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Im Jahr 1981 hat Bruce Springsteen gerade seine sehr erfolgreiche „The River“ Tour beendet und fällt nach dem Bühnen-High in ein tiefes Loch. Alleine zieht er sich in einen gemieteten Bungalow in seiner Heimatstadt New Jersey zurück, um dort an seinem nächsten Album zu arbeiten. 

Erinnerungen an seine Kindheit werden wach, an den Vater (Stephen Graham), einen Trunkenbold, der den Sohn auf seine Art liebevoll, aber mit harter Hand, erzieht. Er gibt ihm unverlangten Boxunterricht und schleppt ihn mit in eine Matinee von Charles Laughtons grausamem THE NIGHT OF THE HUNTER. 

Auf dem TV-Bildschirm in Springsteens Enklave läuft passenderweise in Dauerschleife Terence Malicks BADLANDS, in dem der junge Martin Sheen Sissy Spaceks Vater erschießt. Springsteen beginnt, True Crime-Fälle zu recherchieren. Kein Wunder, dass aus diesen Einflüssen kein neues powervolles Rockalbum entsteht, sondern „Nebraska“. Das düstere Akustik-Folkalbum, das der „Boss“ alleine in seinem Schlafzimmer mit simpler Technik und künstlichem Echohall aufnahm, gilt als Wendepunkt in Springsteens Karriere und als sein wichtigstes Album, das eine ganze Reihe von Künstlern inspirierte. 

Der Film erzählt die Entstehungsgeschichte dieses Albums, ähnlich wie vor kurzem A COMPLETE UNKNOWN von der elektronischen Phase des Folksängers Bob Dylan erzählte. DELIVER ME FROM NOWHERE ist jedoch ein sehr persönliches Biopic, das mehr Zeit mit seinem Protagonisten verbringt als mit seiner „Szene“ und dem Zeitkolorit. 

Eine Liebesgeschichte mit der jungen Mutter Faye (Odessa Young als fiktiver Platzhalter mehrerer Liebschaften Springsteens) wird angedeutet, bildet jedoch nur einen Nebenstrang im Film. Stärker im Vordergrund stehen die Männerfreundschaften, insbesondere mit Springsteens Manager Jon Landau (Jeremy Strong, dem man nach seinen letzten Arschlochrollen den loyalen Freund nur schwer abnimmt) – Ausgleich zur fehlenden emotionalen Beziehung zum Vater. 

Der künstlerische Aspekt ist das Interessanteste Element des Films, als Drama fehlt ihm etwas die Fallhöhe: Springsteen hatte keine unbeschwerte Kindheit und leidet an Depression, schafft es jedoch, dies künstlerisch zu verarbeiten, begibt sich in Therapie und ist offen in Kommunikation darüber. Als Vorbild und Hoffnungsvision ist dies ganz wunderbar, für den Film fehlt es dadurch an dramatischer Entwicklung. 

Dafür trumpft DELIVER ME FROM NOWHERE mit seinem Hauptdarsteller und dessen Performance ganz groß auf: Jeremy Allen White sieht zwar immer aus wie Jeremy Allen White, doch er ist hier auf seine Weise einfach Bruce Springsteen. Sein Charisma trägt den Film und sorgt dafür, dass man über manch dramaturgische Schwächen, über offensichtlich kitschige und in solchen Filmen häufig gezeigte Szenen gerne hinwegsieht. Und wenn Jeremy als Bruce zum Mikro greift, muss man selbst als Kenner von Springsteens Werk genau hinhören, um einen Unterschied zum Original zu erkennen. Erst als über dem Abspann eine kraftvolle Liveversion von „Atlantic City“ von Springsteen und der E Street Band ertönt, hört man, dass dies doch nochmal eine reifere, druckvollere Stimme ist. Yes, Boss!

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