Nach unzähligen unrealistischen auf Kitsch und Happy Ends getrimmten Schnulzen, wurde uns zuletzt mit „Hautnah“ ein weitaus realistisches, pessimistischeres Bild der Liebe gezeichnet. An die wahre Liebe möchte man ohnehin nicht mehr glauben, eher davon träumen, denn das Leben belehrt uns eines Besseren. Nicht nur Schwarzmaler fragen sich deshalb: Was ist Liebe überhaupt?? Wie muss man sich vollkommene Zuneigung vorstellen??
Die Antwort steckt wie so oft im Film, denn „Before Sunset“ definiert die wahre Liebe nicht nur, sie wird auch praktiziert.
Das Konzept bzw. die Idee, welche hinter der „Before Sunrise“ und „Before Sunset“ Reihe steckt, ist ebenso außergewöhnlich wie genial.
Neun Jahre sind vergangen seitdem sich der Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) und die Französin Celine (Julie Delpy) bei einem gemeinsamen Tag in Wien kennen gelernt haben („siehe Before Sunrise“). Was damals passierte, die Vorgeschichte, ist zugleich für Betrachter und Protagonisten der Ausgangspunkt, weil wie wir erfahren, ein ursprünglich geplantes Treffen zwischen Jesse und Celine seitdem nicht stattgefunden hat.
Als Jesse, mittlerweile erfolgreicher Autor, zu einer Buchvorstellung nach Paris reist, wird er bei einer Signaturstunde von Celine überrascht. Aufgrund des zeitlichen Engpasses wegen der Verpflichtungen des Autors, bleibt den beiden nur noch wenig Zeit, um über damals und jetzt zu reden.
Beide entschließen sich zu einem Spaziergang und lassen die letzten Jahre Revue passieren.
Das ist die Ausgangslage für einen Dialog zwischen zwei Menschen, die sich viel zu erzählen haben und Fragen beantworten müssen. War es damals, also bei „Before Sunrise“, „nur“ ein schönes Abenteuer im Rahmen von einem Tag, oder mehr als das!? Warum kam das Treffen zwischen den beiden nicht zustande?? Was hat sich seitdem in ihrem Leben verändert??
Es ist keinesfalls nur ein einfacher Dialog, ein Gespräch bestehend aus faden Fragen und ratlosen Geplänkel. Viel mehr ist es der Beweise für die wahre Liebe, denn in jedem Augenblick verspürt man die Zuneigung der beiden füreinander. Wien war nicht nur ein Abenteuer, es war der Anlass für jahrelanges Grübeln, Unsicherheit und Sehnsucht. Nach und nach wird das deutlicher, nicht nur in herrlichen Anspielungen auf „Before Sunrise“, sondern auch dann, wenn sie im Cafe, im Park über Gott und die Welt diskutieren. Bei haben sich gesucht und gefunden, kein Wort und kein Satz wird missverstanden und von dem anderen als Angriff interpretiert, selbst wenn es aufgrund der Offenheit beider so gewertet werden könnte. Über allem steht die Liebe, die sie verbindet und nichts kann diesen Zustand erschüttern. Es ist erstaunlich, wie viel Idealismus und interessante Thematiken in einem fast 80 Minuten andauernden Dialog verpackt werden kann, ohne dass es irgendwann trivial und langweilig wirkt. Viel zu interessant und instruktiv, in jeder Hinsicht, erscheint alles, was sich beide zu sagen haben und vor allem in welcher Art und Weise. Obwohl die Zeitspanne sehr kurz ist, hat auch der das Gespräch seine Höhen und Tiefen, mal traurige, aber wegen der Erkenntnis der Liebe überwiegend schöne Momente.
Traurig ist es für die beiden lediglich, wenn sie über ihre unglücklichen Beziehungen sprechen und unterschwellig von der Vorstellung zerfressen werden, dass ihr Beisammensein enden könnte.
Kitsch und anrührende Momente im trivialsten Stil existieren dennoch nicht, Liebe manifestiert sich durch Gestik, Mimik und Worte. Das Ende, darüber sei nur erwähnt, dass auch hier in keine konventionellen Vorstellungen verwirklicht werden.
Unabhängigkeit und Idealismus haben anscheinend auch Julie Delpy und Ethan Hawke zu einer solch authentischen und überzeugenden Vorstellung als Liebespaar getrieben. In intimeren Momenten, wiederum nicht körperlicher Natur, ist selbst für den Betrachter manchmal nicht einfach die Grenze zwischen Realität und Schauspiel zu erkennen. Regisseur Richard Linklater, im Übrigen zusammen mit Julie Delpy und Ethan Hawke auch Drehbuchautor, hat hervorragend instruiert und auch einen großen Teil dazu beigetragen eine unvergleichliche, in manchen Momenten nahezu groteske, Authentizität herzustellen.
Obwohl das Ganze auf einen Dialog basiert und oberflächlich nichts Spektakuläres bietet, ist es auch technisch und atmosphärisch wunderbar gestaltet. Keine Stadt wäre wohl besser geeignet als Paris, um den Betrachter die Liebe zu erklären. Kameratechnisch erfasst man wunderbar die Metropole; ob in Parks, Cafes oder Gassen, der Charme der französischen Hauptstadt wird jederzeit vermittelt.
Ein Drehbuch das ausschließlich auf Dialogen basiert, wird einige abschrecken, weil es oberflächlich wenig bietet. Der Wert von „Before Sunset“ ist dennoch unermesslich, da der Film den nach Liebe suchenden und [ver]zweifelnden Menschen Gewissheit und Hoffnung gibt, dass die wahre Liebe existiert und uns konkret beschreibt, wie sie aussieht. Letztendlich ist ein einzigartiges Projekt, dessen Ende man vermeiden möchte. (9/10)