Review

Egomanie und Moral

SPOILER!

Mux ist ein fast normaler deutscher Mitbürger. Das einzige, was ihn von uns unterscheidet ist sein Sinn für das Allgemeinwohl. Als studierter Philosoph scheint er genau zu wissen, was Moral, Verantwortung und Solidarität bedeuten und setzt sich selbstlos dafür ein. Er gründet mit dem doofen Arbeitslosen Gerd eine Firma, die Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auf eigene Faust ahndet und erzieherische wie abschreckende Strafen verhängt. Das alles dokumentiert er auf Video, um seinen Traum, das "Manifest" zu erschaffen, ein Lehrvideo für die Gesellschaft. Seine Pistole gibt ihm die nötige Macht und die Dreistigkeit seines Vorgehens lässt die gestellten Täter nie bezweifeln, dass Mux eigentlich kein Recht hätte, sie zu verurteilen, und so geht er immer weiter, während er nicht merkt, wie er sich selbst immer mehr verändert und die Sache aus dem Ruder zu laufen droht. Auch seine Beziehung zu der jungen Kira läuft nicht wie erhofft, offenbart seine egozentrische, narzisstische und arrogante Weltsicht.

Ohne Fördergelder und teils ohne Genehmigungen auf DV gedreht, entwickelt sich der kleine Nachwuchsfilm zu einer brillanten Gesellschaftssatire, zwischen bissiger Ironie und bösartigem Zynismus, wo einem das Lachen förmlich im Halse stecken bleibt. Filmisch eher schlicht und krude gestaltend (teils unscharfe, körnige, wackelige DV-Bilder) verhilft der Regisseur der zunächst eher einfachen Idee zu einer authentischen, dokumentarischen Brisanz und liefert dabei den wohl besten künstlerischen Beitrag zum aktuellen Zeitgeist ab, den man sich vorstellen kann. Wie geht man mit der zunehmenden Kriminalität um, mit dem fehlenden Gemeinschaftssinn der Gesellschaft? Wie setzt man Gerechtigkeit um? Wie weit kann man im erzieherischen Sinn exekutiv in die Gesellschaft eingreifen?

Mux's Vorgehen kommt von Anfang an zweischneidig herüber. Seine arrogante Pingeligkeit und überhebliche Dreistigkeit gibt er dem Zuschauer preis, als er seine überzogenen erzieherischen Maßnahmen gegen Verkehrssünder, Schwarzfahrer,... einsetzt. Die Horrorvorstellung eines jeden Normalbürgers. Doch auf der anderen Seite belässt es Regisseur Mittermeier nicht bei den ironisch inszenierten Lapalien. Plötzlich geht es um Kinderpornografie, um Vergewaltigung und Mord. Souverän führt der Film uns auch durch diese ernsten Themen und drängt den moralischen Konflikt auf: Wenn wir uns an die regelmäßigen Nachrichtenberichte über genau solche Themen ansehen, fühlen wir da nicht genau wie Mux? Wollen wir in dem Moment nicht genau das, was er in dem fiktiven Modellversuch wirklich durchführt? Die harte Bestrafung und Demütigung von Kinderpornohändlern. Die gerechte Bestrafung eines Familienmörders, bevor er sich selbst einfach mit Suizid aus der Verantwortung stiehlt. Gerade in unserer Zeit, wo über innere Sicherheit ausführlich gesprochen wird, wie kaum zuvor, wirft das zentrale und brisante Fragen auf, die sich jeder stellen muss. Wir alle wollen Gerechtigkeit, aber ist die einzige Lösung eine radikale Verschärfung der exekutiven Gewalt? Ist z.B. die Todesstrafe vertretbar? Darf ein Einzelner das Recht haben, Selbstjustiz gegen andere zu führen?

Die Gefährlichkeit des Auge-um-Auge und Abschreckungsdenkens sehen wir an Amerika. Näher noch: Man betrachte die Wahlprogramme und Forderungen rechtsorientierter Parteien hier bei uns! Auch die letzten Diskussionen über Terrorismus, die Panikmache dabei und die geforderten Verschärfungen der staatlichen Überwachung hinterlassen diesbezüglich einen fahlen Beigeschmack. In ethisch sehr unangenehmen Sequenzen zeigt der Film krass die Folgen jener Betrachtungsweise auf: Als Mux's erzieherische Maßnahmen plötzlich mit Demütigung einhergehen und er einen totalitären Wahn entwickelt, kippt die eher lockere Stimmung um: Diebe schlägt er brutal zusammen, eine Ladendiebin muss den geklauten BH vor seinen Augen ausziehen, Wiederholungstäter werden mit dem Kopf in Hundekot gedrückt, bis sie erbrechen. Und schließlich der komplette Wendepunkt, der all seine philosophisch motivierten Pseudorechtfertigungen zunichte macht und sein Handeln bitterst verurteilt: Ein Graffiti-Sprayer, dem er wie üblich zur Strafe das Gesicht besprüht, läuft blind torkelnd vor einen Zug und wird überrollt. Doch Mux stört es nicht großartig. Durch weitere Wohltaten für die Allgemeinheit bereinigt er sein Gewissen und rechtfertigt auch solche "kleinen Fehler". Auch in seiner platonischen, fast väterlichen Beziehung zu der jungen Kira, von der er denkt, sie sei anders, klüger, anständiger, erkennt man immer mehr seine krankhafte Egomanie. Als sie mit ihm in die Dosko geht und dort die Sau herauslassen will, muss Mux einsehen, dass sie genauso normal ist, wie alle anderen. Das kann er nicht akzeptieren.

Währenddessen reißt er in seinem faschistoiden Tun die Bürger aus der Lethargie. Die Medien berichten und seine Firma expandiert. Das große Reinemachen beginnt und man fühlt sich nun unweigerlich an die NS-Zeit erinnert: Mux strebt die totale Kontrolle über Deutschland an, eine Gemeinschaft von Denunzianten, eine intolerante und nicht mehr zu rechtfertigende Verschärfung und Verschmelzung von richtender und exekutiver (Staats-)gewalt, geprägt von arrogantem Machtdenken. Das Schlimme daran: Das Volk ist auf seiner Seite. Kaum ist der totalitäre Apparat in Gang gebracht, bröckelt das moralische Fundament. Die Szene, wo Gerd vor gewissen dokumentierten Straftaten onaniert, zeigt das noch auf humorvolle Weise. Doch die Zustände eskalieren, die Vernunft, die Mux sich so gerne predigen hört, ist nur noch ein verzerrtes Abbild ihrer selbst.
In seinem wahnhaften Höhepunkt der Egomanie spiegelt sich schlussendlich die verselbstständigte Katastrophe wider: Nur weil Mux Kira nicht akzeptieren kann, wie sie nun mal ist, erschießt er sie in einem letzten Moment der Zuneigung ihrerseits. Dann bringt er es nicht fertig, sich selbst noch zu töten. Der feige Nazi kommt in ihm wieder hoch - er zieht sich selbst aus der Verantwortung und exiliert nach Italien und macht erst mal Urlaub, wo er mit sich ins Reine kommen will, indem er seine Selbstjustizfirma mit Gerd dorthin exportiert. Endlich wird auch er dort gerichtet und bekommt (ironischerweise durch seine eigene Rechthaberei) seine Strafe. Wahrscheinlich hat er nie erkennen können, aus Dummheit, Arroganz und Verblendung, dass auch er nicht besser war als diese verachtenswerten, armseligen Raabs und Bohlens in seiner kaputtgedachten Gesellschaft.

Was bleibt, ist nur noch ein bitterer Kommentar: Gerd, der von vornherein nie das eigene Tun in Frage stellen konnte, ja genau wegen seiner Naivität und Loyalität eingestellt wurde, tritt Mux's Nachfolge an und trägt die Früchte seiner Arbeit. Nicht auszudenken, wie es weiterginge...

Details
Ähnliche Filme