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„Herr Kommissar, Sie verlottern so langsam da draußen!“

Der vierte Fall des Berliner „Tatort“-Duos Ernst Roiter (Winfried Glatzeder) und Michail „Zorro“ Zorowski (Robinson Reichel) wurde, wie alle drei vorausgegangenen Fälle, im Jahre 1996 ausgestrahlt. Um genau zu sein, datiert dieser von Andreas Pflüger geschriebene und von Berno Kürten („Fassadenschwindel“) inszenierte auf den 10. November 1996. Kürten drehte damit seinen ersten von bis dato drei Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe und hatte dabei nicht so recht Glück: Wie bereits der erste Fall dieses Duos landete auch dieser nach seiner bisher einzigen Ausstrahlung im Giftschrank, diesmal wegen „brutaler, sexistischer und menschenverachtender Darstellungen“.

„Sie ist doch nur ‘ne Nutte, wen kümmert das?“

Ein Postangestellter wird in seinem Auto von einer Briefbombe getötet – ein versehentliches Zufallsopfer. Hauptkommissar Roiter und Kommissar „Zorro“ Zorowski stehen vor einem Rätsel. Bald darauf wird die junge, attraktive Russin Irina Alexandrowna (Nadeshda Brennicke, „Manta – Der Film“) ermordet aufgefunden. Die Spur führt die Kripo zur Russenmafia, und siehe da: Beide Fällen hängen miteinander zusammen. Es geht um Menschenhandel: Junge Russinnen werden nach Berlin geschleust und Bordellen überlassen, an den Einnahmen aus der Prostitution kassiert die Mafia kräftig mit. Nun schwebt die Zeugin des Mords in Lebensgefahr: Nadja (Theresa Hübchen, „Einsteins Baby“), die Schwester der Toten. Werden Roiter und Zorowski Nadjas Leben retten, die Täter verhaften und den Mafiaring zerschlagen können?

„Wenn man den Feind verstehen will, muss man wissen, was er raucht.“

Dieser „Tatort“ beginnt direkt mit dem bedauernswerten Postfahrer, dessen Auto plötzlich explodiert – und damit nach der Frage nach dem Warum. Im Anschluss bekommen wir eine Stripshow mit, klar, nackter Haut zu sehen. In jenem Club ist der Gast Wittkowski (Karl Kranzkowski, „Nikolaikirche“) an der Wirtin Irina interessiert, die jedoch liiert ist und ihn abblitzen lässt. Gegen Geld hat sie trotzdem Sex mit ihm, woraufhin ihre Zuhälter Dima Kaschpirowskij (Dirk Martens, „Die Versuchung – Der Priester und das Mädchen“) und Viktor (Stefan Jürgens, „Nacht der Frauen“) ihn rausschmeißen und sie brutal misshandeln. Damit ist das Milieu, in dem diese Episode operiert, abgesteckt. Szenenwechsel: Eine Hochzeitsfeier. Erneuter Szenenwechsel: Irinas Schwester Nadja trifft aus Russland in Berlin ein und eröffnet Irina, dass ihr Vater in Russland erschossen wurde.

„Das Krokodil sitzt in Moskau.“

So vermengen sich mehrere Handlungsstränge etwas herausfordernd erzählt miteinander, an deren vorläufigem Ende die Ermordung Irinas steht. Der unorthodoxe Hauptkommissar Roiter lebt mittlerweile in einem Zelt, was für einen netten optischen Effekt genutzt wird: Das Zelt, in dem sich beide Kommissare befinden, wird von außen gefilmt, wodurch diese als Schatten zu sehen sind. Der weitere Handlungsverlauf lebt von interessanten Wendungen und einem weiteren, besonders grausamen Mord, und mündet in eine wilde Schießerei im Finale.

Der viel mit östlich-folkloristischen Klängen unterlegte Fall arbeitet auch nach dem Kalten Krieg mit Russen als Feindbild (in Person „Zorros“ aber auch als Gesetzeshüter), hier in Form einer im Rotlichtmilieu aktiven Mafia-Organisation. Dabei wird kaum ein Mafia-Klischee ausgelassen und nicht mit Brutalität gegeizt, sodass dieser „Tatort“ mitnichten sozialrealistisch anmutet, sondern verstärkt mit Versatzstücken des Genrefilms arbeitet. In seinen Übertreibungen ist er dabei gewiss nicht immer ernstzunehmen; zum Aufstellen eines neuen Giftschrank-Rekords (gleich zwei Fälle dieses Duos landeten dort) reichte es aber. Mit entsprechend angepasster Erwartungshaltung unterhält „Krokodilwächter“ recht gut, zumal er nicht den Fehler begeht, ein vollumfängliches Happy End mit den (hier gut zusammenarbeitenden) Kripo-Kommissaren als Helden anzusteuern. Und „RTL Samstag Nacht“-Humorist Stefan Jürgens als Mafioso bekommt man auch nicht alle Tage zu sehen.

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