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Der essayistische Dokumentarfilm „The atomic café“ beschäftigte sich 1982, gerade zu einer Zeit, als über massive nukleare Aufrüstung debattiert wurde, mit dem amerikanischen Verhältnis zur Atombombe in den 40ern und 50ern. Dazu verwendet er eine Aneinanderreihung zahlreicher Ausschnitte aus Fernsehaufnahmen, Lehr- und Werbevideos, aber auch offenen Propagandaproduktionen und lässt durch geschickte, nicht unironische Montage dieses Originalmaterials einen sarkastischen Kommentar zum Wahnsinn nuklearer Bewaffnung entstehen.

Es braucht tatsächlich ein wenig, um sich auf diesen radikalen Ansatz einzulassen. Wer ohne Hintergrundwissen zu den Produktionsbedingungen in den Film geht, ist sich anfangs eventuell nicht einmal sicher, ob es sich um einen Spiel- oder Dokumentarfilm handelt. So dramaturgisch geschickt werden verschiedene Auszüge des umfangreichen Quellenmaterials zusammengestellt, dass sie zumindest teilweise eine Geschichte erzählen: die Geschichte der USA, die, um den Zweiten Weltkrieg im Pazifik zu beenden, die neu entwickelte Atombombe in Japan einsetzen und sich erst danach wirklich der verheerende Folgen dieser Technologie bewusst werden. Schon diese Einleitung wirkt überaus schockierend: Ein Interview mit einem der Bomberpiloten, die die Bombe auf Hiroshima abwarfen, wird unterbrochen von drastischen Aufnahmen japanischer Zivilisten, deren Arme und Beine amputiert wurden oder die großflächig von Brandwunden bedeckt sind. Die distanziert vorgetragenen Erklärungen des Piloten, wie der Abwurf ablief und wie auch ihm selbst erst beim Anblick der extremen Zerstörung klar wurde, was sie da getan hatten, liefert einen erschreckenden Aspekt zu dieser Menschheitskatastrophe – eines der schlimmsten Kriegsverbrechen der Geschichte wurde zumindest teilweise aus purer Unwissenheit und Naivität begangen!

Im weiteren Verlauf widmet sich „The atomic café“ dem Einsickern der Erkenntnis einer neuen Ära ins Bewusstsein der amerikanischen Bevölkerung: Dem Überlegenheitsdenken, man selbst sei nun die einzige Nation, die über solch verheerende Massenvernichtungswaffen verfüge, folgt der Schock, als die Sowjetunion nachzieht; Aufnahmen von Tests in der Wüste oder auf Atollen zeigen die Unbedarftheit, mit der hier weiterhin vorgegangen wurde; Interviews mit Passanten zum Thema Koreakrieg (und ob man dort eine Atombombe einsetzen solle) zeigen ein erschreckendes Ausmaß an Unwissen und Arroganz. Diese durchdachte Kombination verschiedenster Aufnahmen – Fernsehshows und -serien, Lehrfilme für Schule und Bevölkerung (in denen so glorreiche Vorschläge gemacht werden, wie sich bei einer Atombombenexplosion auf den Boden zu werfen und die Augen zu bedecken), Propagandafilme des Militärs – lässt ein vielschichtiges Bild einer Gesellschaft im Wandel erstehen: vom Siegestaumel nach dem Krieg über erste Unsicherheit bis zur atomaren Hysterie und der Anti-Kommunismus-Paranoia des Kalten Kriegs der 50er.

Ganz beiläufig kann man hier neben der scheinbaren Allgegenwart des Themas „nukleare Vernichtung“ auch andere Problemfelder der damaligen US-Gesellschaft herauslesen: der rassistische Überlegenheitsdünkel gegenüber den Indigenen des Bikini-Atolls etwa, in dem die USA einige ihrer Atombombentests durchführen; oder die tief sexistische Vorstellung eines konservativen Familienlebens, wenn in einem Video die Ehefrau nicht mit am Abendbrottisch sitzt, sondern quasi wie eine Bedienstete stumm den Tisch abräumt und ihrem Ehemann alle denkbaren Bequemlichkeiten zu bieten hat. Die Engstirnigkeit der damaligen Gesellschaft wird nie so deutlich wie in ihren eigenen überlieferten Dokumenten – ein grandioser Schachzug der Filmschaffenden.

Zugegebenermaßen erschöpft sich dieses Prinzip des essayistischen (Nicht-)Erzählens mit der Zeit allerdings ein wenig. Besonders im Schlussteil nimmt die Redundanz des Gezeigten dann doch erhebliche Ausmaße an und lässt den Film trotz seiner recht kurzen Laufzeit ziemlich langatmig werden. Und ein gewisses Maß an historischem Wissen über politische und zeitgeschichtliche Zusammenhänge wird hier stillschweigend vorausgesetzt – erklärt wird jedenfalls gar nichts, weder zu Personen noch Ereignissen oder Zusammenhängen.

Dennoch: „The atomic café“ ist ein faszinierender und bestürzender Streifzug durch die pure Dummheit früherer Dekaden, der aufzeigt, mit welcher Sorglosigkeit und Arroganz mächtige Männer das Schicksal ganzer Nationen in die Waagschale warfen. Und so ganz nebenbei zeigt er auch Politik von ihrer erbärmlichen, weil realistischen Seite: nicht das große Ringen großer Staatsmänner um den Sieg, sondern das halb blinde Herumstolpern selbstgerechter Narzissten durch komplexe Gebiete, deren Bedeutung sie selbst kaum verstehen. Vielleicht hat dieser Film in unseren heutigen aufgewühlten Zeiten umso mehr Bedeutung zurückerlangt. Sehenswert ist er aber so oder so.

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