Es gibt tatsächlich Filme, die kann ich mir einfach nicht ansehen, denen ich mich fast automatisch verweigere. Nicht etwa weil sie „langweilig“, uninteressant, kitschig oder sonst etwas wären- ich kann sie mir einfach nicht ansehen. „Notre Musique“ gehört zu dieser raren Art von Film. Ein Film bei dem ich- und das kommt sonst wahrlich so gut wie nie vor- das Kino nach der Hälfte um ein Haar verlassen hätte.
Der Grund hierfür ist eindeutig, das Jean-Luc Godard, dessen bislang letztes Werk der Film darstellt- dem Zuschauer den Zugang zu „seiner Welt“ starrsinnig verwehrt und ihm eine enorme „intellektuelle“ Reaktionsfähigkeit abverlangt, die in einem ausreichenden Maß aufzubringen wohl kein Zuschauer innerhalb nur einer Vorstellung in der Lage sein dürfte. Doch öfter als einmal werden sich wohl nur die wenigsten dieses „Meisterwerk“ antun.
Nach einem allein von eindrucksvollen Piano-Klängen untermalten, etwa 15minütigen Einstieg aus Montagen von Kriegsdokumentations-Ausschnitten beginnt der eigentliche Hauptfilm, der nichts anderes als eine Reflexion Godar’s sowohl über diverse weltpolitische und kulturelle Vorgänge der letzten Jahre als auch über omnipräsente Fragen der Menschheit an sich, solche, die ihn selbst besonders zu beschäftigen scheinen und über das Filmemachen an sich darstellt.
Doch die erschlagende Flut von Thesen, Schlussfolgerungen und Fragen, die Godard früher noch gerne als Zwischentitel in Stummfilmmanier integrierte, wird hier durch die handelnden Personen selbst transportiert, die auch allesamt wie entrückte Philosophen, wie Kunstfiguren agieren da sie tatsächlich nur Mittel zum Zweck zu sein scheinen, einem gealterten und vollkommen vergeistigten Intellektuellen des französischen Kinos noch einmal die Möglichkeit zu geben, seinem Publikum seine Botschaften, Überzeugungen und Reaktionen auf diese unsere Welt unter die Nase zu reiben.
Und das Publikum, das sich einen solchen Film, finanziert durch diverse Fördermittel (die man einem Godard sicher nie abschlagen würde), ansehen wird, gerät zweifelsfrei in Verzückung über das „Kunstwerk das jeden angeht“ (Diedrich Diederichsen) und dessen maßgebliche „philosophische Dichte“ und Integrität. Das weise Alterwerk eines der größten Kinematographen der Filmgeschichte also. Nur wird „Notre Musique“ etwa 99 % der Menschheit einen feuchten Kericht angehen.
Ob jene pseudo-intellektuellen, Multi-Kulti-Möchtegern-Klugscheißer, mit denen man sich ja leider Gottes in fast jedem Programmkino die Sitze teilen muss, das „weise Alterswerk“ auch begriffen haben ist eine andere Frage. Denn einen Jean-Luc Godard zweifelt man nicht an und kritisiert ihn nicht, ohne als Ketzer da zu stehen, eignen sich seine Filme doch schließlich bis zum bitteren Ende hervorragend dazu, sich selbst unter Zuhilfenahme diverser filmwissenschaftlicher Ausdrücke, die man sich beflissentlich angeeignet hat, als überaus gebildeter und besonders gescheiter Kinobesucher mit Kultur und hohem Anspruch zu profilieren- ein widerlicher Missbrauch, der in der Arthouse-Szene grassiert.
Sicherlich wäre „Notre Musique“ nicht mehr oder weniger (be-) greifbar als weitere selbstreflektive Werke anderer großer Autorenfilmer (schließlich bin ich ein großer Verehrer des von vielen ebenfalls als unzumutbar bezeichneten Michelangelo Antonioni), doch man wird das Kino erst nach dem dritten Ansehen halbwegs erfüllt verlassen, denn diese Erfüllung kann nur durch Verarbeitung, durch Verstehen erlangt werden, denn aus dem Werk eines Kinophilosophen wie Godard möchte, muss man etwas bedeutsames mit auf den Heimweg nehmen.
Und „Notre Musique“ überschüttet den Zuschauer mit „Bedeutsamem“ und „Weisheiten“ in einem Maß, das den Rahmen des filmisch Erfassbaren sprengt. Die Protagonisten führen keine Dialoge, sie werfen einander These um These an den Kopf, manche sind dabei simpel, einfach und bekannt, andere jedoch derart ambivalent und komplex formuliert, das man sie nicht augenblicklich aufgreifen und verinnerlichen kann. Man beginnt sie zu entschlüsseln- doch da folgt schon die nächste Binsenweisheit. Einfach auf dieser einen hängen bleiben und solange den Rest ignorieren bis man diese eine in Gedanken abgehandelt hat? Nein, man möchte den Film schließlich als Gesamtes erfassen und nebenbei die kongenialen Zusammenhänge und das Konzept berücksichtigen.
Jeder Satz wiegt inhaltsschwer im Gehirn, jeder Satz bringt die Gedankengänge seines Regisseurs exakt formuliert zum Ausdruck. Entsetzt stellt man fest das „Notre Musique“ ein extrem „geschwätziger“ Film ist.
Godard gibt seinem Publikum insbesondere im „Fegefeuer“ (der Film setzt sich aus drei Teilen, Hölle, Fegefeuer und Jenseits zusammen) keinerlei Chance, irgendeine seiner Aussagen zu behalten, überdenken und zu werten- er stellt sie mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs in den Raum. Irgendwann kapituliert man und die Gedankenströme des Regisseurs ziehen unbeachtet in einem großen Fließband der Worte am (nicht geistig!) überforderten Zuschauer vorbei.
Nur wenige Momente gibt es, in dem es dem Zuschauer gelingt, in diese artifizielle Welt einzutauchen und das sind diejenigen, in denen sich der unendliche Redestrom verlangsamt oder sogar abebbt und in denen die Sprache ihre Wirkung zurück gewinnt; in denen Godard seine „Geschichte“ (hier eine wirklich rein behelfsmäßige Bezeichnung) über Bilder und die Musik erzählt und die Auswahl ersterer und deren Montage virtuos auf das akustische Konzept abgestimmt werden. Optisch bleibt Godard spartanisch und die Kamera scheint, ebenso wie die Schauspieler, nur Mittel zum Zweck zu sein.
Kann ein Film zuviel Substanz haben und selbst einen relativ anspruchsvollen Zuschauer mit selbiger übersättigen? Kann ein Film so viele interessante Thesen enthalten und Fragen aufwerfen, das man sich desinteressiert abwendet? Kann ein Regisseur, und mag er sich in der Vergangenheit auch als noch so ungeschlagenes Genie erwiesen haben, über das Ziel hinausschießen in dem er zu viele Fährten auslegt?
Ja, das alles ist möglich. Ich habe den Kinosaal unzufrieden und beinahe wütend verlassen, denn ich habe erahnen können, welch wertvoller Film „Notre Musique“ hätte sein können. Doch egal wie viel Weisheit er auch bergen mag- als filmisches Essay, das seinen Betrachter völlig ausgrenzt und seinen Anspruch in geradezu unverschämter Weise missachtet und in selbstverliebtem philosophieren badet ist „Notre Musique“ wertlos. Er hat seine Verehrer gefunden- Kritiker, die blind auf das Genie eines Jean-Luc Godard vertrauen und ihn mit Kraft all ihrer akademischen Kenntnisse zerdeuten bis zur letzten Gräte. „Ein Kunstwerk das alle angeht“? Ein Film, der seinem Publikum rücksichtslos die Möglichkeit vorenthält ihn und seine Werte zu begreifen, sie zu reflektieren und im Gedächtnis zu behalten, der nur von Filmwissenschaftlern Lob und Verständnis erntet ist- trotz all seiner vielleicht sinnvollen und positiven Absichten- vollkommen wertlos.