Eine karge Wucht
"Die Rückkehr" war wohl eine der großen Überraschungen auf dem Filmfest in Venedig. Das totgeglaubte große russische Kino, vor allem bekannt durch die Meisterwerke Tarkovskis (Solaris, Stalker), ist eindrucksvoll zurückgekehrt. Und es hat nichts von seiner Stärke und Nachdenklichkeit verloren.
Diesmal geht es um die Rückkehr des Vaters zu seiner Familie, nach 12 langen Jahren. Mitten in der ländlich-russischen Kargheit werden die Brüder Andrej und Ivan plötzlich damit überrascht. Doch das Wiedersehen erscheint rätselhaft: Der Vater spricht kaum ein Wort, ist von einer seltsam-stoischen Ruhe und Grimmigkeit umgeben. Er bietet den Söhnen an, einen Ausflug zu machen, und so machen sich die drei am nächsten Morgen auf die mythische Reise auf eine einsame Insel. Dabei offenbart sich der Vater als strenger, aber gerechter Patriarch. Während Andrej, der ältere Sohn ihn bewundert und gut mit ihm zurechtkommt, ist Ivan eher störrisch und misstrauisch - Nur weil jemand gesagt hat, dass er sein Vater sei, muss er ihn dann akzeptieren, nach all den Jahren? Die Reise entwickelt sich immer mehr zum psychischen Konflikt, zur existentiellen Sinnfrage. Schließlich fasst Ivan einen Entschluss: "Wenn er mich noch einmal anfasst, bringe ich ihn um!"
Eine abstrakte Kopflastigkeit und mythologische Wucht zeichnen den stoisch ruhigen, kargen Film aus. Ganz wie Tarkovski lässt auch Swjaginzew den Blick lange über die karge Schönheit der gigantisch-erhabenen unberührten russischen Landschaft schweifen, unbeeindruckt von den Problemen der drei Charaktere. Hinter den oftmals trist-grauen, starren Bildern, die wie gemalte Panoramen wirken, steckt eine ehrfürchtige Schönheit und ein strahlender, überwältigender Glanz. Die mythische Schwere der Geschichte wird einem gewahr - es geht um nichts weniger als um das Leben an sich - aber gleichzeitig erkennt man, wie klein und banal und vergänglich wir Menschen dabei sind. Als zum Beispiel die drei durch einen grauen Wald gehen und dabei die Sonne aus den Wolken hervorkommt und durch ihr warmes Licht Strukturen aus Licht und Schatten im Grün erzeugt, dem Bild seinen versteckten Glanz aufdeckt, da ist man endgültig überwältigt von der Kraft dieses Filmmeisterwerks.
Die Geschichte ist im Grunde so alt wie die Menschheit selbst, und so bedarf es kaum einer Erklärung. Die Charaktere zeigen ihre Gedanken und Gefühle nicht selten nur durch Blicke, lange tiefe Blicke in die weite Natur. Doch während die beiden Söhne ihr Inneres offen vor sich her tragen, so scheint der Vater etwas verbergen zu wollen, gibt sich nicht preis und bietet somit dem misstrauischen Ivan viele Angriffspunkte. Er ist das große Rätsel des Films. Er wirft unbeantwortbare Fragen auf, wirkt innerlich gequält, während er jedoch nach außen Würde und Lebenserfahrung ausstrahlt. Ist er ein Tyrann, ein schlechter Mensch? Oder wirkt er nur so aus den misstrauischen aber naiven Augen des verschlossenen, nachdenklichen Ivan? Oder ist er gar ein völlig Fremder geworden? Warum aber entsteht dann die innige Beziehung zum anderen Sohn Andrej?
Eine klare Antwort ist wohl nicht möglich, aber es ist festzustellen, dass die Schauspieler mit einer unglaublichen Intensität und Stärke spielen. Gerade die Kinder vollbringen für ihr Alter mehr als beachtenswerte Leistungen, trotz des eben für sie sehr anspruchsvollen Drehbuchs.
Ob man nun diese Ur-Tragödie philosophisch interpretieren will, oder nicht - der Film bleibt in seiner Dramatik und visuellen Wucht lange haften. Man kann ihn vielleicht als Metapher auf das Erwachsenwerden sehen. Als eine mythologische Reflexion über das Sein. Über Identität. Über Verfremdung. Über die Ewigkeit. Über Vergänglichkeit, Und schließlich auch über den Tod. Es steckt so viel in diesem Werk, und das bitter-tragische Ende rundet es gelungen ab. Trotzdem bleibt einiges offen und zwingt den Betrachter zur Auseinandersetzung. Ganz konkret etwa (SPOILER): Was ist denn nun in der Metallbox?
Das russische Kino lebt! Kraftvoll, überwältigend schön und hintergründig spannend für diejenigen, die dessen symbolhafte Kopflastigkeit und vordergründige Kargheit deuten können...
10/10.