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Es gibt sie also doch noch. Filme die mit nur einer einzigen Szene, einem Blick dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, er hätte gerade an etwas Großem teilgenommen, sei Zeuge von etwas Besonderem geworden. „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ besitzt einen dieser Momente, er kommt unerwartet, wirkt zunächst unscheinbar aber man wird ihn doch in Erinnerung behalten. Es ist der Moment, in dem die Magd Griet (Scarlett Johannsen) in einem dunklen, nur von einer flackernden Kerze erleuchteten Raum ihr Kopftuch abnimmt und zum ersten und einzigen Mal in diesem Film ihre wunderschönen langen Haare zu sehen sind. Beobachtet wird sie dabei vom großen holländischen Maler Vermeer. Als Zuschauer erahnt man wie viel Gefühl, Zuneigung und letztlich auch Verlangen in diesem einen Moment liegen. Es ist dieser kurze Moment, der den Film erklärt, der den Rest zu hinführendem Beiwerk macht, nicht überflüssig, aber doch nur letztlich Vorarbeit hin zu dieser Szene. Mehr Intimität wird es nicht geben, die flüchtigen Berührungen, die Blicke, sie alle wiegen nichts im Vergleich zu diesem Moment.

Die Geschichte ist dabei rein fiktiv. Basierend auf dem gleichnamigen Roman erzählt sie eine mögliche Entstehungsgeschichte des bekanntesten Bildes von Jan Vermeer van Delft. Seine Bilder, gemalt in der Mitte des 16. Jahrhunderts, sind gekennzeichnet von einer schier unglaublichen Detailfülle. Vermeer war Perfektionist, lies sich für seine Bilder viele Monate Zeit, war kein "Vielmaler" wie viele andere Große Künstler.
Die Handlung des Films führt die junge Magd Griet im Hause des Malers ein. Zunächst ist sie fasziniert und auch verschüchtert ob des großen Künstlers, der mit seiner Frau und seinen Kindern immer abhängig von Gönnern und Kunstliebhabern in Delft lebt. Griet legt ihre Schüchternheit nur langsam ab, und je mehr sie sich mit dem Mann beschäftigt, der ständig von etwas geheimnisvollen Umgeben ist, um so mehr fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Entgegen aller Standesfragen und Konventionen. Auch Vermeer ist von der wissbegierigen und mit einem Auge für die Kunst ausgestatteten Magd fasziniert. Ihre Treffen im Haus sind heimlich, die Gefühle werden nie ausgesprochen, zeigen sich immer wieder nur in kleinen Gesten und erst als Vermeer von seinem Mäzen genötigt wird ein Bild von Griet zu malen, scheint die Situation außer Kontrolle zu geraten.

Der Film ist ruhig, die Handlung nicht mehr als eine Episode. Es passiert nicht viel in knapp zwei Stunden, und doch wird man am Ende das Kino verlassen und die Gewissheit haben, dass man einen der bewegendsten und schönsten Filme des Jahres 2004 gesehen hat. Einen großen Anteil daran haben die Darsteller. Collin Firth bisher ja eher als typisch knorriger Brite in Komödien im Einsatz, aber daneben auch seit Jahren auf der Theaterbühne zu hause verleiht dem Maler durch seine Gestik und Zurückhaltung in der Mimik etwas sehr würdevolles, das aber auch von einer gewissen Depression durchzogen ist. Man versteht das Dilemma, in das ihn der Spagat zwischen Kunst und Auftragsmalerei geführt hat. Auch Scarlett Johanssen spielt sehr zurückhaltend, lässt den Zuschauer aber durch ihre Blicke und ihr Spiel nie im Unklaren über Griets Gefühle. Und hat mit der oben beschriebenen Szene eindeutig eine der Szenen des Jahres. Neben „Lost in Translation“ also bereits der zweite Film mit ihr in diesem Jahr, der weit weg ist von Hollywood Mainstream und vielleicht auch deshalb zu den Highlights des Jahres zählt.
Großartige Leistungen gibt es auch von Tom Wilkinson als schmierigem Mäzen und Essie Davis als Vermeers eifersüchtige Ehefrau zu sehen. Einzig Cillian Murphy als Metzgersjunge der Griet verfallen ist wirkt unpassend.

Bei der Optik hat sich Regisseur Peter Webber stark von der Farbgebung und Detailfülle von Vermeers Werken beeinflussen lassen. Die Farben wirken satt und stark, die Ausleuchtung verleiht dem ganzen einen goldenen Glanz und bei den Szenen außerhalb Delvts hat man fast den Eindruck man sieht ein gemaltes Bild vor sich in dem sich die Schauspieler bewegen. Immer wieder geht die Kamera in die Details, wird so der Detailversessenheit Vermeers gerecht. Schnelle Schnitte sucht man vergebens, die Kamera wirkt oft sehr statisch, was aber noch den Charakter des Bildhaften verstärkt. Wenn die Kamera dann mal durch die wundervollen Kulissen schwebt, so geht sie auch hier sehr ruhig zu werke und schafft es immer wieder den Zuschauer mit einem sehr wohligen Gefühl zurück zu lassen.
Ebenso beeindruckend wie die Kulissen sind die Kostüme, die den Zuschauer direkt in die Niederlande des 16. Jahrhunderts entführen.

„Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ist ein Film, der dem Zuschauer die Wahl lässt. Man kann sich an der puren Schönheit der Inszenierung erfreuen, jeder Kostümfilmfan dürfte begeistert sein, oder man kann sich mit daneben auch noch mit der Handlung auseinandersetzen, wird hier immer wieder Details entdecken, Kleinigkeiten, die letztlich dafür sorgen, das hier ein großartiges Gesamtbild entsteht. Webber hat, auch dank eines grandios aufspielenden Hauptdarstellerpaares, einen der Filmen des Jahres gedreht. Sicherlich nicht jedermanns Geschmack aber wer auf anspruchsvolles Kino steht wird hier bestens bedient. 9 von 10 Punkten. Allein schon wegen DEM Moment ein Fest für Cineasten.

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