Innerhalb der Ginger-Snaps-Trilogie ist der zweite Teil, „Unleashed“, sicherlich der innovativste, weil düsterste und kompromissloseste Film. Während der Historienfilm und Abschluß eher Standardware verkauft und mit dem Original natürlich das Werwolffilmgenre einen frischen sexuell getönten Anstrich bekam (auch in Bezug auf geschwisterliche Verbundenheit und weibliche Homosexualität), entwickelt der zweite Film die Ideen des Vorgängers auf ungewöhnliche Art und Weise weiter.
Nachdem die titelgebende Ginger den ersten Teil ja nicht überlebt hatte, bleibt ihre Schwester Brigitte nun allein mit dem Problem zurück, mit ihrer Bissinfektion klarzukommen. Dazu bedient sie sich immer noch eines Serums des Wolfshuts, einem giftigen Stoff, der jedoch ihre Transformation aufhält, bzw. ihre regenerativen Fähigkeiten zur Wundheilung in normalem Rahmen hält. Doch wie bei allen Drogen stellt sich auch hier Gewöhnung ein, was bei der Tatsache, daß draußen noch ein richtiger Werwolf seine Kreise zieht, nicht unbedingt hilfreich ist.
Und so endet sie nach einem blutigen Überfall als Drogenwrack in einer privat geführten Klinik eines eigentlich schon verlassenen und nur noch teilweise betriebenen Krankenhauskomplexes, sitzt in Selbsthilfegruppe abhängiger Frauen (na denn...) und sieht sich dem Problem ausgesetzt, ohne ihr Serum die Verwandlung nahen zu fühlen.
Das Gute an „Ginger Snaps 2“ ist seine ständige Unberechenbarkeit. Brett Sullivan mag kein Oscarregisseur sein und Autorin Megan Martin keine Nobelpreisschreiberin, aber sie führen geschickt die Zuschauer samt Sehgewohnheiten an der Nase herum.
Was als schräger Drogenkracher beginnt und dann in der geschlossenen Abteilung langsam aber sicher hochköchelt, ist eine Verfeinerung des Themas des Originals. Brigitte hat nämlich ständig Erscheinungen von Ginger, die hauptsächlich Treue von ihr fordert und sie verhöhnt, weil sie die Verwandlung aufhalten kann, im Wesentlichen aber unterstellt, daß sich Brigitte notfalls doch Männern zuwendet. Und das muß sie auch, denn es gibt wie üblich den jungen, schurkischen Pfleger, der gegen Sex Drogen verteilt.
In steriler Enge und Abgeschlossenheit wird die langsam einsetzende Transformation (Haare auf den Handinnenseiten, große Ohren) zur wiederholten Metapher für die Frauwerdung; eine Meditationsübung mutiert zur Selbstbefriedigungsorgie mit Blutvisionen, die Sexforderungen des Pflegers lösen aggressive Gegenreaktionen aus, weil Frau hier nicht Frau sein darf, selbst wenn die Leitung eine Frau an sich (und noch dazu eine erwachsene Ex-Konsumentin und ggf. sogar selbst lesbisch) ist. Individuelles Unverständnis steht im Zentrum.
Natürlich erwartet man zu gegebener Zeit ein Massaker an der gesamten Abteilung (die übrigens endlich mal nicht so stabil klischeehaft wie sonst rüberkommt), doch zur Halbzeit dreht sich die Handlung, als Brigitte nach einem Kleingemetzel mit der erst am Beginn ihrer Pubertät stehenden Ghost fliehen kann. „Ghost“ selbst scheint eher im Phantasieland zu leben, hat aber doch sehr realistische Ansichten und ist ein patenteres Kerlchen als die meisten Erwachsenen, während sie in der Klinik lebt, weil ihre Großmutter nach einem Brand dort behandelt wird.
Die Handlung verlagert sich also (der ganze Film wirkt düster, schmuddelig, kalt und leicht verkommen) auf Ghosts Wohnhaus, wo die Mädchen eine Verteidigungsbastion aufbauen und das Geschehen dann inclusive Werwolf, Pfleger und Klinikleitung auf einen morbiden Höhepunkt zusteuert.
Es hat sicher schon mitreißendere Filme gegeben, aber die immer neuen Wendungen und versteckten Geheimnisse (vor allem Ghost bleibt bis zum Ende eine unauslotbare Tiefe), halten das Publikum permanent bei Laune und vor allem bei Interesse. Sullivan vermeidet Standards, Klischees oder den Rückfall in übermässigen Gore (obwohl der Film hie und da recht heftig ausfällt), sondern bedient das Grundthema der Frauwerdung und sexuellen Selbstentscheidung inclusive Moral mit jeder Aktion aufs Neue.
Das Finale ist dann ein probater Downer und gibt einem einen schönen Hammerschlag mit auf den Weg, der allerdings nach so einem Film auch angemessen erscheint. Ein fieser und düsterer und vor allem einfallsreicher Film, der so aussieht, als würde er keine Lösungen kennen, dann keine anbietet und doch zufriedenstellen seinen Plot bis in die Hölle reitet – das hat das Original nicht geschafft. (7,5/10)