Review

Ja, was soll ich sagen?
Der Film erinnert mich an irgendein x-beliebiges Lieblingslied. Es beginnt, schon nach ein paar Sekunden hört man, wie gut einem das Gehörte gefällt. Nach und nach bestätigt sich der erste Eindruck, er wird sogar noch ein wenig verstärkt. Und als dann ein Punkt erreicht ist, bei dem es einem eiskalt den Rücken herunter läuft und scheinbar alles perfekt ist, wird noch einer draufgesetzt und das Lied wird noch schöner, besser, genialer.

Genauso verhält es sich bei "Sturm der Vergeltung" auch, einem schwedischen Independent-Film, der den kitschigen Hollywoodschinken zeigt, was Gefühle sind.
Aufmerksam bin ich nur aufgrund der Story geworden. Außerdem sollte es ein Psychodrama sein. Da hab ich zwar schon viele davon gesehen, aber kein Film rechtfertigte es so richtig, in dieses Genre eingeordnet zu werden. Also hab ich mir Freitagabend "Sturm der Vergeltung" angesehen. Kann ja nicht allzu schlecht sein, läuft immerhin auf Arte. Das waren meine Gedanken vor dem Film.

Gut 100 Minuten später war es so, als würde ich aus einem Traum erwachen. Oder eher aus einer Art Delirium, einem unbeschreiblichen Zustand. Denn für einen Traum war das Gesehene zu traurig, zu schockierend. Für einen Alptraum aber viel zu genial. Auf jeden Fall lag ich minutenlang auf dem Sofa, lies noch dem Abspann über mich ergehen und dann begann ich, langsam zu begreifen, was ich da eben gesehen habe. Es in Worte zu fassen, scheitert eigentlich schon beim Versuch, denn der Film ist alles. Schön, traurig, schockierend, brutal, realistisch und vor allem fesselnd. Wenn auch sehr sehr ruhig.
Es geht um Leo und Ali. Beide könnten unterschiedlicher nicht sein. Leo, ein kleine schwedischer Junge, gerade mal 12 Lenzen auf dem Buckel, geht ungern zur Schule, da er da von dem älteren Mitschüler Danne nicht nur gehänselt, sondern eher schon malträtiert wird. Umso mehr Leo Dannes gemeinen "Folterungen" zum Opfer fällt, desto größer wird sein Hass auf ihn. Eines Tages ist es dann soweit, Leo erschießt Danne in einem Waldstück mit der Pistole seiner Mutter, einer Polizistin.
Ali ist Familienvater, hat Frau und zwei Kinder. Sein Geld verdient er mit dem Taxi fahren. Bis eines Tages eine Landsmännin (dürfte Iranerin sein) zu ihm ins Auto steigt und ihm einen Auftrag gibt. Ali war früher eine Art Terrorist und nun soll er einen wichtigen Mann Schwedens erschießen. Ansonsten stirbt seine Frau in seinem Heimatland (da hat er auch eine), die mittlerweile auch schon einen gemeinsamen Sohn hat.
Und wie es das Schicksal so mag, treffen sich Leo und Ali auch bald, da eine von Alis Töchtern mit ihm in die Klasse geht. Von Anfang an sympathisieren sich die beiden ungleichen Menschen. Doch wie sollen sie bei aller Freundschaft aus ihrer misslichen Lagen wieder entkommen?

Die Story ist es letzten Endes sogar noch am wenigsten, die so fesselt. Vielmehr sind vor allem die Art der Erzählung, die Charakterbeschreibungen und die unglaublich beklemmende Atmosphäre dafür verantwortlich, dass man "Sturm der Vergeltung" nicht nur nicht mehr vergisst, sondern er wäre, wäre er nicht aus Schweden, ein sehr sehr wichtiger, viel bekannterer Meilenstein in der Geschichte des Kinos. Meines Erachtens. Der Regisseur und sein Kameramann liefern absolute Topleistungen, ihnen ist es zu verdanken, dass der Film trotz seiner ruhigen und stillen Erzählweise so fesselt, so mitnimmt und so deprimiert. Ich ertappte mich zwischendurch, wie ich mit geöffnetem Mund auf dem Sofa saß und einfach nur auf den Bildschirm starrte, ehe ich ein paar Minuten später wieder durchschnaufen konnte, wenn mal wieder eine atemberaubende Sequenz zu Ende war.

Es gibt da keine Schießereien, keine Verfolgungsjagden oder irgendwelche Explosionen. Das sollte klar sein. Ein 12-jähriger Junge (so alt ist er zumindest im Film) erledigt den Film fast im Alleingang, sein fernöstlicher Freund hilft ihm da dabei. Die Dialoge regen zum Mitfiebern an, für wen man Sympathien hat, ist schon nach nur wenigen Sekunden klar. Ja, und dann wären da noch die letzten 10 - 15 Minuten. Wie oben schon beschrieben, die setzen auf Alles noch etwas drauf. Wie das gehen soll, wäre mir vorher auch unvorstellbar gewesen. Und auch jetzt noch, also danach, kann ich es kaum fassen.
Die eine Szene, in der die 5 Raketen auf das Dorf zuschießen und dann explodieren und dann alles ungefähr ne halbe Minute lang in Zeitlupe durch die Luft fliegt, Menschen inklusive, erzeugt nicht nur Gänsehaut, sondern einfach nur volles Entsetzen. Erstens mal daher, weil man sich bis zu diesem Zeitpunkt eine solche Szene (da so actiongeladen) nicht im Ansatz ausdenken vermochte und zweitens, weil das wirklich grausam ist. Unbeschreiblich. Mehr verrate ich natürlich nicht, das Ende müsst ihr schon selbst sehen.

Ich übertreibe hier auch wirklich nicht, "Sturm der Vergeltung" ist garantiert kein Film, der beim ersten Mal noch voll reinhaut und schon beim zweiten Ansehen langweilt und nichts mehr als Durchschnittsware ist. Nein, er ist einfach nur genial und er würde etwas ganz Großes sein, wäre er nicht aus Schweden und wäre er bekannter. Aber vielleicht ist es auch besser so. Eine kleine, versteckte Filmperle unter zigtausend von aussagelosen, nichtsnutzigen Machwerken. Ein Beweis, dass es noch wirklich gute Filmemacher gibt. Ein Grund, dass doch noch richtige Meisterwerke existieren, so unbekannt sie auch sind.

Mit "Das Leben des David Gale" mit Abstand der beste Film, den ich die letzten, sagen wir mal 1 1/2 Jahre gesehen hab. Er geht unter die Haut, zieht einen in seinen Bann und lässt erst dann wieder los, wenn die letzte Zeile des Abspanns verschwunden ist. Denn da wäre ja auch noch die furchtbar traurig-melancholische Filmmusik und der Soundtrack, die das Vermeiden von Tränen noch unmöglicher machen. Ein kleines Meisterwerk, das sich vor großen Gleichgesinnten nicht verstecken muss. Was für ein genialer Film! 10/10 Punkte

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