„One Point 0“ ist ein Independent-Film, wie er im Buche steht: Fernab des Hollywood-Mainstreams mit seinen ausgereizten Konventionen kostengünstig in Osteuropa gedreht und durchweg mit Stars der zweiten Reihe besetzt, bietet der Film keine gelackte oder lineare Kost für den Durchschnittskonsumenten – vielmehr wird dem Zuschauer ein ungemütlicher Sci-Fi-Thriller geboten, der mit eigenständigen Ideen und einer stimmungsvollen Inszenierung überzeugen kann.
Der Programmierer Simon (Jeremy Sisto – TV´s „Six Feet Under“) ist angesichts der Abgabe-Deadline für ein neues Code-Element im Rückstand. Dieser Zeitdruck wird noch von andern Umständen verstärkt: Sein Vermieter will endlich die fällige Miete haben, sein Auftraggeber drängt ihn ständig per Videophone, beim Einkaufen fühlt er sich von einem Mann in Trenchcoat verfolgt, und mysteriöse Botschaften mit Warnungen und Ankündigungen tauchen plötzlich auf seinem PC auf. Der Gipfel ist jedoch, dass Simon Pakete bekommt, in denen sich rein gar nichts befindet – nur stehen diese nicht etwa vor seiner Tür, sondern tauchen einfach (trotz Sicherheitssystem) innerhalb seines Apartments auf.
Je mehr sich diese Vorfälle häufen, desto ausgeprägter wird seine Paranoia. Der mit ihm befreundete direkte Nachbar und Androidenerfinder Derrik (Udo Kier – „Blade“) weiß von nichts, genauso wie der etwas durchgeknallte aber gutmütige Hausmeister (Lance Henriksen – „Alien vs. Predator“), doch der Verdacht scheint auf einen Flurbewohner (Bruce Payne – „Highlander IV“) zu deuten, der in seiner Freizeit Internet-Virtual-Reality-Pornos dreht. Als Simon ihn schließlich zur Rede stellt, redet dieser ständig vom „großen Spiel“ und lädt ihn in seine Wohnung ein – dort präsentiert er ihm seinen VR-Apparat, wird aber grausam ermordet, während sich Simon daneben in der VR aufhält, so dass dieser daraufhin für die Polizei zum Hauptverdächtigen wird…
Auch körperlich baut Simon nun immer weiter ab – er wird krank und beginnt an seinem eigenen Verstand zu zweifeln. Mit der geheimnisvollen Krankenschwester (Deborah Unger – „the Game“) von Gegenüber beginnt er eine Affäre, doch auch diese zerbricht schließlich an seiner immer fortgeschritteneren paranoiden Haltung: Nun wird er nämlich auch noch ständig von Adam, dem Androiden-Kopf von Derrik, angerufen, da dieser mit dem Internet verbunden ist und scheinbar eine Spur entdeckt hat, und es sterben weitere bekannte Hausbewohner. Als ihn seine Krankheit schließlich an den Rand des totalen Zusammenbruchs führt, bekommt er die Information, dass er sich mit etwas infiziert hat – doch es gibt ein Upgrade dafür…
Mit dem Upgrade ist es jedoch noch lange nicht überstanden – mehr zu verraten wäre aber unfair, schließlich habe ich mich bei meiner Inhaltsangabe auch nur auf die groben Elemente beschränkt: Ist Simons Paranoia gerechtfertigt, oder spielt sich alles nur in seinem Kopf ab? Ist das Krankenhaus wirklich ein so gefährlicher Ort? Was hat sein Code-Auftrag mit allem zutun? Was hat es mit den Kühlschrankinhalten der Leute auf sich, und warum weiß der Androide so viel?
Der Film ist so konzipiert, dass sich erst nach und nach alle Teile des Puzzles erkennen lassen. Das doppelbödige Skript präsentiert alle Elemente glaubwürdig und bietet zudem eine überraschende, aber logische Auflösung der Geschehnisse.
Mit der Besetzung hat man alles richtig gemacht, denn man bewies eine gute Wahl und präsentiert den Schauspielern bekannte Rollentypen: Udo Kier spielt den doch etwas zwielichtigen Nachbarn (wie in „Love Object“) mit gewohntem Flair, Deborah Unger die unnahbare Schönheit von Gegenüber (ähnlich ihrer Rolle in „the Salton Sea“), Bruce Payne eine arrogante Figur (siehe „Riders“), und Lance Henriksen hat sich scheinbar nach „Mimic 3“ gar nicht erst umgezogen – Outfit und Rolle sind fast identisch.
Schauspielerisch überzeugt der sträflich unterschätzte Jeremy Sito („Hideaway“/„Wrong Turn“/„Angel Eyes“) am stärksten in der Hauptrolle. Er verkörpert den Simon zu jeder Sekunde glaubwürdig und mit der angemessenen Zurückhaltung. Den Film hat er übrigens auch mitproduziert.
Visuell hat man „One Point 0“ einen düsteren Touch mit dreckigem Braun-Schimmer verpasst – von Hochglanzoptik keine Spur. Alles ist trist und unsauber, quasi realistisch. Der Film behandelt zwar High-Tech-Themen, ist aber in einem „Low-Tech“-Stil inszeniert worden: Auf Special Effects hat man so gut wie vollständig verzichtet, die Computer und VR-Geräte sehen bewusst uralt und heruntergekommen aus, so wie die gesamte Technik – mit Ausnahme von Udo Kiers Couch, die aber auch schnell nicht mehr richtig funktioniert…
Die alte osteuropäische Architektur trägt ihren Teil zu der düsteren Stimmung bei, wie auch der gute Score und das angemessen ruhige Tempo. Die Auflösung gleicht sich den behandelten Themen jedoch an und ist topaktuell wie nie.
Fazit: „One Point 0“ ist eine Kombination aus Stil- und Themenelementen, die zusammen ein eigenständiges Ganzes ergeben. Motive von Kafka und Phillip K.Dick, kombiniert mit einigen „Matrix“-, „the Game“- und „Brazil“-Hintergedanken ergeben hier einen düsteren und überzeugenden Paranoia-Thriller mit Retro-Touch … 8 von 10.