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Es gibt diese Kategorie von Filmklassikern, die einfach jeder Mensch auf der Welt liebt – so sehr, dass jene, die es nicht tun, mit argwöhnisch verkniffenen Augen gemustert werden. Solche Klassiker müssen etwas ganz Besonderes an sich haben, etwas, das einen universellen Nerv trifft. Die Sterne müssen günstig stehen, so dass etwas Einzigartiges, nicht Planbares, nicht Reproduzierbares entsteht. Wie ein Indiana Jones eben.

Das ist die eine Wahrheit. Die andere, die weniger romantische Wahrheit ist, dass es trotz aller Magie immer noch einer Formel bedarf, an die sich der Filmemacher zu halten hat. Verstößt er gegen die Formel, so einfach ist der Mensch dann doch auszurechnen, gibt es keine Liebe. Doch zumindest die Formel kann durchaus geplant und – ein wenig Geschick vorausgesetzt – fachmännisch reproduziert werden.

Nur wenige Formeln fußen auf einer derart klar definierten Kontur wie dem Edelstein, der sich durch seine unveränderlichen Eigenschaften zu einem wichtigen MacGuffin gleich mehrerer Genres gemausert hat. Nicht nur das Heist Movie ist ganz offensichtlich von ihm geprägt, sondern auch der Fantasy- und nicht zuletzt der Abenteuerfilm. Zumeist in verbotenem Terrain verborgen, spiegelt er traditionell die Begierden und Abgründe seiner Jäger. Schon durch seine bloße Existenz wirbelt er Staub auf; niemand bewahrt in seiner Anwesenheit die Fassung. Schweißperlen, hektisch getauschte Blicke, eine Ruhe vor dem Sturm löst er aus, nicht zuletzt den Sturm selbst, während er selbst eigentlich nur bewegungslos in der Pose verharrt und die kurzen Momente der Aufregung auf dem langen Zeitstrahl der Geschichte einfach an sich vorbeiziehen lässt.

In dem von Nico Mastorakis geschriebenen Indiana-Jones-Epigon „Bloodstone“, das eigentlich ein Epigon zweiter Reihe ist, weil es Robert Zemeckis‘ „Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten“ sogar noch mehr ähnelt, zeichnet sich die Formel so kristallklar im Bild einer jeden Szene ab wie eine Dolly-Schiene, die noch in die Kadrage ragt und die Illusion auflöst. Man kann den Weg des Rubins von Zeitungsartikeln durch Taschen und Kofferräume in Villain-Hände hinein wahrhaft blind vorzeichnen, bevor es überhaupt soweit kommt. Jede Bewegung ist exakt einstudiert, die Konstellation der Figuren und der Ablauf der Geschehnisse wird in keinem Detail dem Zufall überlassen.

So entstehen Situationen, wie man sie von einem Abenteuerfilm erwartet und sich insgeheim auch ein klein wenig erhofft; ein nonchalantes Gespräch eines abenteuerlustigen Paars im Zugabteil mit einem kauzigen Fremden zum Beispiel, in dem auch mal frei nach Hitchcock die Gebote des harmlosen Smalltalks aus den Angeln gehoben werden. Ein Schurke mit Telefonhörer am Ohr gestikulierend in seinem Büro stehend, das vor lauter Kitsch zu explodieren droht. Der Blick auf eine Großstadt in einem Land von unüberschaubarer Exotik. Und dann wäre da noch der einheimische Navigator, der sich so unbekümmert durch die Sets bewegt, dass der zugehörige Film seinen Rhythmus widerstandslos annimmt.

Das muss man allerdings so erst einmal hinbekommen. Von Christopher Neames blütenweißem Anzug, der die mysteriöse Verschlagenheit eines Ricardo Montalbán in „Fantasy Island“ (1977) mit der Hitzköpfigkeit eines Al Pacino in „Scarface“ (1983) kombiniert, bis zu Anna Nicholas‘ verschmitztem Lächeln, das ohne jeden Zweifel vom selben Waffenkaliber ist wie dasjenige von Karen Allen in „Jäger des verlorenen Schatzes“ (1981)… hier ist einfach alles mit Maßarbeit arrangiert, um maximale Wirkung zu erzielen. Die Dimensionen der Produktion verraten zwar, dass wir uns hier nicht gerade in der A-Klasse befinden, aber eben auch nicht in einem dieser völlig vogelwilden C-Movie-Kopiervorgänge, denen Qualitätssicherung ein Fremdwort ist. An Originalität mag es mangeln, an fundierter Analyse nicht; da wusste wohl jemand ganz genau, wie er die Bausteine zusammenzusetzen hat.

Bedanken kann sich Mastorakis auch bei Dwight H. Little, dem er die Regie vor Ort überließ. Little war eher ein Späteinsteiger im Filmgeschäft, hatte aber mit dem Kalter-Krieg-Thriller „KGB – Der schmutzige Krieg“ (1985) und dem bereits Richtung Larger-Than-Life-Konzept schielenden Actioner „Inferno USA“ (1986) offenbar genug Meriten gesammelt, um auch für ein Indy-Replikat in Betracht gezogen zu werden. Little macht gerade angesichts der herausfordernden Drehumstände einen soliden, sauberen Job darin, eine Reihe von Vorgaben kompetent abzufilmen. Dabei profitiert er alleine schon von den – aus westlicher Sicht zumindest – alles andere als alltäglich wirkenden indischen Originalschauplätzen, die zwar der Globetrotter-Vielfalt eines teuren Major-Titels entbehren, in sich selbst jedoch immer noch genug Abwechslung bieten, um einen kompletten Film zu tragen, zumal die Mischung aus urbanen und natürlichen Landschaften sowie bunt ausgestatteten Innenraum-Dekors als ausgewogen zu bezeichnen ist.

An halsbrecherischen Stunts und aufwändig konzipierter Action mangelt es dem mit 1 bis 1,5 Millionen US-Dollar eher schmal budgetierten Streifen allerdings merklich. Es gibt eine an „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ (1984) angelehnte Sequenz um eine Hängebrücke über einem reißenden Strom, man wird Zeuge einer wilden Taxifahrt durch die engen Straßen der Stadt und eine Hängepartie an der Außenfassade eines Hotels steht ebenfalls auf dem Plan. Dann wird die Luft aber auch schon dünn. Aufgebote an reitenden Komparsen, Schwertkampfduelle und rituelle Prozessionen erinnern wiederum eher an alte Swashbuckler- und Orient-Verfilmungen aus den 50er Jahren als an moderne Kinounterhaltung der späten 80er.

Demgemäß verharrt „Bloodstone“ lieber bei seinen Basics und versucht sich zum Ausgleich für ausbleibendes Spektakel einfach an einer augenzwinkernden Charme-Offensive. Brett Stimely und Anna Nicholas versprühen durchaus eine naive Chemie und sind sich auch nicht zu schade, anrückende Schergen aus dem Badezimmer ihres Hotels heraus mit dem lustvollen Gestöhne frisch Verliebter zu verwirren, nur um sie Sekunden später mit blauen Bohnen zu versorgen. Jack Kehler in der Rolle des exzentrischen Fremden Paul Lorre erinnert durchaus an den Peter-statt-Paul Lorre aus „Mr.Moto“-Tagen.

Mit Charlie Brill in der Rolle eines Inspektors liefert er sich regelmäßige Slapstick-Duelle, die den Ton des Films manchmal aber arg ins Alberne driften lassen. Ein echter Clou ist die Besetzung des Taxifahrer-Sidekicks mit Rajinikanth. Weil der indische Superstar abgesehen von diesem einen Film nie eine Rolle in einer nicht-indischen Filmproduktion gespielt hat, könnte der westliche Zuschauer beinahe meinen, einen lokalen Komparsen vor sich zu haben, der womöglich im wahren Leben tatsächlich Taxi fährt und eher per Zufall in die Produktion gestolpert ist.

Sein eher untypischer Charme erschließt sich jedenfalls erst im Laufe der Geschichte, wenn er eine erfrischend andere Interpretation des klassischen Fremdenführer-Rollentypus liefert und dem eigentlichen Hauptdarsteller Brett Stimely so manches Mal die Show stiehlt. Hier gelingt dem Streifen dann auch mal die Illusion, nicht ganz und gar aus reinem Kalkül zu bestehen, auch wenn die rückwärts in den Mund geschnippte Zigarette als Markenzeichen Rajinikanths dann doch wieder daran erinnert, dass hier im Grunde alles aus inszenierter Pose besteht.

„Bloodstone“ zeichnet sich letztlich durch eine exzellente Beobachtungsgabe für die Eigenschaften der größten Abenteuer-Klassiker aus, was sich vom Casting über das Location Scouting und die Kostüme bis in die primären Faktoren Drehbuch, Produktion und Regie hinein durchweg bemerkbar macht. Während Robert Zemeckis mit dem ähnlich gearteten „Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten“ im Indiana-Jones-Fahrwasser aber selbst fast schon ein Mini-Klassiker gelang, bleibt dem Dwight-Little-Streifen lediglich der Trostpreis und das Schicksal, über die Jahrzehnte vergessen worden zu sein. Um ähnlich innig geliebt oder zumindest respektiert zu werden wie die großen Vorbilder, hätte es wohl auch einfach etwas weniger Formel und etwas mehr Einzigartigkeit gebraucht. Vielleicht hätte aber auch einfach ein höheres Budget den Unterschied gemacht, denn: Die Knochen werden nun mal unsichtbarer, je mehr Fleisch an ihnen hängt.

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