Als Prämisse muss gesagt sein: Ich bin ein starker Argento-Verehrer und betrachte viele seiner Filme als optisch wegweisend, wenn auch narrativ selten wirklich stark. Seit TRAUMA jedoch bin ich entsetzt über die schwachen Leitungen (Ausnahme: Der wundervolle STENDHAL-SYNDROME) was Buch und Schauspielführung angeht. Zumindest in TRAUMA hat er sich ja noch bemüht, optisch einiges zu bieten, aber in PHANTOM oder SLEEPLESS kam die Bildgestaltung über Durchschnitt und die Schauspielführung über Lächerlichkeit ja nicht mehr hinaus.
Und nun das.....
Entsprechend auf das schlimmst gefasst, hab ich mir den allerschlechtesten Film des Jahres angeschaut. Gottseidank war dieser Schrott wiederum nun sooooo mieserabel, dass man sich zumindest prächtig amüsiert hat. Selten habe ich in letzter Zeit ein gerammelt volles Kino so herzhaft lachen sehen. Kunststück: Jagte doch eine Lächerlichkeit die nächste.
Aber der Reihe nach: Argentos früheres Markenzeichen war die elegante, zum Teil ekstatische Bildgestaltung! Hiervon GAR keine Spur. Fernsehniveau! EINE Einstellung war ganz nett der Rest konventionell und ohne Esprit und Inspiration. Für Beleuchter war wohl kein Geld mehr über, denn das z.T. spärliche Licht sah aus, wie von Baulampen ausm OBI-Markt. Argento!! Sechs, setzen!!
Drehbuch: Seien wir ehrlich!! Das konnte er noch nie gut. Bis auf PROFONDO ROSSO, STENDHAL SYNDROME und (bedingt) TWO EVIL EYES war ihm Figurenzeichnung immer wurscht. Aber was hier geboten wird grenzt an eine Frechheit. Wenn der Film in den 70ern entstanden wäre, würde man ihn vermutlich Lenzi oder Bianchi zuordnen, nicht aber dem Meister himself. Derart blasse und stereotype Figuren habe ich selten zu Gesicht bekommen. Das hat dann mehr was von der Rosamunde-Pilcher-Verfilmung der Woche als von ernsthafter Personenzeichnung. Der Plot selber ist ebenso hingerotzt, dass man eigentlich sauer sein sollte, wenn man nicht so viel lachen müsste. Der Versuch, einen spannenden Who-dun-it-Plot zu fabrizieren geht komplett nach hinten los, da die Herleitung der Auflösung derart an den Haaren herbeigezogen und megahyperkonventionell ist, dass man sich vor Lachen im Kinosessel krümmen muss.
Schauspielführung: War auch nicht seine Stärke. Speziell bei TENEBRE oder OPERA wird schon in einigen Dialogen die Grenze des Erträglichen gestriffen. Nach SLEEPLESS dachte ich jedoch, schlimmer geht’s nimmer....aber das war immerhin ein chargierender Max von Sydow!! Immer noch besser als chargierende Vollwürste, wie im CARDPLAYER. Diese Leistungen (fast alles Italiener, die jedoch permanent grauenvolles Englisch radebrechen und völlig konotationslos vor sich hin reden) sind das spassigste, was ich seit BESTIE AUS DEM WELTRAUM, PROVINZ OHNE GESETZ und DIE GNADENLOSEN SIEBEN gesehen habe. Die anderen 250 Leute im Kino sahen es wohl ähnlich, da sich fast schon tumultartige Situationen ergaben. Wildfremde Menschen fielen sich mit tränenfeuchten Augen in die Arme und schworen Argento ewige Treue, sofern er nur weiter so lustige Filme macht. Der ausgelassenen Stimmung wohl taten dann auch noch so wahnsinnig „surreale“ Moment wie ein sehr kleiner, sehr dicker Pathologe der in wilden Verrenkungen zur Wand tänzelt, um aus dieser die Leiche herauszufahren. Kaum sind die Polizisten wieder weg, schmettert er dann neben dieser Leiche eine Puccini-Arie!! Hat Argento was geraucht?
Spitze auch die Idee, zwei Computerexperten der Polizei so aussehen zu lassen, wie sich 12-Jährige solche Menschen vorstellen. Der eine mit wilden Haaren und dürr á la Benigni und der andere dick, mit Hornbrille und lustigem bunten selbstgestricktem Schal. Warm am Bein runter lief es mir auch, als die Hauptdarstellerin den Supermachobullen, den sie auch flachlegen will, in ihre Wohnung einlädt und diesem Hardcore-Trinker einen Drink anbietet.
Dialog (übersetzt):
Er (auf das Glas weisend): Was ist das?
Sie: Karottensaft!!!
Lieber Dario, was soll das????
Derartige Situationen gab es noch zig, aber ich habe zu viele vergessen, die Gags kamen Schlag auf Schlag.
Musik: Simonetti wieder am Werke. War doch die Musik m.E. das einzig überzeugende an SLEEPLESS, geht diese in diesem Schundwerk auch ÜBERHAUPT nicht. Bezeichnend, dass die Hauptdarstellerin auf ein Radio schießt, aus der das Main-Title-Theme ertönt. Als die Musik verstummte, gab es in der von mir besuchten Vorstellung Szenenapplaus von völlig genervten Zuschauern.
Härte: Viele Leute haben sich m.E. in dem schlechten SLEEPLESS von der guten Musik, Argentos gutem Namen und nicht zuletzt der deutlichen Härte und den graphischen SFX blenden lassen. Zumindest was den letzten Teil angeht, gibt es diesmal keine Gefahr. Der Film hat in jeder Szene BILLIG!! rechts oben in der Ecke stehen, so dass für SFX offenbar kein Geld da war. Zwar gibt’s n paar Szenen, wo Leichen mit Pinzetten untersucht werden, was recht schleimig ist, aber das war’s auch schon. Sonstige Gewalt findet im Off statt. Schade, denn bei den Darstellern hätte ich mir ein Blutmassaker gewünscht und es wirklich genossen.
Resümee: Ich habe die Theorie, dass Argento nach seinem unbefriedigenden Amerikaausflug zu TWO EVIL EYES die Filmerei an den Nagel gehängt hat und jetzt irgendwo in der Toskana auf einem Gehöft Briefmarken sammelt oder ähnliches. Um seinen Namen nicht sterben zu lassen, hatte sein Kumpel, der Trash-Regisseur Luigi Cozzi (STAR CRASH, THE BLACK CAT) die Idee, in Argentos Namen TRAUMA, PHANTOM und SLEEPLESS zu drehen. Nur als STENDHAL SYNDROME anstand, hatte Cozzi keine Zeit und der ungleich talentiertere Michele Soavi musste einspringen.
Und Argento sitzt aufm Berg und lacht sich tot.
Fazit: Der allerletzte Dreck!! Trotzdem nicht verpassen. Habe lange nicht mehr so gelacht.
Mirco Hölling (22.03.2004)