Auf WDR-Redakteur Heiko Schäfers jeweils rund eineinhalbstündige TV-Dokumentarfilme „Die verrückten 80er“ und „Die verrückten 70er“ waren „Die verrückten 90er“ gefolgt. Im Jahre 2021 reichte er „Die verrückten 60er“ nach. 2020 war ihm seine Kollegin Melanie Didier mit „Jung in den 60ern – Rebellen, Beat und Minirock“ bereits zuvorgekommen, wenn auch mit etwas anderer, jugendspezifischerer Ausrichtung. Und im selben Jahr hatte der WDR die vierteilige Dokureihe „Unser Land in den 60ern“ ausgestrahlt, die einen stärkeren lokalen, aufs Bundesland NRW fokussierten Bezug herstellt.
Wie gewohnt, greift der Film nach Infotainment-Art unterschiedlichste Themen aus verschiedenen Bereichen auf, denen gemein ist, dass sie das Jahrzehnt – zumindest nach Meinung des Redakteurs bzw. seines Teams – in irgendeiner Weise geprägt haben, aber auch, dass sehr veranschaulichendes, unterhaltsames oder kurioses Fernsehmaterial dazu vorliegt, das Off-Erzählerin Franziska Knost pointiert kommentiert und von diversen Prominenten zum Anlass genommen wird, persönliche Bezüge herzustellen oder Anekdoten kundzutun. Das Besondere dabei ist, dass die Promis diesmal jeweils im Doppelpack auftreten, wobei je einer den Part der Eltern- und einer jenen der jüngeren Generation übernimmt. Es handelt sich dabei um BAP-Musiker Wolfgang Niedecken mit seiner Tochter Isis-Maria, Schauspielerin Kathrin Ackermann mit ihrer Enkelin Charlotte Furtwängler, Moderatorin Anna Planken mit ihrer Mutter Maria, Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer mit ihrer Mutter Karin Stuhl sowie Sänger und Humorist Dave Davis mit seinem Schwiegervater Eckhard.
Erneut werden sämtliche angerissenen Themen in chronologischer Reihenfolge abgehandelt. Als da wären:
Dass die Promis generationsübergreifend reflektieren, kommentieren und sich zum Präsentierten auch schon mal kurz austauschen, erweist sich als ausgesprochen nette Idee und bringt eine angenehme zusätzliche Dynamik in den Film. Dieser ist, wie auch seine Vorgänger innerhalb der „Die verrückten…“-Reihe, natürlich keineswegs um Tiefgang bemüht und zudem sehr seiner westdeutschen Fernsehperspektive verhaftet, punktet aber mit zwei Aspekten: zum einen dem der Unterhaltsamkeit, die sich aus dem recht schnellen Schnitt und den Kommentierungen sowohl aus dem Off als auch nicht unsympathisch erscheinender Prominenter ebenso ergibt wie aus den authentischen Fernsehbildern, die aus der Dokumentation eine Art kuratierter Zeitreise machen. Zum anderen gelingt der Spagat, dennoch verdammt ernste, politische Themen und Ereignisse anzusprechen, ohne diese zu beschönigen, etwa, um die gute Stimmung beim nostalgischen Rückblick nicht zu gefährden. Dies betrifft die Kuba-Krise, aber auch die Ereignisse innerhalb Deutschlands, die letztendlich zu einer starken Radikalisierung geführt hatten. Wer beim Anblick der mit Holzlatten um sich prügelnden Jubelperser des schwachsinnigen Schahs mitten in Deutschland keine Wut empfindet, muss innerlich tot sein. Gleiches gilt fürs Attentat auf Dutschke. Für ein wenig Genugtuung sorgen die Bilder unschädlich gemachter „Bild“-Auslieferungsfahrzeuge. So ruft dieser Dokumentarfilm auch denjenigen, die zu reinen Unterhaltungszwecken einschalten, in Erinnerung, wie krank diese 1960er neben Twist, Tipp-Kick und „Beat-Club“ eben auch waren – ganz zu schweigen von den internationalen Verwerfungen, Kriegen und Krisen, die hier nicht verschwiegen werden. So überflüssig die Hippies gewesen sein mögen, so nötig war die ‘68er-Revolte.
Was dem Film an bedeutenden Themen womöglich noch fehlt, kann ich kaum beurteilen, denn dafür ist mir das Jahrzehnt zu fern. Eines fällt mir aber auf Anhieb ein: das Kino.