Man glaubt es kaum: Ein Russ-Meyer-Film mit einer regelrechten Handlung (so überschaubar die auch noch ausfällt)! Es geht um Lorna, eine vollbusige Blondine, die sich von ihrem so braven wie arbeitsamen Ehemann (nicht nur) im Bett reichlich vernachlässigt fühlt. Während er mit zwei groben Kollegen zur Arbeit fährt, schlendert sie durch die Wildnis ihrer verhassten Heimat – und wird von einem entflohenen Sträfling überfallen. Doch ihre anfängliche Gegenwehr gegen seine brutalen Übergriffe wandelt sich schnell in erfreutes Genießen dieser so ungewohnten Erlebnisse...
Mit „Lorna“ hat Russ Meyer seinen ersten Schritt hin Richtung Sexploitation getan: Sex und Gewalt, unterdrückte Triebe, freizügige Aufnahmen und expressionistische Kamerafahrten und Schnittmontagen – hier gibt es bereits so ziemlich alles, was in seinen späteren Filmen noch wilder und hemmungsloser daherkam.
So macht er einmal mehr aus der Kombination aus geringstem Budget und ungehemmter Kreativität ein formal packendes Filmchen. Die Mittel dazu mögen begrenzt und mitunter platt eingesetzt sein, entfalten aber eine durchgehende Wirkung. Wenn etwa die unglückliche Lorna in einem langen (und allzu erklärenden) inneren Monolog die Geschichte ihrer Ehe, ihres Kennenlernens, Verliebens und schließlich Verzweifelns ob der langweiligen Bravheit ihres Mannes erzählt, wird das nur indirekt bebildert: Auf der Tonebene hört man Kirchenglocken, den Pfarrer bei der Hochzeit und ähnliches, auf der Bildebene bleibt es bei allgemeinen Aufnahmen von Kirchtürmen und Kleinstädten, allerdings durch schräge Kamerawinkel und psychedelische Spielchen mit dem Bild – etwa kräuselnde Wellenstreifen, die schräg durch das Bild laufen – ins leicht Surreale verfremdet. Hier wird das fehlende Budget für Darstellende und Kulissen nicht nur kompensiert, sondern zum Ausgangspunkt für wirklich künstlerisch interessante Formexperimente.
Überhaupt beweist Meyer hier, der auch als Kameramann fungierte, einmal mehr, dass er es versteht, seine Figuren (nicht nur) plakativ freizügig ins Bild zu setzen. Wenn in der bösen Einleitungsszene zwei heruntergekommene, brutale Typen eine angetrunkene Frau durch die Straßen verfolgen, filmt er sie immer wieder aus der Froschperspektive, was sie bedrohlicher macht und zugleich der Situation etwas unbestimmt Gefährliches, Überwältigendes verleiht (klaffende Schnitt- und Perspektivfehler dabei mal außen vor gelassen). Auch erweist sich hier der Einsatz von Musik deutlich professioneller, durchdachter und zurückhaltender – und dadurch erst viel wirkmächtiger – als in seinen vorherigen Werken. Und die Parallelmontagen zwischen Lorna, wie sie gedankenversunken durch die Naturidylle streift, eingefangen in langsamen, ruhigen Montagen, und dem Geflohenen, der gehetzt durchs Unterholz eilt und ihr immer näher kommt, ist tatsächlich gut durchdacht und erzeugt durch den Kontrast zwischen beiden Settings eine gehörige Portion Spannung, die dann in seinem beinahe wortlosen Überfall und der versuchten Vergewaltigung mündet.
Womit wir bei einem wichtigen Stichwort wären: Gewalt und Vergewaltigung. Meyer wird ja gerne als Regisseur billiger Sexfilmchen belächelt, und unzweifelhaft spielt auch hier ein gewisses voyeuristisches Moment wieder mit. Doch interessant ist es schon, dass die Story hier männliche Sexualität nur in zwei Ausformungen kennt: entweder brutal, egoistisch und bis zur Vergewaltigung bereit; oder quasi gar nicht vorhanden. Lornas Ehemann fragt sie zwar nett, ob sie möchte, doch auf ihre Verneinung zieht er sich sofort zurück und zeigt keinerlei Anzeichen weiteren Interesses. Was heute wohl als Musterbeispiel für konsensuales männliches Verhalten betrachtet werden würde, wird hier noch als verkappte Metapher auf Impotenz bis hin zur Asexualität gedeutet, wenn Lorna sich freizügig räkelt und ihr Mann ihr höchstens einen züchtigen Abschiedskuss geben will.
Ein überraschendes inhaltliches Element ist auch die deutliche Moral, die hier vertreten wird: Der brutale Kollege wandelt sich am Ende, bereut sein Verhalten und rettet die Situation; und sowohl die untreue Lorna als auch der gewalttätige Entflohene ereilt ihr „gerechtes“ Schicksal. Das wird noch untermauert durch den surrealen Auftritt eines „Mannes Gottes“, der direkt in die Kamera spricht und das Geschehen mit biblischen Moralvorstellungen erläutert. Ähnlich wie bei einigen Geschichten des Marquis de Sade versteckt sich auch hier unter der grob-derben Oberfläche eine erstaunlich konservative Moral.
So erweist sich „Lorna“ als früher Beitrag Meyers zu dem, was später zu seinen wildesten Sexploitation-Streifen werden würde; mit Lorna Maitland, die ihre üppige Oberweite oft und meist nur angedeutet (etwa bei einem sinnlichen Bad im Fluss) zeigen darf, brutalen Männerfiguren, einem simplen, aber effektiven Handlungsgerüst und cleveren formalen Ideen macht Russ Meyer seinen ersten abendfüllenden Spielfilm zu einem durchaus interessanten, sehenswerten und – ob der teils widersprüchlichen Darstellung von Frauen und Geschlechterrollenstereotypen – diskussionswürdigen Werk.