Review
von Alex Kiensch
Für Cineasten dürfte der Name Fritz Lang für symbolisch komplexes, künstlerisch anspruchsvolles und doch unterhaltsames Kino zwischen 20er- und 60er-Jahren stehen. Mit Größen wie Friedrich Wilhelm Murnau oder Georg Wilhelm Pabst prägte er das deutsche Stummfilmkino der 20er wie kaum ein anderer. Und schon seine frühen Arbeiten zeigen eine deutliche Handschrift, sogar wenn er nicht selbst Regie führte: Für den Stummfilm "Die Pest in Florenz" schrieb er 1919 das Drehbuch, Otto Rippert inszenierte. Als Drehbuch-Frühwerk Fritz Langs ist der knapp 100 Jahre alte Film bis heute sehenswert.
"Die Pest in Florenz" bedient sich gleich mehrerer Konflikt-Motive: Zunächst geht es um den Gegensatz von Alt und Jung - Florenz wird von alten, kirchentreuen Geistlichen regiert, die Spaß und Feierlichkeiten aller Art verbieten. Die jungen, lebenshungrigen Bewohner begehren dagegen auf. Doch erst die Ankunft der mysteriösen, wunderschönen Julia bringt den Befreiungsschlag. Und schon kippt das Leben in der Stadt ins gegenteilige Extrem: Wild und hemmungslos frönen die Menschen sinnlichen Lüsten, ohne Rücksicht auf Anstand oder Vernunft. Die Strafe soll folgen: Die Pest kommt über Florenz - und radiert die Stadt aus.
Inhaltlich nimmt Lang hier einige lose Handlungsstränge aus Edgar Allan Poes berühmter Kurzgeschichte "Die Maske des roten Todes" auf; allerdings bleibt diese Verbindung auf wenige Szenen und Motive, etwa die personifizierte Pest, beschränkt. Vordergründig geht es hier um den Konflikt zwischen den Generationen und ihrer Lebensauffassung und das richtige Maß zwischen Selbstgeißelung und Hemmungslosigkeit. Beide Formen, so schwingt die Aussage beständig mit, sind nicht produktiv und können der Bevölkerung zum Verhängnis werden.
Diese im Kern moralische, mit einer ganzen Reihe fantastisch anmutender Elemente durchwebte Geschichte wird von der Kamera in teils furiosen Bildern eingefangen. Zwar bleibt die Kamera historisch bedingt noch statisch und unbeweglich - "Panzerkreuzer Potemkin" mit der berühmten die Treppe hinab gleitenden Kamera lag noch einige Jahre in der Zukunft - dennoch gelingen immer wieder Bilder von mystischer Kraft. So erreichen die durcheinander schwirrenden Menschenmassen bei den ausladenden Feiern oder auch die dramatischen Gruppenkämpfe durchaus eine Dynamik, wie sie späteren Filmen und deren technischen Mitteln gerecht werden. Und wenn Julia, die alles erst in Gang gebracht hat, von einem unheimlichen Waldbewohner in die Hölle geführt wird, spürt man Langs visuelle Vorstellungskraft: Da schweben sie über endlos ausgebreitete Menschenleiber und werden von höllischen Bestien bedroht. Diese symbolisch aufgeladene Bildintensität gipfelt in einem fantastisch-furiosen Schlussbild: Die als abgemagerte Frau in schwarze Umhänge gekleidete, personifizierte Pest schreitet majestätisch eine mit Leichen bedeckte Schlosstreppe hinab.
Auch die zum Film komponierte Musik trägt bedeutend zu der immer intensiver werdenden Atmosphäre bei. Dunkel und getragen, in einzelnen Szenen wieder heiter und ausgelassen, und auch die Figuren als gut und böse charakterisierend, untermalt sie die Bilder. Und nicht zuletzt verströmen die poetischen Zwischentitel durch ihre lyrisch anmutende Formulierung eine dunkle Faszination. Diese starke Inszenierung tröstet über einige zwischenzeitliche Längen hinweg. Als frühes Highlight des fantastischen Films ist "Die Pest von Florenz" ein zeitlos fesselnder, grandios arrangierter Streifen über Heuchelei, Maßlosigkeit und das Verhältnis zwischen Mensch und Gott. Ein starkes Stück, das Lang schon in frühen Jahren geschrieben hat.