Review

"Mittlerweile ist schon das Aufkommen einer Kanton - Actionkomödie als etwas verhältnismäßig Besonderes zu bezeichnen; ein Nachzügler der mit einstiger Paradedisziplin des HK-Kinos, die vor allem in den Achtzigern und frühen Neunzigern damit fleißig am Produzieren und Hausieren waren und zahlenmäßig nahezu unübersichtlich gehalten sind. Die spezielle Form der Unterhaltung ist derzeit parallel zum insgesamt stark geschrumpften Produktionsausstoß (von vielleicht 50 Werken pro Jahr) ebenso gesunken und der Zustand eher als komatös zu bezeichnen; aufgrund der benötigten technischen Aspekte sind die Filme aufwändiger als andere Genres wie rein Drama oder Komödie und damit teurer als üblich und die Kosten oftmals allein innerhalb der Sonderverwaltungszone nicht rentiert."

~ Einleitung zu Agent Mr. Chan (2018)

"Bis auf die kürzlich aktuellen Ausrufezeichen Declared Legally Dead und Beyond the Dream, die Juli 2020 trotz noch Einschränkung aufgrund der Covid-19 Pandemie und kurz vor der erneuten Schließung der Kinos als einheimische Produktion ungewohnt viele lokale Zuschauer in die Lichtspielhäuser zogen, war The Grand Grandmaster der einzige kommerzielle Hit. Ein Neujahrsfilm, der pünktlich Ende Januar und damit ebenso pünktlich zum ersten Peep der Infektionszahlen in China und Umgebung selber noch mit einigen Mitstreitern wie der Konkurrenz um All's Well End's Well 2020 oder Enter the Fat Dragon in die Kinos gelangte, und dort schon auf ein Klima nur nicht der allgeneinen Verunsicherung aufgrund der bald weltumspannenden Gesundheitskrise, sondern auch ein diffuses politisches Umfeld stieß. Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Dayo Wong, der nur wenig zuvor mit dem Comeback Agent Mr. Chan (2018) ganz erstaunlichen Zuspruch seitens der Zuschauer und entsprechend finanziellen Erfolg erhielt, musste sich hierbei schon aufgrund der Anspannungen zwischen der Sonderverwaltungszone und dem Fest- und 'Mutter'land China gegenüber dem Publikum rechtfertigen und die Finanzierung dieses Projektes öffentlich erklären; sein Glück, dass er keine unterstützenden ('Schmier')Gelder angenommen und so einem Boykott von selbsterklärten Freiheitskämpfern entging, sein Pech, dass er das Budget aus eigener Tasche und mit der Aufnahme von Krediten stemmen musste und man unter den Erwartungen und v.a. auch unter dem Vorgänger blieb."

~ Einleitung zu The Grand Grandmaster (2022)

Ausgehend von der vorherigen Karriere hätte man nicht unbedingt erwarten können, dass ein Dayo Wong mal zum Hoffnungsträger des Hongkong-Kinos wird, Wong ist ein Komiker mit vielen Talenten und vielen Bereichen, er wurde als Nebenrolle in mehreren Werken von Donnie Yen eingesetzt, in Devil 666 - Satan Retuns (1996) als Partner und in Legend of the Wolf (1997) auch als Art Unterstützung, zudem hat er ein lobendes Cameo in Big Bullet (1996) gemacht, von dem Regisseur Benny Chan sehr angetan war. Der Rest der Filmografie wird den Meisten kein Begriff sein, es wurde sich im Fernsehen herumgetrieben, es wurden Alben aufgenommen, das übliche Prozedere; Wong hat kein besonders gutes Aussehen, er ist kein Actionstar, er ist der Normale von der Straße, hat jetzt in kurzer Zeit aber zweimal enorm die Einspielrekorde gebrochen, und dies beides Mal mit eher ungewöhnlichen Werken. Angefangen hat die Geschichte eigentlich mit Agent Mr. Chan (208), einer Neujahrskomödie, die vergleichsweise schon gut lief, dann kam der von ihm auch gedrehte The Grand Grandmaster (2020), auch eine Art Neujahrskomödie, für die er sich verschulden musste und auch Zusammenarbeiten mit chinesischen Finanziers öffentlich ablehnen, da sonst die Gunst des lokalen Publikums hinfort wäre. Die Geschichte wäre vermutlich so weiter gegangen, hätte nicht plötzlich (nach dem gleichsam erfolgreichen Ensemblefilm Table for Six, 2022, der zweiterfolgreichste einheimische Film des Jahres) nicht plötzlich A Guilty Conscience (2023) vor der Tür gestanden, er nur als Darsteller, das Genre als Crime Comedy Mystery klassifiziert, gedreht mit Jack Ng von einem Debütanten, welcher mit insgesamt über 110 Mio. HKD Einspiel geradezu erstaunliche Standfestigkeit beim Publikum bewies, obwohl auch diesmal zum Chinesischen Neujahr gehalten, ein Miteinander mit dem Zuschauer, das bis zum nächsten Hit mit Dayo Wong, The Last Dance (2024), fast 150 Mio. HKD; beide Filme jeweils vor den wesentlich teureren Spektakeln Warriors of Future (2022) und Twilight of the Warriors: Walled In (2024) gesetzt. Zum Ausgleich muss man sagen, dass die Filme von Louis Koo auch in der VRC sehr gut liefen. Wagemut und Wagnis herrscht bei allen der Produktionen vor, die einen sind kritischer und bewegen sich auf sprichwörtlich dünnen Eis, die anderen haben finanziell fast Hollywood-Standard in Sachen Ausgeben erreicht:

2002. Adrian Lam [ Dayo Wong ], ein ehemaliger Rechtsanwalt, der kürzlich von seinem Vorgesetzten wegen seines Verhaltens degradiert worden war, kehrt auf Anraten seines Freundes, des leitenden Rechtsanwalts TK Ho [ Vincent Kok ], in die Privatpraxis zurück. Durch Ho erhält Lam seinen ersten Fall, einen Fall von Kindesmissbrauch. Die Angeklagte Jolene Tsang [ Louise Wong ], ein ehemaliges Model und alleinerziehende Mutter, wird beschuldigt, ihre Tochter Elsa [ Sherlock Mak ], die heute im Koma liegt, angegriffen zu haben. Auf Vorschlag seines Mentors Ho und des Rechtsanwalts Prince [ Ho Kai-Wa ] übernimmt Lam Tsangs Fall als Anwalt. Gemeinsam mit seiner Kollegin Evelyn Fong [ Renci Yeung ] vernehmen sie den Zeugen Ball Chan [ Mak Chi-Wan ], einen Wachmann in Tsangs Wohngegend. Fong entdeckt jedoch eine Lücke in Chans Aussage. Später in der Nacht erwacht Elsa aus dem Koma, stirbt aber kurz darauf an einer Hirnblutung, nicht ohne die Unschuld ihrer Mutter zu bekunden. Tsang wird daraufhin wegen Totschlags angeklagt, zumal ihr Geliebter, der eigentlich mit der schwerreichen Victoria Chung [ Fish Liew ] verheiratete Dr Desmond Chung [ Adam Pak ] eine belastende Aussage macht. Lam, der vor Gericht gegen den wesentlich erfahrenen SC Kam [ Tse Kwan-Ho ] antreten muss, wendet sich seinen Freund Luk Ting-Hang [ Bowie Lam ], einen ICAC Assistant Commissioner, während Kam u.a. viel Geld, den ebenfalls erfahrenen Berater James Tung [ Michael Wong ] und eine ganze Flotte an Rechtsanwälten hinter sich weiß.

Spielerisch wird das angefangen, die Person macht ein Mittagsschläfchen, ein Nickerchen. Er lässt es sich gut gehen, er nutzt den Massagestuhl, im Gericht selber wird gewartet auf seine Anwesenheit, das interessiert ihn weniger, der wird trotzdem gestört, er betrachtet seinen Beruf als Ausrede für Ausgeglichenheit, für Entspannung und Gemütlichkeit. Er lässt sich Zeit. Es geht um kleine Fälle, Beleidigungen in öffentlichen Transportmitteln, um Mundraub, man kann sich das Gähnen nicht verkneifen, manchmal erhebt man auch die Stimme, erst ein Brief nach dem Dienst öffnet die Aufmerksamkeit. Die Arbeit wird sich verändern, eine neue personelle Konstellation kommt hinzu, aus dem Laissez-faire wird nicht mehr, aus dem Nichts, und nur dem nötigsten Tun. Er spricht mit einem Freund darüber, hört sich dessen Meinung und Vorschläge an, eine Frau in Führungsposition, er macht Angebote, der Angesprochene hört nur schweigend zu, er überlegt über das weitere Vorgehen, das Prozedere, die Veränderungen, damit eingehen. Am nächsten Tag steht die Person vor der Tür, sie stellt sich vor, ein Fall wird übersprungen, es geht um Kindesmissbrauch, das Mädchen noch auf der Intensivstation, kurz nach dem Schockraum, kein Anlass für Traurigkeit oder Betroffenheit hier. Ein Verhör wird geführt, die Akte besprochen, viel Smalltalk zwischen Kollegen und Bekannten, jeder kennt jeden hier.

Das Drama kommt in einer Rückblende rein, Mutter und Tochter vereint, ein Gespräch, nonverbal gehalten, das Kind ist taubstumm, es war einer im Haus zu dem Zeitpunkt, außer die Kleinfamilie, die Mutter streitet alles ab, es wird ihr den Ratschlag des Plädierens auf Schuldspruch gegeben, um die Strafe zu reduzieren. Es werden Ermahnungen gemacht, der Anwalt nimmt seinen Beruf nicht ernst, für ihn ist alles Zeitvertreib, Geldverdienen, es entstehen Widersprüche im Prozess, es werden Lügen vermutet und Fehlurteile, es wird an die Berufsehre appelliert, an die Abhängigkeit anderer Menschen von den Vertretern von Recht und Ordnung, es wird erst ungehört, es nervt ihn. Es ist nicht so leicht vorzustellen, wer die Rolle von Wong ansonsten hätte spielen können, früher vielleicht Ronald Cheng, auch ein komödiantischer Darsteller, der sich im Drama ausprobiert, aber eigene Probleme hat und etwas beschnitten wird. Es wird die kleine Zeugin, das Opfer befragt, die verneint die Schuld ihrer Mutter, der Fall scheint gewöhnt und gewonnen, "piece of cake", wenige Stunden später ist die Siebenjährige gestorben. Von leicht zu schwer geht es hier, von harmlos zu wichtig, vom Kleinen in das Große, die Zerstörung von Menschenleben, Anthony Pun führt die Kamera, er sollte später den wesentlich aufwändigeren Cesium Fallout (2024) für den Produzenten hier drehen, er fängt das Dialoglastige und das Umfeld in speziellen Bildern, in Ruhepunkten und in Übersicht ein.

Weitere Befragungen stehen an, eigentlich Aufgabe der Polizei, es wird Ermittler mitgespielt, aus dem Gerichtssaal auch hinausgegangen in die Wohnungen der Angeklagten und ihrer Familien (mit Einfluss); darüber hinaus wird einem der Beruf noch einmal neu erklärt, von einer Aufstrebenden, einer tatsächlich Interessierten, die ihn auf Fehler hinweist, auf Schriftstücke und Protokolle, die fehlen, ein Gerichtsthriller, ein Stehen auf der falschen Seite, The Prosecutor (2024) von und mit Donnie Yen handhabt das ähnlich, man bekommt Magenschmerzen beim eigenen Vorgehen, man sucht einen Ausweg, das Gewissen wird plötzlich entdeckt, der Schuldspruch ist eindeutig; manche Szenen beider Werke gleichen sich, fast im 1:1, die Autoren vom Yenschen Werk haben genau hingeschaut, haben ihre Variante davon erzählt. Verluste gibt es hier zu vermelden und Gewinne, erst das eine, dann das andere, das Rechtssystem wird unter Augenschein genommen, zudem einige außergewöhnliche darstellerische Leistungen, frische Gesichter und Veteranen aufgeboten, es wird sich in Alkohol getröstet, es wird nach seinen Idealen gesucht, nach dem Wert von sich selber und der Arbeit, kein Triumph, die Zerstörung eines unschuldigen Lebens, man fühlt sich schuld zerfressen, die Inszenierung einfühlsam, behutsam, sorgfältig, Ng ist ein Autor, seit dem Millennium etwa, er hat viel für Dante Lam gearbeitet, fast alles für diesen geschrieben, mit Ausnahme der militärischen Operationen, er war in dessen vielen Actionthriller involviert, auch als Coordinator und Post-Production Assistant Director; hier ein anderes Metier, trotz Mitarbeit am Skript nicht dem 'Vorbild' nachgeeifert, ein Kommentar zur Gesellschaft, zu dem, was der einzelne tun kann und inwiefern er bereit dafür ist, die Betrachtung eines Daseins, gefangen in der Midlife-Crisis und im System. Wong spielt das handfest, er ist am Ende, er hat Schulden, die Geldeintreiber stehen schon vor der Tür, die Wohnung ist klein geraten, eine Verstrickung zwischen dem normalen Leben und dem kriminellen hier, Gefängnisbesuche, die Inhaftierte hat sich nach zwei Jahren ausgesprochen verändert, das Leben hinter Gittern ihren Spuren hinterlassen, eine Abweisung, es geht um Schuld und Sühne, um Erlösung und Hoffnung, die man nicht mehr zu erreichen glaubt, aber dringend zum Atmen, zum Luftholen benötigt, zum Entlasten des Steines auf der Brust benötigt.

Um Klassenunterschiede und dem Einsetzen und Ausnutzen von Macht und Einfluss geht es auch hier, die eine Partei hat ein riesiges Grundstück mit ebensolchen Anwesen, man hat seine Lakaien und seine Fürsprecher, man achtet auf seinen Ruf und die Reputation, auf die Investition. Speziell herausstechend ist die Regie, es wird sich auf die Gespräche konzentriert, ein Zeitsprung eingeführt, der Fall zwei Jahre her, er hat ihn nicht in Ruhe gelassen und einen der vermeintlichen Zeugen auch nicht, er wird wieder aufgerollt, "Looking for redemption?", er will nicht mit Bedauern sterben, er stößt auf Hindernisse, weniger auf Unterstützung, A Guilty Conscience, welches ihm vom Leben abhält. Der Prozess wird wieder aufgerollt, ein Fehler versucht, wiedergutzumachen, die Taktiken des anderen Anwalts zu durchschauen, dieser ist erfahrener, die Jury muss überredet werden, Wortspiele werden geboten, neue Beweise vorgelegt, Relevanz und Emotionen, Differenzierungen, Aufklärungen, Interpretationen. Eine Mordermittlung, ein Krimi, eine Anklage an das Rechtssystem und die Werte der Gesellschaft, eine böse und gleichzeitig clevere Überraschung in der Mitte, der Hälfte der Laufzeit. Mit Tricks und Finten und Manipulationen wird gespielt, sich illegal Zutritt von Objekten verschafft und Geständnissen, schmutzige Geschäfte in edler Akquise. Zwischendurch wird selbst vom Gefängnis aus gearbeitet, auch beiden Parteien involvierend, eine Formation an Ereignissen, die an den Nerven zehrt, nur die Figuren im Film bleiben verhältnismäßig ruhig. Infrage gestellt werden dabei alle drei Prozesse des Gerichtssystems, die Exekutive, die Judikative, aber auch die Legislative; ohne leisen Humor zu vergessen, der Film ist nicht The Sparring Partner (2022), der komplett den ernsten Weg ging, sondern auch den Unterschied an den Kassen und den Auswirkungen.








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