Blutdurst trifft Blutwurst
In einem erstaunlichen Kinojahr mit gleich mehreren neuen Versionen von Dracula, dem Wolfsmenschen sowie Frankenstein und seiner Braut (!), kommt man nicht umher zu denken, dass klassische Horrorikonen "back" sind. Und nun kommt auch noch Luc Besson mit seiner Version des Blutsaugers Nummer 1, in der er Graf Dracula auf eine jahrhundertlange Reise zwischen Liebeskummer, Notgeilheit und Hunger auf den roten Lebenssaft schickt...
Die Leiden des jungen Dracula
Über ein Jahrhundert wurden filmisch jetzt schon viele verschiedene Facetten und Spielarten des Dracula-Mythos' und der Bram Stoker-Geschichte erzählt. Mal klassisch, mal elegant, mal rockig und laut, mal artousig und mal splattrig. Da sollte für jeden etwas dabei sein. Besson scheint durch seine grausame Fingerübung "June & John" letztes Jahr scheinbar nicht genug in Ungnade gefallen zu sein und fährt nun (zumindest für den europäischen Film) große Geschosse auf bei seinem "Dracula - A Love Tale". Zumindest schauspielerisch und audiovisuell. Und das sind ja schonmal große Teile eines Kinoevents... Ein bisschen europäischerer Abklatsch der unerreichten und exzellent gealterten Coppola-Version, ein bisschen Kitschkäse, ein bisschen Besson-Musikvideo, ein bisschen Romantikgedicht aus der nasskalten Dunkelheit. Ein bisschen des guten Besson, ein bisschen des schlechten Besson. Viele Parallelen zu seiner "Johanna von Orleans". "Dracula - A Love Tale" ist phasenweise höllisch unterhaltsam, comichaft ausstaffiert und ungeniert, befindet sich nah an Guilty Pleasure-Territorium, stolpert und kopiert dann aber doch zu viel, um mich vollends zu überzeugen. Waltz spielt seine Rolle routiniert, den Kern und viele Beats und Beigaben der Geschichte sind altbekannt, dieser romantisch-persönliche Blickwinkel wirkt zumindest recht eigen und speziell, die vielen verschiedenen Jahrhunderte verleihen Abwechslung, trotzdem bleibt nichts allzu lang bei einem. Sensationell hingegen ist Caleb Landy Jones, der irgendwo zwischen guter Gary Oldman-Imitation und großem Schauspielkino ein echter Hochgenuss und Gewinn für das Epos ist. Und ebenso stimmen Ausstattung und allgemeine Grandezza jeden Kinofan fröhlich. Das kann sich sehen und hören lassen, das trägt genau richtig dick auf, das drückt fast durchgängig in den Kinosessel und auf die Tube. Da lässt das europäische Genrekino wirklich mal die Muskeln spielen. Und so bekommt man audiovisuelle Brillanz, schauspielerisches Oha und geschichtlich zumindest eine leicht gekippte Sichtweise zwischen Lieben, Trieben und natürlichem Aussieben.
Womanizer, Rockstar, Parfumeur, Poet
Fazit: wie das trashigere, romantischere, noch kitschigere und zu späte Gegenstück zu Coppolas Version aus den 90ern... gepaart mit sowas wie "Dracula Untold". Sehr unterhaltsam, sehr opulent, sehr gut bestückt. Sehr Besson. Sehr gut in Teilen. Und sehr schlecht in Teilen. Ich ziehe Eggers trockeneren, aber viel eleganteren und stilsichereren "Nosferatu" in jedem Fall vor. Erstaunlich Daseinsberechtigung hat dieser unsterblich verliebte Dracula aber schon. Und seine steinerenen Minions sind ja mal toll.