Wer denkt, der Amateur-, pardon, der Undergroundfilm habe sich seit Jörg Buttgereit, Andreas Schnaas, Olaf Ittenbach und Timo Rose weiterentwickelt, kennt Underground Breath offensichtlich nicht.
Ein anonymer Amateurfilmemacher, der sich selbst den kunstvoll klingenden Namen Juval Marlon gibt, hat diese lose strukturierte Dokumentation gemacht, die stark wie ein längeres DVD-Featurette wirkt. Was üblicherweise das Bonusmaterial zu einem Spielfilm ist, wird hier für knapp 30 Euro verkauft.
Neben alten Filmschnipseln und Outtakes bilden vor allem Behind-the-Scenes mit Marco Klammer sowie Interviews mit dem Darsteller Jörg Wischnauski die Schwerpunkte, aus denen man 89 Minuten Laufzeit zusammengebastelt hat.
Inhaltlich spricht man über die persönlichen Grenzen beim Dreh. Jörg Wischnauski möchte sich beispielsweise weder beim Kacken noch beim Onanieren filmen lassen.
Der mittlerweile verstorbene Marco Klammer schien ein leidenschaftlicher Darsteller gewesen zu sein. (R.I.P.) Er spricht über seine psychischen Probleme, aber kaum über Undergroundfilm. Die Veröffentlichung einiger Passagen wirft Fragen nach Würde, Einverständnis und Kontextualisierung auf. Beide Männer dominieren mit etwa 90% den Redeanteil, während die Frauen nichts zu ihren Erfahrungen sagen, dafür aber nackt auftreten: Eine leckt mal an einem Gewehrkolben oder an einem Totenschädel herum, eine weitere uriniert in ein Glas und gönnt sich einen ordentlichen Schluck des Natursekts. Das hält man für künstlerisch wertvoll und grenzüberschreitend, auch wenn Pornofilme seit etlichen Jahrzehnten vielfach explizitere Szenen bieten.
Auch das Zerdrücken oder Verspeisen von Insekten zur Provokation wird eingesetzt und thematisiert. Interessant, wenn Erwachsene in eine regressive Phase verfallen.
Wischnauski behauptet: „Undergroundfilme haben halt nicht die großen Vorbilder… Da es keine großen Vorbilder gibt, ist man freier in dem, was man macht.“
Doch Vorbilder gibt es reichlich und diese Werke zeigen, dass Tabubrüche und radikale Ästhetik seit Jahrzehnten existieren: Kurt Krens 10/65: Selbstverstümmelung (1965), Otto Muehls Manopsychotisches Ballett (1970), John Waters Pink Flamingos (1972), Thierry Zénos Vase de Noces – One Man and His Pig (1975), Jean-Louis Costess I Love Snuff (1995), oder Pig (1998) und natürlich Melancholie der Engel (2009) von Marian Dora. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Da Performancekunst, Underground-Avantgarde- und Exploitation-Filme seit den 60ern zahlreiche Tabus ausgeschöpft haben, ist Schockästhetik kaum noch originell. Hier sieht man nur Variationen altbekannter Motive bei schwacher handwerklicher Umsetzung: Bildgestaltung und (nicht existierende) Ausleuchtung wirken dabei unkontrolliert und folgen keiner nachvollziehbaren dramaturgischen Intention. Der Schnitt erzeugt in mehreren Szenen unbeabsichtigte Brüche und widerspricht der Aussage des gesprochenen Materials. Ein Beispiel: Jörg Wischnauski erzählt im O-Ton: „Beim Underground-Film braucht man irgendwo auch ein bisschen Mut.“ Umschnitt: Zwei Mädels lackieren sich die Fingernägel.
Die Provokationsversuche (Sexualität+Tod) wirken so aufgesetzt und abgenutzt, dass sie wie oberflächliches Marketing-Gepose erscheinen: „Seht her, wir sind kontrovers!“
Juval Marlon erinnert stilistisch an eine Marian-Dora-Imitation: Ähnliches Pseudonym, kein Auftreten vor der Kamera, verfremdete Stimme. So schützt er seine Anonymität und konstruiert zugleich einen Mythos um seine Kunstfigur. Sein Zitat: „Wenn ein Darsteller sich für den Film verletzt, dann ist das ein großes Geschenk. Der Körper und der Geist sind das Elementarste des Menschen. Es ist alles, womit man zur Welt kommt. Wenn jemand bereit ist, das für einen Film zu verletzen, dann wäre es respektlos, das nicht anzunehmen.“
Klingt radikal, ist aber viel heiße Luft. Violetta Sangue zeigt Körpereinsatz und kratzt sich das eigene Knie für den Film Des Töchterleins Leid (2024) auf. Ein Effekt, der mit ein paar Tropfen Kunstblut genauso erreicht worden wäre.
Underground Breath erhebt also einen erkennbaren künstlerischen Anspruch, den er aber wegen konzeptioneller und handwerklicher Schwächen nicht einlösen kann. Die Kluft zwischen Selbstverständnis und tatsächlichem filmischem Ergebnis ist erstaunlich. Amateurfilmprojekte können als kreative Freizeitbeschäftigung einen hohen individuellen Wert haben, aber hier entsteht der Eindruck der Selbstüberschätzung, weil man sich wichtiger nimmt, als es die filmische Qualität rechtfertigt.
Damit sehe ich dieses Filmchen ganz klar in der Tradition sogenannter Vanity-Projekte, die vom narzisstischen Scheitern leben. Mit etwas Selbstironie hätte das sympathisch werden können, aber dieser Möchtegern-Badass-Auftritt war peinlich.