Der Nachfolger von Jeunets vielgerühmtem "Delikatessen", der durch einen grimmigen, abgefahrenen und phantastischen Endzeithumor auffiel, ist ein Monument der überbordenen Phantasie, eine Vermengung von unendlich vielen Motiven aus diversen Märchen und Fantasy-Filmen, die zu einem gigantischen Turm von Babel wird. Dadurch erhält der Zuschauer zwar reichlich zu sehen und zu staunen, doch dem dramatischen Gefüge hilft dieses Gemenge verschiedenster Stile leider nicht weiter.
Grundsätzlich ist es die Geschichte eines bösen alten Mannes, selbst das Geschöpf eines Wissenschaftlers, der nicht träumen kann und deswegen kleine Kinder entführt, um ihnen einen schönen Traum zu entringen. Das funktioniert bei ihm natürlich nicht, während ein wortkarger Kraftmensch und ein Waisenmädchen versuchen, den entführten kleinen Jungen des Muskelmannes zu befreien. Dieses Grundkonzept allein verspricht viel, aber der Film läuft auch sonst über von Nebenhandlungssträngen. Da gibt es das von siamesischen Zwillingen geleitete Waisenhaus und seine diebischen Kinder, eine Untergrundsekte, die die Kinder entführt, den Oberwissenschaftler mit Gedächtnisverlust, einen Zirkuskünstler, der Flohe dressiert, andere mit Drogen zu betäuben, ein lebendes Gehirn in einem Behälter und sechs Klone, die auf einer verhangenen Bohrinsel dem Bösen zur Hand gehen.
So vielfältig der Inhalt ist, so kompliziert ist die Struktur. Gradliniges Erzählen ist purer Zufall und durch das Mischmasch durchzusteigen, verlangt ein gehöriges Maß an Aufmerksamkeit. Der Plot wuchert wild und durcheinander, verschiedene Stränge kreuzen sich auf originelle Weise und trennen sich wieder, wobei neben dem Einfallsreichtum immer wieder auffällt, wie extra schwer es sich das Drehbuch macht. Daß Jeunet hervorragende Einfälle hat (die Reise des Flohs nach Hause und einige Kaskaden von auslösenden Handlungen, die verfeinert auch in "Amelie" einflossen) beweisen die Bilder eindeutig und manchmal kann man ob der Ideen nur noch bewundernd den Kopf schütteln.
Die Tonfarbe ist jedoch düster und schwer. Zu Lachen gibt es reichlich, doch alles ist in dunklen, verfremdeten Farben gehalten, künstlich und schwer, bedrückend nicht zuletzt. Auch sonst ist das Geschehen reichlich alptraumhaft, surreal und am Ende wird's sogar schräg, wenn die Personen sich in Träumen bekämpfen. Darüber hinaus ist das alles noch recht gewalttätig, d.h. es gibt ordentlich Ekelhaftes, Grausames und Brutales in finsterer Umgebung, sicherlich nicht brauchbar für ein junges Publikum und schwer zugänglich für ein altes.
Die Schauspieler agieren auf höchstem Niveau, vor allem die Kinder, die nicht zu irgendwelchen unrealistischen Verhaltensweisen herangezogen werden. Ron Perlman bekommt noch eine ungewöhnliche Rolle mehr in seinen Fundus und Dominique Pinon (der eifersüchtige Lauerer und Nörgler aus "Amelie") ist ein echter Lichtblick, wenn er in gleich sieben Rollen schlüpft.
Am Ende war ich zu erschöpft ob der ruhigen Bilderflut, die jede Stimmung abtöten kann und dennoch absolut phantastisch und neu ist. Andererseits ist es absolut begeisternd, zu sehen, was das Kino im Zeitalter der Remakes noch alles kann, ohne jemanden zu zitieren.
Wer sich hier herantraut, braucht eine Menge Kraft und Aufgeschlossenheit, bekommt dann aber etwas absolut Originelles zu sehen. Immerhin! (7/10)