Spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie herrscht ein regelrechter Boom in Sachen True Crime in Podcasts und Dokumentationen. Dabei muss nicht immer ein ausgeklügelter Mord vorliegen, wie dieser Fall eines eskalierenden Nachbarschaftsstreits veranschaulicht.
Marion County in Florida: Ein eigentlich ruhiger Vorort wird zum Schauplatz eines Nachbarschaftskonflikts: Susan L ist Ende 50, lebt allein und fühlt sich oft von den spielenden Kindern nahe ihres Grundstücks beeinträchtigt. Deshalb ruft sie regelmäßig die Polizei. Als diese im Juni 2023 einen Notruf erhält, finden sie eine leblose Person vor…
Regisseur Geeta Gandbhir griff für seine Doku überwiegend auf Material der Bodycams der Ordnungshüter zurück. Nur am Rande gibt es Ausschnitte von TV-Nachrichten und später von denen einer Überwachungskamera während diverser Anhörungen und Verhöre. So wird quasi hautnah der Einsatz der Cops begleitet, welche mehrfach zu jener Nachbarschaft beordert werden, Zeugen auf allen Seiten befragen und ihren Job unterm Strich gewissenhaft, neutral und mit gut gewählten Worten durchführen.
Zwar wertet die Doku zu keiner Zeit, doch ein, zwei Fakten stechen alsbald ins Auge. Susan ist erst vor drei Jahren eingezogen. Wenn sie so sehr auf Ruhe und Privatsphäre beharrt, hätte sie bereits dort spielende Kids wahrnehmen müssen und sich für ein Apartment woanders entscheiden können. Ferner wirkt die Frau über Gebühr kleinlich und steht mit ihren Äußerungen zunehmend allein da, wonach sich das Publikum rasch eine Meinung bilden dürfte.
Leider wird das „Stand your ground“ – Gesetz hier nicht beleuchtet. Jenes entstand 2005 bezeichnenderweise als erstes in Florida und besagt, dass Eigentum und Persönlichkeit im Zweifel mit einer Waffe verteidigt werden dürfen. Gefördert wurde jenes durch die Waffenlobby und folgerichtig stieg die Zahl der Toten infolge von Waffeneinsätzen an. Rein statistisch gibt es in den USA mehr Waffen als Einwohner.
Spannend wird der Fall indes erst mit der Zuspitzung und den anschließenden Befragungen. Hier sind insbesondere Körperhaltung, Wortwahl und einige Reaktionen interessant, die ziemlich eindeutig in Richtung Täter/Opfer-Umkehr deuten. Immerhin wurden Fragmente des anschließenden Gerichtsprozesses gegen Ende hinzugefügt, da eine gewisse Genugtuung, nicht nur auf moralischer Ebene die Sache abrundet und zu einem gefühlt gerechten Abschluss führt.
Schade ist, dass der Fall gar nicht mal so speziell ist, sondern erschreckenderweise beinahe alltäglich wirkt. Sobald man sich allerdings an das Material der zuweilen leicht undeutlichen Bilder der Bodycams gewöhnt hat, zieht er dennoch in seinen Bann, letztlich auch, um im letzten Drittel mögliche Beweggründe und detaillierte Tathergänge zu erfahren.
Durchaus sehenswert.
7 von 10