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War Kathryn Bigelow früher in erster Linie als Genrespezialistin bekannt, so trat sie in den letzten zwei Jahrzehnten oft als eine Chronistin der modernen amerikanischen (Militär-)Geschichte auf: Mit „The Hurt Locker“, „Zero Dark Thirty“ und nun „A House of Dynamite“.
Ähnlich wie in ihrem Bin-Laden-Thriller aus dem Jahr 2012 wählt Bigelow einen sehr nüchternen Blick auf das Geschehen, das sie dreimal erzählt, aus verschiedenen überlappenden Perspektiven. Es geht um den Abschuss einer Rakete auf die USA, wahrscheinlich eine Atomrakete. Die Herkunft ist unklar, der Zielort konkretisiert sich erst nach und nach, die Raketenabwehr versagt. So verhältnismäßig simpel ist die Geschichte, die jedoch gleichzeitig so plausibel erscheint wie zuletzt zur Zeit des Kalten Krieges. Es geht um das Gleichgewicht des Schreckens zwischen den Atommächten, das der US-Präsident (Idris Elba) mit einem Haus voller Dynamit vergleicht: Es ist voll mit Sprengstoff und ein einzelner Funke kann die totale Zerstörung triggern.
Alle drei Abschnitte fokussieren sich grob geschätzt auf jeweils eine Hauptperspektive: Den White House Situation Room, wo Captain Olivia Walker (Rebecca Ferguson) und ihr Team sich der Situation gewahr werden, Videokonferenzen organisieren, Experten fragen – kurzum: das Chaos zu verwalten suchen; das United States Strategic Command, wo General Anthony Brady (Tracy Letts) und seine Leute andere Staaten beobachten und mögliche Gegenschläge vorbereiten, vor allem gegen potentielle Verursacher wie Russland, China oder Nordkorea; und schließlich den Präsidenten selbst, der die letztendliche Entscheidung darüber treffen muss, ob und in welchem Umfang ein Gegenschlag stattfindet. Sein junger strategischer Berater Robert Reeves (Jonah Hauer-King) nennt die möglichen Skalierungen eines Gegenschlags „rare“, „medium“ und „well done“.

Doch kein Handlungsstrang steht für sich, die Figuren tauchen auch immer wieder in den anderen Teilen auf, ebenso wie weitere Charaktere. Etwa Verteidigungsminister Reid Baker (Jared Hess), dessen Tochter im potentiellen Einschlagsgebiet lebt, die Soldaten auf der Abwehrbasis, welche die Rakete abschießen wollen, die Notfallbeauftrage Cathy Rogers (Moses Ingram) oder die Reporterin Abby Jansing (Willa Fitzgerald), die mitkriegt, das etwas nicht stimmt. „A House of Dynamite“ wird nicht allen Plotsträngen wirklich gerecht (Abby trägt beispielsweise so gut wie nichts zur Handlung bei), schafft es aber, dass diese Vielzahl der Figuren Profil und Menschlichkeit gewinnt. Etwas, dass der ähnlich gelagerte, aber auf Phantastik aufgebaut „Shin Godzilla“ beispielsweise nicht schaffte. Kurze Einblicke ins Privatleben schaffen Bindung ebenso wie das nachvollziehbare Handeln: Nicht wenige wollen ihre Liebsten in Sicherheit bringen oder sich zumindest verabschieden, auch wenn sie dafür die strengen Sicherheitsprotokolle dafür brechen müssen. Doch die Frage ist ja: Würden wir es ihnen in der Situation nicht gleichtun?
„A House of Dynamite“ ist in erster Linie ein Film über Menschen, die auf Bildschirme starren und in Headsets sprechen. Das klingt nicht aufregend, wird von Bigelow oft hochspannend inszeniert. Die Kamera von Barry Ackroyd ist oft nah dran, gleichzeitig aber dynamisch genug, um die Anspannung der Beteiligten sichtbar zu machen, gerade in Verbindung mit dem präzisen Schnitt von Kirk Baxter. Über weite Strecken läuft das Geschehen mehr oder weniger in Echtzeit ab, wodurch man den Druck, unter dem alle stehen, zu verdeutlichen: Fast alle Details zur Rakete sind unklar, die vermeintlich sicheren Sicherheitsprotokolle versagen, eine Entscheidung kann den Dritten Weltkrieg oder gleich das nukleare Ende der Erde auslösen. Gleichzeitig wollen die US-Amerikaner keine Schwäche zeigen, keinen Atomangriff unbeantwortet lassen. Bigelows Stil ist nüchtern und beobachtend, enthält sich jeder offenen Wertung, sondern ist eher erklärend – so werden beispielsweise auch die Jargon-Abkürzungen der Beteiligten schnell über Texte im Bild erläutert. Das Schreckensszenario von „A House of Dynamite“ baut auf seinen unbedingten Realismus, auf totale Plausibilität.

Bigelow, die nach drei Kooperation mit Drehbuchautor Mark Boal (nämlich „The Hurt Locker“, „Zero Dark Thirty“ und „Detroit“) hier nun ein Script von Noah Oppenheim verfilmt, will keine einfachen Antworten auf die dringenden Fragen geben, die sich aus der Prämisse des Films ergeben. Sie geht sogar noch weiter und gibt gar keine Antworten: Die Herkunft der Rakete, das Resultat des Einschlags, die Entscheidung zum Gegenschlag – all das bleibt offen. Vielleicht ist es auch der einzig sinnige Schluss des Films, da jede Antwort ja auch ein „Richtig“ oder „Falsch“ implizieren würde. Bigelow will keinen Vorsichtsparabel mit Hollywood-Ende erzählen, wie es etwa der vergleichbare „Crimson Tide“ in den 1990ern tat, aber dadurch wirkt „A House of Dynamite“ im Abschluss leicht unbefriedigend. Aber vielleicht ist auch genau das seine Stärke, dieser Bruch mit dem Publikumswunsch nach Geschlossenheit.
Was man „A House of Dynamite“ allerdings doch ein wenig ankreiden kann, sind gewisse erzählerische Redundanzen beim zweiten und dritten Durchlauf. Manchmal ist es durchaus spannend vorher angerissene Parts aus einer neuen Perspektive zu sehen, etwa jene des stellvertretenden Sicherheitsberaters Jake Baerington (Gabriel Basso), der erst nur via Handy teilnimmt. Die mehrfache Wiederholung der gleichen Situation unterstreicht sicherlich auch den Fatalismus und die Unausweichlichkeit des Ganzen – jedes Mal nimmt es den gleichen Verlauf, verlangt die gleichen schlimmen Entscheidungen. Doch der Erkenntnisgewinn nimmt mit jedem Mal ab und so kommt Bigelow auch zwangsläufig nicht mehr den schweißtreibenden ersten Part ihres Films heran. Dass man manche Dialoge doppelt und dreifach hört, verstärkt zwar den Wiedererkennungswert, aber im Vergleich zu manchen anderen Multiperspektiventhrillern bekommt man nie wirklich neue Informationen, eher kleine Facetten und Details.
Dass Bigelow bei diesem Film auf eine ganze Riege von Stars und namhaften Schauspielern zurückgreift, ist dabei kein Schaulaufen, sondern ein geschickter Schachzug. Denn ähnlich wie bei Ridley Scotts „Black Hawk Down“ dienen die bekannten Gesichter als Orientierung bei den ständig wechselnden Handlungsorten. Nicht jeder kommt dabei gleich dankbar weg – die Screentime von Willa Fitzgerald als Reporterin, von Jason Clarke als Chef des White House Situation Room oder Anthony Ramos als zuständigem Commander auf der Abschussbasis ist beispielsweise limitiert. Einige können dagegen ihr Können voll ausspielen, etwa Rebecca Ferguson, deren Figur zwischen der Routine des Jobs, ihrer Zuversicht in das System und der Angst um ihren Ehemann und ihren kleinen Sohn hin- und hergerissen ist, oder Jared Hess als Verteidigungsminister, der Nerven zeigt und eine fatal-konsequente Entscheidung trifft. Idris Elba, kürzlich als englischer Premier und Buddy von US-Präsi John Cena in der Actionkomödie „Heads of State“ zu sehen, gibt hier das amerikanische Staatsoberhaupt als Charismatiker, der gleichzeitig an der Schwere der Entscheidung zu verzweifeln droht und im Ernstfall das vielleicht Menschlichste überhaupt tut – die Ehefrau anrufen. In den ersten zwei Dritteln hört man Elba nur, aber trotzdem hat er von Anfang eine starke Präsenz, allein durch seine charismatische Stimme.

Ähnlich wie bei ihren drei vorigen Spielfilmen verabschiedet sich Kathryn Bigelow bei „A House of Dynamite“ von klassischen Drehbuchstrukturen und Hollywoodkonventionen, zieht das Publikum in ein absolut glaubwürdiges und gerade dadurch erschreckendes Szenario, das dadurch nachwirkt, dass es sich Antworten verweigert und dadurch zum Nachdenken anregt. Die Inszenierung ist packend, gerade im ersten Drittel hochspannend, auch wenn die Wiederholung des Geschehens aus mehreren Blickwinkeln am Ende nicht ganz so ergiebig ist, wie man es sich vielleicht erhofft. Dennoch: In seiner unkonventionellen Art und mit seiner Offenheit ein Film, der bei einem bleibt und einen beschäftigt. 7,5 Punkte.

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