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Wenn man als Fan eines bestimmten Subgenres (fast) alles mitnimmt was man kriegen kann, hat man irgendwann die bekanntesten Vertreter durch und arbeitet die Geheimtipps ab bzw. alle Filme, denen aus irgendeinem Grund der größere Erfolg verwehrt wird. In vielen Fällen dürfte dies der mangelnden Originalität geschuldet sein, die sich irgendwann zwangsläufig einstellt. Es werden dann bestenfalls nur noch Genreklischees reproduziert und in eine variierte Geschichte gesteckt oder gleich ganze Passagen hemmungslos abgekupfert. Was Gialli angeht, waren die Resultate solcher Vorgehensweisen für mich nur selten richtig mies, meistens durchschnittlich bis akzeptabel, was ihrer speziellen Atmosphäre geschuldet ist, die in der Regel durch eine ansprechende Optik und stimmungsvolle Musik entsteht. Oft liegt die Unbekanntheit eines Films aber nicht an dessen inhaltlicher Qualität, sondern an der Veröffentlichungspolitik einschlägiger Labels. So kommt es vor, dass man nach vielen Jahren hin und wieder einen technisch versierten UND eigenständigen Kracher vor die Linse bekommt. „Deadly Inheritance“ gehört ganz klar zur zweiten Kategorie, und wer bei der folgenden Inhaltsangabe denkt „Hey, eine derartige Ausgangsposition ist doch bei Gialli nichts Neues“, sollte einen Blick auf das Alter des Films werfen.

Der verwitwete Gleisarbeiter Oskar wird von einem Zug erfasst, da er – wie wir später erfahren – taub war. Er hinterlässt die 3 hübschen Töchter Simone, Rosalie und Colette sowie den schwachsinnigen 18-jährigen Adoptivsohn Janot, für die sich Daddys unvorteilhafte Berufswahl als Glücksfall entpuppt, denn es gibt nicht nur irgendwelchen nutzlosen Krempel zu erben, sondern auch einen Batzen Kohle. Problem: das Geld ist erst an Janots 21. Geburtstag verfügbar, damit er bis zu seiner Volljährigkeit familiär versorgt wird. Das schmeckt den Schwestern und Leon, dem Ehemann von Rosalie, überhaupt nicht, denn die benötigen eine dringende Finanzspritze. Kurz darauf gerät auch Janot unter die Eisenbahnräder, und nun muss die Polizei klären, ob das ein Unfall oder Selbstmord war, oder ob jemand keinen Bock hatte, auf den neuen Reichtum zu warten. Ein Motiv hat schließlich Jeder der 4, was zu einer Mordserie führt, denn auch die Lust am Teilen scheint nicht sonderlich ausgeprägt zu sein.

Im Falle dieses Werkes ist es mir wirklich ein Rätsel, warum das Teil kaum jemand kennt. Es gab in den 60ern vergleichsweise wenig Gialli, und das Erbthema war mir zum ersten Mal in „Bay of Blood“ (1971) begegnet, wobei ich selbstredend nicht ausschließe, dass es schon vorher in von mir noch nicht gesehenen Genrebeiträgen bemüht wurde. Und bis auf die schwarzen Handschuhe findet Fan hier alles was das Herz begehrt: optisch und akustisch zelebrierte Hinrichtungen (die Golfschläger-Szene ist ein Traum), viele Verdächtige, mehrere Twists, ein Komplott dessen Drahtzieher sich erst am Ende präsentiert etc. Was „Deadly Inheritance“ außerdem weit über den Durchschnitt hebt, sind die kräftigen Farben inmitten einer harmonischen ländlichen Gegend, welche die pure Lebensfreude ausstrahlen. Das passt auch zur Handlung, denn mit dem vorschnell gesicherten Erbe könnten alle Beteiligten ihre Lebensqualität steigern. Passend zum Augenschmaus bekommt der Zuschauer einen trippigen Mix aus Jazz, Blues und Rock auf die Lauscher, der dank melodieführender Instrumente wie Flöte, Harmonika, Orgel und Trompete jederzeit zum Mitwippen einlädt. Hier stimmt auf den ersten Blick alles, aber im Hinblick auf eine möglicherweise ausbleibende ebenso positive Langzeitwirkung lasse ich punktemäßig noch etwas Luft nach oben – 8/10.

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