Kann ein Film gleichzeitig begeistern und enttäuschen? Die Antwort lautet ja, und Andy Milligans Fleshpot on 42nd Street ist ein schönes Beispiel dafür. Dusty (Diana Lewis aka Laura Cannon, Forced Entry) und Tony (Richard Towers, The Last House on the Left) leben zusammen in einem kleinen Appartement in New York City. Eine Zweckgemeinschaft. Er arbeitet und bezahlt die Miete, sie macht die Beine breit und hält die Bude (halbwegs) sauber. Eines Tages, nach einem Streit, hat sie genug von dem widerlichen Typen. Während er bei der Arbeit ist räumt sie die Wohnung aus, macht die Sachen zu Geld und verläßt die Gegend. In Manhattan kommt sie bei ihrem Freund Cherry (Neil Flanagan, Guru, the Mad Monk) unter, einem Transvestiten, der sein Geld auf dem Strich verdient und am Times Square wohnt. Da man auch in diesem (faulen) Teil des Big Apples nicht von Luft und Liebe leben kann, bleibt Dusty nichts anderes übrig, als wieder zu husteln. Dabei wollte sie diese Art Leben doch endlich hinter sich lassen. Ihre Sexdienste bringen gutes Geld, schließlich ist sie nicht nur hübsch, sondern auch bei härteren Sachen "game". Dann lernt sie Bob (Harry Reems, Deep Throat) kennen, einen netten, jungen Mann, in den sie sich prompt verliebt. Das Blatt scheint sich zu wenden...
Andy Milligan (1929 – 1991) war kein guter Filmemacher. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, von Mitte der 1960er- bis Ende der 1980er-Jahre zahlreiche Horror- und Exploitationstreifen wie The Ghastly Ones (1968), Torture Dungeon (1970), Bloodthirsty Butchers (1970), The Rats Are Coming! The Werewolves Are Here! (1972), The Man with Two Heads (1972), Carnage (1984) oder The Weirdo (1989) auf den Markt zu werfen. Von Teamwork schien Milligan nicht besonders viel zu halten; ich denke, wenn es möglich gewesen wäre, einen Film komplett im Alleingang zu machen, er hätte es vermutlich getan. Auch bei Fleshpot on 42nd Street, der am 10. Januar 1973 das Licht der Leinwände erblickte, fuhrwerkte der Mann als Hansdampf in allen Gassen. Er schrieb das Drehbuch, zeichnete für die Bildgestaltung, den Sound, die Kostüme und den Schnitt verantwortlich, fungierte als Kameramann und führte natürlich auch noch Regie. Immerhin hatte er auf diese Weise die totale Kontrolle über das Projekt, vorausgesetzt, der Produzent redete ihm nicht drein. Auch ohne alle seine Filme gesehen zu haben - tatsächlich kenne ich nur etwa ein Fünftel seines Schaffens - wage ich zu behaupten, daß Fleshpot on 42nd Street zu seinen besten, weil kraftvollsten Arbeiten zählt.
Und zu verdanken hat er das seiner großartigen Hauptdarstellerin. Die 1947 in Evanston, Illinois, als Janet Lynn Channin geborene und am 17. Juni 2010 verstorbene Laura Cannon trägt den Film mühelos auf ihren zierlichen Schultern. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der tragischen Geschichte, und dank ihres natürlichen Spiels fühlt sich ihre Figur schmerzhaft echt an. Dusty ist eine Frau mit Ecken und Kanten (so wie auch der Film selbst Ecken und Kanten hat), die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt. Auf eine gewisse Weise nutzt sie die Männer, mit denen sie sich einläßt, ebenso aus, wie diese sie ausnutzen. Gefühle bleiben bei ihren Aktivitäten stets außen vor; sie hält die Kerle auf Distanz, gibt ihnen, was sie wollen (Sex), damit sie bekommt, was sie will (Geld). Als sie dann den sympathischen Bob trifft, tut sie sich anfangs entsprechend schwer. Am Schutzwall, den sie um ihr Herz herum aufgebaut hat, prallen seine Bemühungen erstmal ab. Und doch gibt Dusty, die eigentlich schon zu viel erlebt hat, um noch an die Liebe zu glauben, ebendieser dann eine Chance. Was passiert, ist absehbar. Wir befinden uns hier schließlich in einem ruppig-schundigen 70er-Jahre-Exploitationfilm von Andy Milligan, und nicht in einem kitschigen Hollywood-Märchen von Garry Marshall.
Eine Sache muß ich Milligan allerdings ankreiden (die bereits angesprochene Enttäuschung), und das ist die leichtfertig vergebene Chance, die berühmt-berüchtigte zweiundvierzigste Straße in all ihrer schäbigen Herrlichkeit auf Bildmaterial zu verewigen. Die Atmosphäre in Fleshpot on 42nd Street ist - auch dank des nüchtern-dokumentarischen Tons und der grimmigen Geschehnisse - recht stimmig und authentisch, aber mit Außenaufnahmen wird leider Gottes sehr gegeizt. Es gibt nur einige wenige Impressionen des zeitgenössischen Times Square, dabei wäre es doch ein leichtes gewesen, nachts mit einer versteckten Kamera die schillernden Fassaden der Bars, Kinos und Sex-Shops abzufilmen und das geschäftige Treiben auf der Straße in Bild und Ton festzuhalten. Wie gesagt, eine verpaßte Gelegenheit, die nie mehr wiederkommt. Technisch betrachtet ist der Streifen ein kleines Fiasko, und auch die lustlos vor sich hin dudelnde Musikuntermalung ist ein Graus; insofern grenzt es fast schon an ein Wunder, daß der Film dennoch gut funktioniert. Milligan verblüfft mit einem bemerkenswerten Gespür für die Figuren, denen er starke, echt klingende Dialoge in die Münder legt. Fast wähnt man sich in einer Dokumentation über das verkorkste Leben gestrandeter Existenzen, zumal es sich Milligan niemals anmaßt, über sie zu urteilen.
Sieht man von Bob ab, gibt es in Fleshpot on 42nd Street keine Sympathieträger. Hier tummeln sich Menschen, die rücksichtslos und egoistisch handeln und denen es egal ist, ob dabei ein Kamerad oder ein "Freund" auf der Strecke bleibt. Und doch entsteht zwischen diesen schäbigen Figuren und dem Publikum eine Art Haßliebe, siehe etwa Cherry oder die Simmons-Schwestern. Dusty hingegen fällt etwas aus der Reihe. Auch sie ist keine positiv besetzte Figur, und doch ist sie mir im Laufe des Filmes sehr ans Herz gewachsen. Ich hätte ihr ein Happy End gegönnt, doch für Happy Endings ist im Milligan-Universum kein Platz. Sein pessimistisches, oft zynisches Weltbild projizierte der Filmemacher immer wieder in seine Arbeiten. Wer sich auf einen Milligan-Film einläßt sollte tunlichst dafür sorgen, daß genug Seife vorhanden ist, um sich bei der unvermeidlichen Dusche danach all den Haß und die Niedertracht und den Schmutz und die Grausamkeit vom Körper zu schrubben, bevor sich etwas davon noch festsetzen kann. Das bittere Ende von Fleshpot on 42nd Street läßt einen niedergeschlagen und desillusioniert zurück. Die Träume sind zerplatzt wie Seifenblasen, das Glück ist in sich zusammengekracht wie ein Kartenhaus im Wirbelsturm, die Hoffnung auf ein besseres Leben wurde zu Grabe getragen. Bloß ein bedauernswertes Schicksal in diesem verkommenen Großstadtdschungel.