Wenn sich ein Regisseur zwecks eines Remakes an einem absoluten Weltklassiker versucht, dann geht das meistens übelst in die Hose, probiert er es aber mit einem Geheimtip, so kann er noch einiges rausholen.
So geschehen im Fall Tim Burton, der mit „Planet der Affen“ kreativ Bankrott ging, mit „Charlie und die Schokoladenfabrik“ die meisten Zuschauer jedoch versöhnen konnte.
Das funktionierte nicht zuletzt auch hierzulande so gut, weil viele Zuschauer das Original gar nicht kennen, maximal das Buch von Roald Dahl.
Bereits 1971 verfilmte Mel Stuart das Buch bereits einmal mit recht großem Aufwand und auch wenn es den Autoren dermaßen in Rage versetzte, dass er sich den fertigen Film nie ansah, so gilt dieser Kinderfilm mit Musicalsequenzen im englischsprachigen Raum dennoch als Kulthit.
Die mangelnde Bekanntheit in Deutschland ist dabei umso bedauerlicher, hat man den Film doch damals in München in den Bavariastudios gefilmt und auch die Außenaufnahmen wurden auf den Straßen der Metropole eingefangen (also nicht über große „Ernte 23“-Werbeplakate wundern).
Ansonsten erkennt man die Geschichte, die auch im Burton-Film verwendet wurde, fast deckungsgleich wieder (mal abgesehen von den Erweiterungen um Willy Wonkas Vater).
Der geheimnisvolle Schokoladenfabrikbesitzer Willy Wonka offenbart der Welt, dass er für 5 Kinder plus Begleitung die Tore seiner Fabrik öffnen wird und löst mit den in seinen Schokoladetafeln versteckten „goldenen Tickets“ einen wahren Verkaufsrun aus. Gefunden werden die Tickets von einer reichen Göre, einer Kaugummifanatikerin, einem Dickwanst und einem Fernseh-Couchpotato, wobei das letzte Ticket von dem grundanständigen Charlie gefunden wird, dessen Familie so furchtbar arm ist.
Und in der Fabrik offenbaren sich die süßesten Wunder…
Deckt sich die Story auch ziemlich mit dem bekannten Remake, so gibt es doch feine Unterschiede. Bleiben die Musicaleinlagen bei Burton den kleinwüchsigen Oompa Loompas vorbehalten, die in der Fabrik arbeiten, so wird hier auch zwischendurch munter gesungen.
Mindestens zwei der Lieder sind dabei wahre Welthits, zum einen das berühmte „Candy Man“, gesungen Aubrey Woods, der hier den Süßwarenladen führt und zweitens den Ohrwurm „Pure Imagination“, den Gene Wilder selbst performt.
Leider sind manche Lieder etwas kitschig geworden, aber der Musikanteil ist zum Glück relativ niedrig. Dafür macht der Kitschfaktor aber vor dem Rest nicht Halt, denn die Szenen rund um den grundguten Charlie sind manchmal etwas arg klebrig geraten und werden nur selten so abgemildert, wie das die Burtonsche Verschrobenheit beim Set Design tat.
Dagegen steht ein bisweilen extrem schräger Humor, der frisch und unverbraucht wirkt, etwa in der Sequenz, in der die Frau eines Entführungsopfers alles für ihren Mann tun würde, bis sie erfährt, dass das Lösegeld ihr Karton Wonka-Schokolade sein soll.
Der wesentliche Unterschied ist aber in der Figur des Willy Wonka selbst begründet und an diesem Punkt bin ich selbst als Johnny-Depp-Fan gewillt, Gene Wilder ihm vorzuziehen.
Während Depp eine bizarre Karikatur bot, ist Wilder komplett andersweltlich, aber menschlich. Seine Denkweisen sind kraus, er zitiert wie wild Literatur und schwankt zwischen Absurditäten, Wortspielen und freundlich verpackten Bissigkeiten, die er mit einer träumerischen Versponnenheit abliefert, die einfach nur meisterhaft ist. Depp bot eine hervorragende darstellerische Leistung, Wilder IST Willy Wonka und darüber hinaus einfach nur zum Knuddeln.
Natürlich war das Budget (damals mit 3 Mio. USD schon recht ansehnlich) und der technische Standard nicht so hoch, um die Wunder von CGI zu erzeugen, aber was die Techniker und Designer in den Bavariahallen an bonbonbunter Zuckerwelt erschaffen haben, versetzt auch heute noch in Erstaunen. Hier ist nichts am PC kreiert, das hat man alles in mühevoller Kleinarbeit aufgebaut, inclusive eines großen Schokoladenwasserfalls. Es gibt die Fahrt auf dem Fluß, das TV-Studio, die Entwicklungsabteilung, nur auf die Eichhörnchen muß man leider verzichten. Die Tricks sind mehr als ordentlich geworden, sie sind sogar ausgezeichnet, wobei manchmal sogar der Gruselfaktor ein wenig zum Tragen kommt.
Während der Flußfahrt durch den Tunnel gibt es nämlich ein audiovisuelle Bombardement mit Filmsequenzen, die gruselig und grauslig genug sind, um sie in der ursprünglichen deutschen Fassung herauszuschneiden. Und noch einige andere Teile wurden wohl aus Sicherheitsgründen gekürzt, wenn es gar zu bitter wurde.
Irgendwo zwischen scharfem Witz und sacchariner Kitschigkeit funktioniert derFilm aber hervorragend auf dem Sympathielevel und macht ungebrochen Spaß, weil er die Fantasie stets anregen kann, anstatt sie zu erschlagen.
Nachdem Arte den Film nun für die deutsche Ausstrahlung nun in der ursprünglichen Fassung präsentiert hat (entgegen anderen Angaben strahlte ihn RTL schon einmal Anfang der 90er aus), sollten sich auch für diesen wunderschönen Kinderfilm endlich ausreichend Abnehmer finden.
So schön und phantasievoll kann Kino für Kinder sein… (8,5/10)