebeswürdigkeit nur so strotzt und den Zuschauer mit einem Gefühl zurücklässt, das einem zeigt, wie schön das Leben eigentlich sein kann.
Eine Extremsituation und was man daraus macht. Remy liegt im Sterben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Er lässt sich nichts anmerken, gibt immer den coolen, entspannten Frauenschwarm, der er einmal war. Man denke an bekannte Dialoge aus dem ersten Teil. Liebe, Sex und Frauen. Oder gleich alles auf einmal. Stundenlang sinnierten die Dozenten über ihre Vorlieben und Meinungen bezüglich Liebe und Sex. Nun, Jahre später, sind sie wieder versammelt. Am Sterbebett Remys, der noch immer lockere Töne spuckt und vom Tod nichts wissen will. Beziehungsweise keine Angst hat. Auch Sebastien kann ihm gestohlen bleiben. Doch nach und nach bröckelt auch Remys Fassade. Sebastien bietet ihm einen Abschied, wie ihn nicht jeder bekommt. Freunde fliegen ein und das Landhaus wird aufgesucht, Stätte gemeinsamer Erfahrungen und Erlebnisse.
Man sollte meinen, "Die Invasion der Barbaren" wäre todtraurig und deprimierend. Falsch gedacht. Der Filme wurde in solch einem Positivismus getränkt, dass einem eher die Tränen kommen bei dem Gedanken, wie schön der Film doch ist. Der Tod wird nicht als etwas Endgültiges, Vernichtendes angesehen. Im Gegenteil. Remys Freunde strahlen eine solche Lebensfreunde aus, dass auch Remy selbst früher oder später einer gewissen Melancholie verfällt und den Aufwand zu schätzen weiß.
Garniert wird diese herzerwärmende Story von eindrucksvollen, poetischen Bildern, welche wiederum mit eindringlichen musikalischen Klängen untermalt werden, was die ein oder andere wirklich imposante Szene heraufbeschwört. Leider hält der Film nicht ganz die Qualität, die die erste halbe Stunde zu bieten hat, sondern verfällt wieder in die Dialoglastigkeit des Vorgängers. Um Gottes Willen, das ist nicht sonderlich schlimm, doch eine ähnliche Gangart wie bei den ersten 30 Minuten hätte dem Film wohl besser getan, da er so noch gefühlvoller und schöner geworden wäre.
Was bleibt, ist ein Film über das Leben und den Tod, über Familie, Freunde, Vergangenheit und Zukunft. In 90 Minuten wird all das zusammengefasst, was ein ganzes Leben ausmacht und das, ohne irgendwie zu einer Sekunde überfordert zu sein. Denys Arcand gelang hiermit ein würdiger Nachfolger seines Klassikers und übertraf dieses auch noch.
Wunderschönes Kino aus Frankreich/Kanada, wie man es sich wahrlich wünscht. Nicht zu unrecht in einem unabhängigen, seriösen Filmkritikbuch zu den 1001 besten Werken der Geschichte gewählt.
8/10 Punkte