Review

Der Boss auf leisen Sohlen

Es scheint, als wolle Hollywood dieser Tage die Legenden entkleiden. Kaum hat James Mangold mit „Like A Complete Unknown“ Bob Dylan in ein wunderbar entrücktes Road-Märchen verwandelt, legt Scott Cooper nach – mit Bruce Springsteen, dem Arbeiterheiligen des Rock, dem Mann, der mit „Born to Run“ den amerikanischen Traum besang und zugleich seine eigene Entfremdung vertonte. Doch Coopers Film, „Springsteen: Deliver Me from Nowhere“, ist kein Biopic im klassischen Sinn. Kein Greatest-Hits-Feuerwerk, keine schweißnassen Stadionnächte, keine Euphorie, kein „Glory Days“. Stattdessen versucht Cooper, das zu tun, was Hollywood sonst so gerne meidet: das Mythische zu entzaubern, den Boss zu einem Mann aus Fleisch, Blut und Zweifeln zu machen.

Sein Film spielt Anfang der 1980er Jahre, als Springsteen, ausgelaugt vom Erfolg von „The River“, sich in ein Haus in New Jersey zurückzieht, um allein – mit einem Vierspurgerät und seinen Dämonen – das Album „Nebraska“ aufzunehmen. Herausgekommen ist eine Charakterstudie, die sich weniger für Musik interessiert als für das, was zwischen den Songs passiert: Zweifel, Schuld, Verzweiflung. Ein Künstler auf der Suche nach Bedeutung, nach Erlösung, nach irgendetwas, das Sinn ergibt. Der Film will kein Denkmal errichten. Er will einen Menschen zeigen, der gerade dabei ist, nicht zu zerbrechen. Eine mutige Entscheidung, die filmisch allerdings nur teilweise aufgeht. Denn zwischen den starken Momenten der Introspektion und den flirrenden Flashbacks aus Springsteens Kindheit verirrt sich die Erzählung manchmal in der eigenen Ernsthaftigkeit. „Deliver Me from Nowhere“ ist – wie der Titel schon andeutet – ein Film, der seinen Helden aus dem Nirgendwo zu retten versucht, dabei aber manchmal selbst in diesem Nirgendwo stecken bleibt.

Scott Cooper, der sich seit „Crazy Heart“ auf die gebrochenen Männer Amerikas spezialisiert hat, bleibt seinem Thema treu. Auch hier geht es um Absturz und Erlösung, um Identität und Verlust. Er interessiert sich nicht für Ruhm, sondern für Risse. Für die Leere zwischen dem Applaus. In langen, fast wortlosen Szenen beobachtet die Kamera den Musiker beim Grübeln, Aufnehmen, Schweigen. Das Drehbuch – basierend auf Warren Zanes’ Buch gleichen Namens – schwankt dabei zwischen poetischer Schwere und erzählerischer Schläfrigkeit. Cooper gelingt es zwar, das existenzielle Dilemma eines Mannes zu skizzieren, der mit sich selbst ringt, doch die Dramaturgie bleibt sprunghaft. Immer wieder schiebt Cooper Erinnerungen aus Springsteens Kindheit dazwischen: der strenge Vater, die Enge von Freehold, New Jersey, die bleierne Luft der Arbeiterstadt. Diese Rückblenden sollen das emotionale Fundament liefern, doch sie wirken häufig wie Fremdkörper. Statt die Gegenwart zu erhellen, zerfasern sie die Erzählung. Der Film will tief bohren – und bleibt doch an der Oberfläche der Symbolik hängen.

Was Cooper allerdings makellos gelingt, ist die Atmosphäre. „Deliver Me from Nowhere“ sieht aus, als sei er in den Farben eines alten Polaroids getaucht worden: matte Brauntöne, kaltes Morgenlicht, der Geruch von Kaffee und Motoröl. Die frühen Achtziger sind hier kein popkulturelles Bonbon, sondern ein müdes, leicht verschlissenes Amerika, in dem Männer mit öligen Händen über verpasste Chancen nachdenken. Wer hier auf mitreißende Konzertsequenzen oder ikonische „Born in the U.S.A.“-Momente hofft, wird enttäuscht. Die Musikszenen sind rar und wirken eher wie Meditationen denn wie Performances. Wir sehen Bruce allein, im Halbdunkel seines Studios, mit einer abgewetzten Gitarre und diesem Blick, der irgendwo zwischen Verzweiflung und Erlösung pendelt. Diese Reduktion ist konsequent, aber auch riskant. Denn was „Nebraska“ als Album so faszinierend macht – diese flirrende Mischung aus Trostlosigkeit und Schönheit – will sich filmisch nicht immer einstellen. Cooper versucht, den Geist dieser Musik einzufangen, doch zu oft bleibt sie ein fernes Echo. Der Zuschauer hört nicht „Nebraska“ – er sieht jemandem beim Denken darüber zu. Mit zunehmender Laufzeit sehnt man sich nach rhythmischem Puls, nach jener elektrisierenden Energie, die Springsteen selbst so unverwechselbar macht. Cooper will das Intime, das Brüchige – und das gelingt ihm. Nur fragt man sich irgendwann: Wo ist der Funke?

Masenobu Takayanagi (bekannt für seine Arbeit an „Out of the Furnace“) fängt die Welt in erdigen, körnigen Bildern ein, die fast schon an dokumentarische Aufnahmen erinnern. Die Kamera bleibt dicht am Gesicht, zögert nie, wenn Jeremy Allen White in den Schatten seines eigenen Schweigens verschwindet. Der Mann, der in „The Bear“ schon die Kunst des innerlich kochenden Schweigens perfektionierte, fängt mit seiner nervösen Energie, seiner verletzlichen Männlichkeit, seinem rauen Charme genau das ein, was diesen Film überhaupt trägt. White spielt nicht Bruce Springsteen, er lebt ihn – oder vielmehr: er sucht ihn. Seine Darstellung hat diese fiebrige Unruhe, dieses brodelnde Etwas, das unter der Oberfläche lauert. Kein Imitat, kein Karikatur-Spiel. Eher ein Porträt aus Emotionen, Gesten, Blicken. White trägt den Film – und manchmal ist es, als trüge er ihn ganz allein.

Fazit

„Springsteen: Deliver Me from Nowhere“ ist ein Film über das Schweigen nach dem Applaus. Kein Popcornkino, kein Feel-Good-Trip durch die Rockgeschichte. Es ist ein stilles, introspektives Drama über einen Künstler, der die Dunkelheit nicht nur kennt, sondern sie einlädt, sich zu setzen. Scott Cooper gelingt ein feinsinniges, handwerklich makelloses Porträt, das in seiner Zurückhaltung fast schon zu bescheiden wirkt. Die Atmosphäre stimmt, die Authentizität ist greifbar, und Jeremy Allen White liefert eine Performance, die beeindruckt. Doch der Film bleibt – um in Springsteens Sprache zu sprechen – ein bisschen wie ein Motor, der nie ganz zündet. Man spürt die Sehnsucht, aber nicht die Erlösung. Und vielleicht ist das genau der Punkt. Vielleicht wollte Cooper gar keinen Mythos zementieren, sondern zeigen, dass auch Helden manchmal in der Stille verloren gehen. Nur wünschte man sich, er hätte den Mut gehabt, diese Stille etwas öfter zu durchbrechen. So bleibt am Ende ein Film, der berührt, aber selten wirklich begeistert.

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