Irgendwann, irgendwo in Frankreich, nach irgendeiner Katastrophe: Die Laurents (Vater, Mutter, Tochter und Sohn) fahren zu ihrem Wochenendhaus im Wald. Aber dort hat sich bereits eine andere Familie eingenistet, Herr Laurent wird von deren Oberhaupt erschossen, seine Frau Anne und die Kinder (Eva und Ben) werden fortgejagt. In einem nahen Dorf ersuchen die drei um Hilfe, haben aber nur geringen Erfolg. Nach einer Übernachtung in einer Scheune stossen sie auf einen Jungen im Teenageralter; zusammen mit ihm wandern sie gen Süden zu einem Bahnhof, wo die Leute auf den Zug warten; dieser ist allerdings schon seit Tagen nicht mehr vorbeigekommen. Frau Laurent und ihre beiden Kinder schliessen sich ihnen an, während der Teenager sich in den nahen Wald verzieht, weil er nicht klar kommt mit Koslowski, dem „Chef" des Grüppchens.
Die Bahnhofmenschen siechen dahin, es fehlt an Wasser, Lebensmitteln und allem möglichen; von Koslowski und den berittenen Händler, die ab und zu vorbei kommen, werden sie nur ausgenommen. Da stösst eines Tages eine grosse Karawane von Flüchtlingen auf den Bahnhof. Der Platz wird zwar knapp, aber es gibt endlich wieder was zu essen. Unter den Neuankömmlingen befinden sich allerdings auch die Mörder von Vater Laurent...
Dieser Streifen verlangt vom Zuschauers doch etwas Geduld: Michael Haneke (FUNNY GAMES) setzt auf lange Einstellungen und spielt öfters mal alltägliche, im Grunde uninteressante Ereignisse lang und breit aus (wenn Leute essen, in der Gegend herumlatschen, schlafen, etc.), die Kameraführung ist (wie eigentlich der ganze Film) sehr unspektakulär (diese bleibt weitgehend statisch, aber dafür gibt es ein paar eindrückliche Bilder und der Look ist edel), Filmmusik gibt es nicht. Überraschenderweise ist WOLFZEIT dennoch nicht wirklich langweilig, allerdings auch nicht spannend, er plätschert halt einfach so vor sich hin.
Auch sonst ist der Streifen eher sperrig: Die Story kommt weitgehend ohne eine klassische dramaturgische Entwicklung aus; der Film fängt irgendwo mitten im Geschehen an, folgt dann ein Stück weit den „Abenteuern" der Protagonisten, hört dann irgendwann wieder auf und hinterlässt viele offene Fragen und nicht aufgelöste Konflikte (Was wird mit den Mördern, dem Teenager oder dem Streit zwischen dem „Polaken" und dem anderen Kerl? ). Und der Witz an der Geschichte ist ja, dass nie geklärt wird, worum es sich bei der Katastrophe handelt, welche die Versorgung der Leute weitgehend lahm gelegt hat und Ursache für all die Querelen und Ereignisse ist. Es gibt gewisse Anspielungen, wie die Kühe, die aus unbekannten Gründen verbrannt werden, eine Radionachricht, in der von Grundwasserverseuchung die Rede ist, oder eine Zeichnung, die man mit viel Fantasie als die Darstellung einer grossen Explosion interpretieren kann (aber da irre ich mich höchstwahrscheinlich). Mehr erfahren wir nicht. Dann gibt es auch noch dieses komische Gerede von den „Gerechten", 36 besonderen Menschen, die auf irgendeine Art den Fortbestand der Menschheit gewährleisten sollen, oder von diesen Typen, die sich selbst im Feuer opfern. (Verweist Haneke hier auf die Eigenart der Menschen, in der Not Trost bei Religion oder Esoterik suchen? Wie die Frau im Bahnhof, die ständig betet?)
Diese Ungewissheit irritiert und frustriert, sorgt aber auch für eine gewisse, bedrohliche Stimmung: Es könnte alles oder nichts dahinter stecken, der Fantasie des Publikums sind keine Grenzen gesetzt. (Das macht den Film aber auch willkürlich.) Diese Stimmung wird zusätzlich geschürt durch die Erwähnung der streunenden, anscheinend gefährlichen Hunde, das Verschwinden Bens während der Nacht in der Scheune und die verzweifelte Suche nach ihm in der Dunkelheit sowie durch die Konflikte unter den Menschen. Dabei ist es durchaus geschickt von Haneke, den Mord (der übrigens unexplizit ist, nur so zur Anmerkung) am Familienvater gleich an den Anfang zu stellen. Danach wartet man ständig darauf, dass wieder etwas ähnlich Furchtbares passiert und die Leute, die sich fast alle recht aggressiv und abweisend verhalten, übereinander herfallen. Diese Spannungen helfen dem Film über die Runde, auch wenn die Streitereien und das hysterische Gekreische teils etwas nerven. Ein George A. Romero beispielsweise vermag Konflikte innerhalb von Gruppen dann doch noch ein Stück intensiver und packender darzustellen. Eher unnötig und fehlplatziert ist übrigens die explizite Pferdeschlachtung im letzten Drittel des Filmes.
Die Charaktere wachsen dem Zuschauer lange Zeit über nicht so richtig ans Herz, weil die Schauspieler weitgehend eine unterkühlte Darstellung an den Tag legen, wenig Emotionen zeigen (und wenn sie es tun, ist es meist nerviges hysterisches Jammern oder gehässiges Gekeife) und die Kommunikation sich eher mühsam gestaltet (die Leute kriegen einfach das Maul nicht auf). Überhaupt greift man sich hin und wieder an den Kopf, weil die Protagonisten sich wie Vollidioten verhalten.
Das gilt vor allem für Hakim Taleb in der Rolle des namenlosen Jugendlichen, der ein richtiges Arschloch ist, nur an sich selbst denkt, stiehlt, was er kann und so stolz wie stur ist. Aber natürlich verknallt sich Eva (Anais Demoustier), die dumme Pute, in ihn (die benimmt sich auch sonst recht launisch - ist ja ein Teenager - und ist zudem beispielsweise blöd genug, die Scheune abzubrennen). Lucas Biscombe als Ben macht sich kaum bemerkbar, jedenfalls bis zur letzten Szene (hm, was ist eigentlich aus seinem Sittich geworden? Was bedeutet sein Nasenbluten?). Isabelle Huppert (8 FEMMES) gibt die Anne immer nahe am Nervenzusammenbruch, kann es aber gerade noch verhindern, einem dadurch auf die Nerven zu fallen. Es gibt eine Menge Nebenrollen, von denen keine wirklich auffällt.
Fazit: WOLFZEIT hat durchaus Potential und Ansätze zu einem guten Streifen sowie einige stimmige Ideen, aber die fehlende Dramaturgie, die offenen Fragen, das schlafwandlerische Tempo, die nicht wirklich sympathischen Charaktere und die nicht immer gelungene Darstellung der Gruppendynamik lassen ihn nicht wirklich zünden. Keine unerträgliche Kunstkacke, aber auch nicht bemerkenswert.