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"Weißt du, wenn sie zu meiner Zeit hätten leben müssen. Henry Ford und die Gebrüder Wright würden immer noch Fahrradgeschäfte betreiben, Thomas Edison würde Zeitungen verkaufen und Marconi, schätze ich, würde in einem Friseursalon arbeiten. Denn so wie die Dinge heutzutage sind, gibt es keinen Platz mehr für den brillanten Sonderling, den aggressiven Einzelgänger oder das autodidaktische Genie. Und diese Jungs wären genauso erfolglos und unbekannt gewesen wie ich.

~ David Lippincott, "The Voice of Armageddon", 1974

Eine Hochhaussiedlung, die Gebäude hässlich, aber viel Grün mittendrin. Einer der Bewohner nutzt die einmalige Chance zum Verschwinden, eine Lebensversicherung, aus dem Tod eines Anderen wird bei ihm ein Gewinn. Ein kurzer Abschied, ein schnelles Tschüss, es soll möglichst rasch und weit weg gehen vom Ort, von der bisherigen Ödnis, von der Tristesse; doch die Dinge stehen etwas anders, sind nicht so einfach, wie sie scheinen, ein Lügengebilde, die Existenz eine Fassade, Schwindel und Betrug:

Durch den Tod seines Bruders von einer Lebensversicherung in Höhe von 25.000 Franc 'gesegnet', beschliesst der an Depression leidende Fernsehmechaniker Louis Carrie [ Jean Yanne ] die Niederlegung seines Jobs und den Wegzug aus seinem bisherigen Wohnort, dabei nimmt er seinen einzigen Freund Albert [ Renato Salvatori ] mit und weiht diesen auch in seine zukünftigen Pläne ein. Per Brief und Foto droht er diverse Tode zumeist hochgestellter Personen, darunter Politiker, aber auch Künstler in ganz Europa an und verlangt vor allem Aufmerksamkeit der Presse als später auch Sendezeit im Fernsehen. Spätestens als die Ankündigungen in erste Mordtaten umgesetzt werden, wird Dr. Michel Ambrose [ Alain Delon ] als Berater der Polizei dazu geschaltet.

"Du brauchst nicht mehr zu arbeiten, ich hab Geld genug." Der Mann hatte einen Mord vor, ein Attentat in der Öffentlichkeit, das ist gänzlich daneben gegangen, es kam nicht einmal richtig zum Versuch, es ist gescheitert. Man versucht es neu, man probiert es anders. Man erreicht sein Ziel noch nicht, aber zumindest Aufmerksamkeit, die Behörden schlagen Alarm, es herrscht Aufruhr, Warnstufe Rot, höchste Dringlichkeit. Erzählt wird schnell und flink und mit vielen Wechseln, Perspektiven ändern sich, neue Faktoren kommen hinzu, vom Normalleben in die Kriminalität, vom Arbeiter zum Mörder, ohne wirkliche Notwendigkeit, scheint es; doch das wird später noch geklärt. International spielt man, Schweiz, Frankreich, Italien, Großbritannien, Deutschland, Belgien, hinaus aus der schäbigen isolierten Hochhaussiedlung in die Bürokratie, in die Schlagzeilen, in die Expertise von Scotland Yard und andere zur Abwehr von Verbrechen gebildete Einheiten.

"Dieser Typ ist leider bösartig. Und aggressiv, weil er unglücklich ist." Delon kommt später in das Spiel, in einer gänzlich anderen Szene, wie ein anderer Film zu dem, der vorher gezeigt wurde, ein neuer Akt, eine weitere Perspektive. Eine Analyse. Oktober ist der Monat der Ereignisse, der frühe Herbst, die Zeiten werden kälter, die Gefühle unterkühlt. Ein Psychogramm steht an, Psychopathologie, ein Thriller, ein Duell, ein Reißer, es wird vom 'Apocalypse-Killer' dem 'Küchenpsychologen' eine Frist gestellt: Armageddon minus 15. Die Mediengesellschaft spielt hier eine große Rolle, braucht der Erpresser eine Verstärkung, eine Frequenz, auch einen Receiver, er braucht die Zeitschriften, er schnauzt einen Taxifahrer an, der die Nachrichten im Radio über ihn ausstellt, er sieht sich eine Fernsehsendung an, in der er verbal provoziert und bloßgestellt wird, er mischt sich in eine Liveschalte ein und manipuliert die Eurovision.

"Jeder Polizist in Europa soll sich sein Gesicht einprägen und wissen, wie gefährlich er ist." Eine Falle wird gestellt, ein Köder wird gelegt, ein Lockvogel eingesetzt, der Antagonist ist dabei öfters im Bilde, er wird dem Zuschauer eingangs durchaus nahe gebracht, er hat einen 'traurigen' Blick, er kümmert sich um einen Freund, er spielt einen einsamen, verletzten Menschen, Delon eine Rolle. Es wird Empathie versucht, "Das Problem bei einem Attentat ist, dass das meiste Interesse und Mitgefühl dem Opfer gilt, während der Attentäter nur eine Fußnote in der Geschichte darstellt. Ich musste es besser machen."; dann wieder zerstört. Es gibt einen abstoßenden Sexualmord, eine sensationslüsterne Aufmachung, eine indirekte Rache, rein aus Geltungssucht und zur Abschreckung, eine Verstörung sondergleichen, ein wahrlich obszöner Effekt.

"Hoffst Du immer noch, dass Du ihn retten kannst?" Die Fahndung auf Hochtouren, das Phantombild überall, das politische Umfeld eher Charade, ein großer Bluff, aber mit Aufwand durchaus gehalten, mit Polizeiaufgebot, mit Spezialeinheiten, mit Menschengewühl und allgemeiner Hektik. Ein einzelner Mann bringt die Welt in Aufruhr, will sie wecken, das wirkt erst ein wenig wie Angst über die Stadt, auf Dauer aber sehr simpel, und wie der Film plakativ und narrativ einfach gestrickt.







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